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26. März 2019 um 15:08

Aktualisiert 26.01.2022

Ein Drittel gemeinnützige Wohnungen – utopisch oder realisierbar?

Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Das findet das Zürcher Stimmvolk. 2011 bekennt es sich mit einem deutlichen Ja zu einer aktiven Rolle der Stadt in der Wohnpolitik. Bis 2050 soll für einen Drittel der Mietwohnungen der Stadt Zürich die Kostenmiete gelten. Ein ambitioniertes Ziel. Ist es auch realisierbar?

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Die Wohnungsfrage ist in Zürich ein Dauerbrenner. Immer wieder werden ins astronomische steigende Bodenpreise und Wuchermieten beklagt. «WoWoWohnige!» hallt es etwa 1989 durch die Strassen, als sich mehrere Hundert Aktivisten im Niederdorf immer Donnerstags zum «Auflauf gegen die Speckis» versammeln. Bei einer Leerstandsziffer von 0,03 Prozent, was damals etwa 46 freien Wohnungen entspricht, wird ein Wohnungsnotstand ausgerufen.

Endstation Gentrifizierung?

Seither gibt es zwar stellenweise Phasen der Entspannung – während einigen Jahren steigt die Leerstandsziffer und auch die Mieten sinken – doch bleibt die Situation in den Augen vieler prekär. Das Monster heisst Gentrifizierung: Wird eine Strasse oder ein Quartier aufgewertet, etwa durch eine Verkehrsberuhigung, dann springen die Mieten hoch und jene Mieter*innen, die es sich nicht mehr leisten können, werden in andere, meist zentrumsfernere Lagen, verdrängt.

Paradebeispiel dafür ist die Weststrasse. Ehemals Teil der Westtangente, und lange als «Auspuff der Nation» verschrien, wird sie 2010 gesperrt und umfassend saniert. Die verkehrsbelastete Transitroute transformiert sich in eine gemütliche Quartierstrasse mit Tempo-30-Beschränkung. Gebaut wird, wo es nur geht, Wohnungseigentümer*innen künden Sanierungen an und den Mieter*innen drohen massenweise Kündigungen.

Die Stadt reagiert profilaktisch: Den Eigentümer*innen wird ein Brief geschrieben mit der Bitte, man solle doch, falls Kündigungen bei ihnen unumgänglich seien, diese möglichst sozialverträglich gestalten. Die neuen Eigentumswohnungen, die entstehen, sprechen aber vor allem, «finanziell unabhängige» Familien an. Der Rest ist Geschichte. Endstation: Gentrifizierung.

Gentrifizierungsszenen wie aus dem Bilderbuch: Auf der einen Seite der geldgierige Immobilienmakler und auf der anderen eine Stadt, die hilflos zuschaut.

Klares Ja für den gemeinnützigen Wohnungsbau

Als das Zürcher Stimmvolk Ende November 2011 an die Urne geht, haben wohl einige solche Entwicklungen wie sie gerade an der Weststrasse geschehen vor Augen. 75,9 Prozent der Stimmenden stimmen dem neuen wohnpolitischen Grundsatzartikel zu, wonach bis 2050 der Anteil gemeinnütziger Wohnungen an allen Mietwohnungen in Zürich von einem Viertel auf einen Drittel ansteigen sollte. Die Vorlage verankert zudem in der Gemeindeordnung, dass die Stadt in allen Stadtquartieren eine soziale Durchmischung anstreben sollte. Mit diesem deutlichen Ja bekennt sich die Zürcher Stadtbevölkerung also erneut zu einer aktiven Rolle der Stadt in der Wohnpolitik.

Doch wie setzt die Stadt dieses Ziel um? Konkrete Massnahmen und Stossrichtungen formuliert der Stadtrat 2012 im «Programm Wohnen» (2017 aktualisiert). Zu den zentralen Massnahmen gehören nach wie vor der kommunale Wohnungsbau oder die Subventionierung von Wohnungen für tiefere Einkommen. Weitergeführt wird auch die Vergabe und Erneuerung von Baurechten zugunsten von gemeinnützigen Wohnbauträgerschaften. Über verschiedene Stiftungen fördert die Stadt zudem das Wohnungsangebot für spezifische Zielgruppen, etwa für kinderreiche Familien oder alte Personen.

Zürich und der gemeinnützige Wohnungsbau – ein Blick zurück

Über den Fortschritt erstattet der Stadtrat alle vier Jahre Bericht. Zuletzt 2016. Der Bericht hält optimistisch fest, dass zwischen 2011 und 2015 die absolute Zahl gemeinnütziger Wohnungen stetig zugenommen habe: Beträgt die Zahl 2011 noch 49’400, steigt sie 2015 auf 51’800. Betrachtet man allerdings die Zahlen im Verhältnis zur gesamten Anzahl Mietwohnungen, zeigt sich für das Drittelziel ein ernüchterndes Bild: 2011 beträgt der Prozentsatz gemeinnütziger Wohnungen 25,7 Prozent. 2015 wächst dieser um etwa 0,5 Prozentpunkte auf 26,2 Prozent an. Diese relativ bescheidene Zunahme lässt sich leicht erklären: Während nämlich öffentliche Hand und Genossenschaften fleissig bauen, tun dies natürlich kommerziell gesinnte Bauträger*innen ebenfalls.

