Exzess und Ekstase: Zürcher Clubs im Blitzlicht

«Partys, Freiheit, Menschen – all das ist Zürich», sagt Fotograf Vasil Shterev. Sein erstes Buch «This is Zurich» zeigt den Exzess der Zürcher Partyszene und beleuchtet eine verborgene Seite der Stadt.

Steht lieber hinter der Kamera als davor: Fotograf Vasil Shterev (Bild: Isabel Brun)

Severin Miszkiewicz: Ihr Buch heisst «This is Zurich». Was bedeutet Zürich für Sie?

Vasil Shterev: Zürich ist «cute», Zürich macht Spass, Zürich ist wunderschön. Ich lebe wirklich gerne hier und finde es sehr gemütlich. Der Titel des Buches hat jedoch einen anderen Hintergrund. Als ich vor sechs Jahren hierhergezogen bin, hatte ich ein klares Bild von der Schweiz und Zürich – geprägt von den typischen Stereotypen: reiche Leute, Banken, vielleicht etwas steif oder konservativ.

Das sind Bilder, die viele Menschen im Ausland mit der Schweiz und Zürich verbinden. Und ich sage nicht, dass diese Wahrnehmungen falsch sind. Aber das ist nicht alles, und Zürich hat so viel mehr zu bieten.

Vasil Shterev
Schnappschuss einer Nacht: Vasil Shterev fängt die Party ein, wie sie war. (Bild: Vasil Shterev)

Also nicht nur Banken und Konservative, sondern was?

Partys, Freiheit, Menschen – all das ist Zürich und es passiert entgegen dem, was man vielleicht erwartet. Bevor ich nach Zürich zog, hatte ich keinen echten Bezug zur Stadt. Als ich schliesslich hier war, war ich positiv überrascht. Mit der Zeit entdeckte ich die vielen Schichten der Stadt, die ein ganz anderes Bild zeigten als die Klischees.

Das war der Moment, in dem ich über den Titel dieses Projekts nachdachte. Für mich musste der Titel laut und provokant sein – um die Kontraste hervorzuheben, die ich in dieser Stadt erlebe. Obwohl Freunde mir geraten haben, den Titel zu überdenken, war «This is Zurich» für mich nicht verhandelbar.

«Für mich ging es immer darum, Körper, Sexualität und Identität zu feiern.»

Vasil Shterev

Ihre Bilder vermitteln das Gefühl, mitten im Club zu sein. Man spürt förmlich die Körperhitze der Tanzenden.

Ich freue mich, dass das so rüberkommt, denn genau das war meine Intention. Für mich ging es immer darum, Körper, Sexualität und Identität zu feiern. Mein Hintergrund spielt dabei eine grosse Rolle: Ich komme aus Bulgarien, einem Entwicklungsland, in dem queere Kultur kaum sichtbar ist.

Die Offenheit, die ich in der Schweiz erlebt habe, hat mich inspiriert – Menschen, die sich nackt oder extravagant kleiden und einfach sie selbst sind. Das ist ermutigend, besonders in einer Welt, in der uns Instagram oft nur perfekte, durchtrainierte Körper zeigt. Mich faszinieren Menschen, die nicht in diese Norm passen und trotzdem voller Freude sie selbst sind.

Vasil Shterev - This is Zurich
Nass und nackt: Zürcher Partys sind voller Leben. (Bild: Vasil Shterev)

«Ich dringe in ihren Safe Space ein, aber ich mache das mit Respekt und Rücksicht.

Vasil Shterev
Vasil Shterev - This is Zurich
Wesen des Untergrunds: So manche Gestalten treiben sich in Zürcher Clubs herum. (Bild: Vasil Shterev)

Mit Ihrer Kamera dringen Sie aber in ihren Safe Space ein.

Ich frage nur selten um Erlaubnis, bevor ich ein Foto mache, weil es mir wichtig ist, den Zeitpunkt unverfälscht einzufangen. Die meiste Zeit waren die Leute damit auch einverstanden. Ich denke, viele Menschen freuen sich, wenn jemand ihre glücklichen Momente festhält. Manchmal stelle ich kurzen Blickkontakt her, um eine Verbindung aufzubauen, aber oft passiert es spontan.

Das heisst jedoch nicht, dass ich respektlos bin. Ich würde niemals ein Foto veröffentlichen, das jemanden in einem unvorteilhaften oder kompromittierenden Licht zeigt. Wenn mich jemand bittet, ein Bild zu entfernen, mache ich das sofort. Für mich geht es darum, ein Gleichgewicht zu finden – ja, ich dringe in ihren Safe Space ein, aber ich mache das mit Respekt und Rücksicht.

Vasil Shterev - This is Zurich
Kweerballs im Fokus: Vasil Shterev zeigt Bilder, die sonst im Verborgenen bleiben. (Bild: Vasil Shterev)

Und die Clubs waren damit einverstanden?

Diese Frage bekomme ich ziemlich oft. Manche Locations sind einverstanden, andere merken gar nicht, dass ich Fotos mache. Um ehrlich zu sein: Die meisten Clubs oder Kollektive, die ich regelmässig besuche, wissen mittlerweile, was ich tue. Ich habe einen Punkt erreicht, an dem die Leute meine Arbeit und ihren Zweck verstehen.