Ein realistisches Ziel?

Eine grosse Herausforderung, um das Drittelziel zu erreichen, bleibt deswegen auch in den folgenden Jahren die hohe Dynamik im privaten Wohnungsbau. 2016 bauen Private knapp 2’500 Wohnungen. Im Gegenzug entstehen aber nur 500 gemeinnützige Wohnungen. 2017 pendelt sich die Lage etwas ein, Private und Gemeinnützige bauen je ungefähr 1’200 Wohnungen. 2018 bauen Stadt und Genossenschaften mit etwas mehr als 1’000 Wohnungen weiterhin intensiv, doch auf der anderen Seite wird mit 1’900 Wohnungen umso mehr gebaut.

Finanzvorsteher Daniel Leupi ist für die Umsetzung des Drittelsziels zuständig. «Das Umfeld ist insgesamt anspruchsvoll. Und wenn Zürich wächst, dann bauen natürlich auch die Privaten viel», sagt er. «Allerdings darf man aus einzelnen Jahren nicht längerfristige Entwicklungstendenzen extrapolieren.» Ferner berücksichtige das Drittelziel nur die Anzahl Wohnungen. Vergessen dürfe man dabei jedoch nicht, dass in den gemeinnützigen Wohnungen pro Quadratmeter deutlich mehr Personen wohnen würden. Von einer gemeinnützigen Wohnung profitierten deswegen im Schnitt mehr Personen als von einer privaten.

Dass die Stadt ihren Einfluss auf die Wohnpolitik beibehalten muss, ist für Daniel Leupi jedenfalls unumstritten: «Sei dies aktiv als Bauherrin oder in Zusammenarbeit mit privaten gemeinnützigen Bauträger*innen. Seit 1907 hat sich auch die Bevölkerung immer wieder deutlich für eine solche städtische Wohnpolitik ausgesprochen.»

Albert Leiser, Präsident des Hauseigentümerverbandes gibt demgegenüber einen etwas kritischeren Ton an: «Realistisch ist das Drittelziel schon. Die Frage ist mit welchen Kosten und welchem Nutzen: Mit viel Steuergeldern werden wenige Wohnungen günstig gehalten.» Auch der Hauseigentümerverband sei selbstverständlich der Ansicht, dass «echte Bedürftige unterstützt werden sollten. Es kann aber kein Recht auf eine günstige Wohnung in Zürcher Trendquartieren geben.» Dahingehend befragt, ob es überhaupt die Aufgabe der Stadtregierung sein sollte, die sozialräumliche Entwicklung der Stadt zu steuern, antwortet Leiser: «Die Stadt sollte gute Voraussetzungen schaffen für alle: fürs Gewerbe, fürs Wohnen, für den Handel, für die Bildung. In der Regel haben Private mehr Erfahrung und können bessere Angebote schaffen, als der Staat beziehungsweise die Stadt.»

Finanzvorsteher Leupi bestreitet nicht, dass abgesehen von Genossenschaften auch herkömmliche private Entwickler*innen zwar keinen gemeinnützigen aber dennoch günstigen Wohnraum errichten können und sollten: «Angemessene Rendite kann man auch im günstigen Bereich gewinnen.» Wenn man bloss auf das Luxussegment ziele, dann müsse man immer mit einem höheren Leerstandsrisiko rechnen. In einigen Fällen würde es sich deswegen auch lohnen, vermehrt in einen soliden Wohnungsbau für den Mittelstand zu investieren. Die Stadt stehe auch regelmässig im Dialog mit Vertreter*innen aus der ganzen Branche.

Die Frage, ob das ambitiöse Drittelziel in den Augen Leupis nun realistisch sei, ist damit jedoch noch nicht beantwortet. Leupi gesteht ein, dass die Stadt im Vergleich zu den 30er bis 60er Jahren heute viel weniger Spielraum habe. «Es gibt insgesamt nicht mehr viele freie Areale, die man entwickeln und der Wohnnutzung zuführen kann.» Eine weitere grosse Hürde seien auch die steigenden Bodenpreise: «Dort, wo wir Areale zu vernünftigen Preisen kaufen können, tun wir das. Aber oft sind die Preise so astronomisch hoch, da kann auch die Stadt nicht mehr mithalten.» Diesen Schwierigkeiten zum Trotz sei das Ziel, bis 2050 ein Drittel an gemeinnützigen Wohnungen zu haben, erreichbar: «Der politische Wille dafür ist absolut da, um alle Chancen zu nutzen.»

Ob dieser politische Wille und die vorhandenen Chancen tatsächlich genügen, wissen wir in 31 Jahren.

Titelbild: Jonas Staehelin

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