Trotzdem erkenne ich an, dass es bis zu einem gewissen Grad ein Eingriff in einen Safe Space ist. Ich möchte an dieser Stelle erwähnen: Safe Spaces sind enorm wichtig – besonders in Umgebungen, in denen Menschen Alkohol, Drogen oder Ähnliches konsumieren.

Vasil Shterev - This is Zurich
Clubkultur: Zürich hat eine grosse Auswahl. (Bild: Vasil Shterev)

Wie steht es um die Clubszene in Zürich?

Die Szene ist klein, aber «cute». Es hat etwas Schönes, wenn man in einen Club geht und sofort 20 Leute kennt. Manchmal wünsche ich mir neue Gesichter, aber es ist auch gemütlich, immer wieder mit den gleichen Menschen zu feiern. Zürich hat ausserdem eine reiche Geschichte in der elektronischen Musik, und für die Grösse der Stadt bietet sie enorm viel.

Die Szene dürfte für mich aber noch etwas lebendiger sein – mit mehr Menschen, die sich extravagant kleiden, und mehr Partys, die zum Experimentieren einladen.

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    «Partys, Freiheit, Menschen»: Vasil Shterev über Zürich.

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«Berlin ist ernst, London ist fun, und Zürich ist cute.»

Vasil Shterev

So wie in Berlin – dem grossen Vorbild Zürichs?

Berlin hat eine sehr ernste Partyszene, zumindest aus meiner Sicht. Die Menschen dort legen grossen Wert darauf, sexy, gut gekleidet und «perfekt» auszusehen. Persönlich fühle ich mich jedoch mehr zu einer lebendigeren, freieren und spassigeren Partyszene hingezogen, wie zum Beispiel in London. Dort habe ich das Gefühl, dass die Leute wirklich «fun» haben und sich vollständig ausdrücken können.

Sie legen viel Wert auf kreative Outfits und Dresscodes – das ist etwas, das ich mir auch für Zürich mehr wünschen würde. Zusammengefasst: Berlin ist ernst, London ist «fun», und Zürich ist «cute».

Vasil Shterev - This is Zurich
Abseits der Norm und trotzdem voller Freude: Diese Aspekte faszinieren Vasil Shterev. (Bild: Vasil Shterev)

Sie sind vor allem auf Instagram aktiv. Wieso jetzt doch ein Buch?

Instagram war die Plattform, auf der ich anfing, meine Bilder zu teilen. Anfangs ging es mir nicht darum, als Fotograf wahrgenommen zu werden – ich war mehr daran interessiert, Momente und Menschen festzuhalten, nicht mich selbst. Mit der Zeit entwickelte sich daraus ein Projekt, das eine spezifische Seite der Szene zeigt.

Durch meine Follower wurde mir klar, wie wichtig dieses Projekt für eine Stadt wie Zürich ist. Es dokumentiert die kulturelle Vielfalt und Entwicklung der Stadt in einem bestimmten Zeitrahmen. Irgendwann wurde mir klar, dass Instagram allein nicht reicht – das Projekt musste ein physisches, greifbares Produkt werden. So entstand die Idee für das Buch.

Vasil Shterev
Drinkpause: Auch das gehört zur Party dazu. (Bild: Vasil Shterev)

Sie sind Self-Publisher und haben Ihr Buch unabhängig veröffentlicht. Wie war das?

Es war eine Herausforderung, aber auch eine grossartige Erfahrung. Ich habe zunächst versucht, Fördermittel zu sichern und Verlage anzusprechen, aber ohne Erfolg. Für mich war klar, dass das Buch bis Ende 2024 fertig sein musste, also habe ich es mithilfe von Freunden und durch Vorbestellungen selbst finanziert.

Die grösste Herausforderung war die Zeit: Ich habe einen Vollzeitjob, und auch mein Freund Nicolas, der das Grafikdesign übernommen hat, war mit anderen Projekten beschäftigt. Trotzdem haben wir es geschafft, alles innerhalb eines Jahres abzuschliessen.

Die Freiheit, meine Vision genau so umzusetzen, wie ich es wollte, war es wert. Es war zwar viel Arbeit – von der Finanzierung bis zur Suche nach Personen für Bildrechte – aber am Ende bin ich stolz auf das Endprodukt. Einige Buchhandlungen und Läden haben sich bereits bereit erklärt, es ab diesem Freitag zu verkaufen – das macht mich sehr glücklich.

Ihre Follower waren auch in der Entstehung des Buches beteiligt.

Ja genau, meine Instagram-Community spielte eine enorm grosse Rolle in der Entstehung von «This is Zurich». Sie half mir, beispielsweise Personen für Bildrechte zu finden oder Locations für Buchveröffentlichungen zu organisieren. Oft reicht ein einziger Post, und die Community teilt oder antwortet, bis ich die gesuchte Person gefunden habe. Diese Unterstützung – direkt oder indirekt – macht einen grossen Teil meiner Arbeit aus. Vieles von dem, was ich heute tue, wäre ohne diese Community nicht möglich.

«Wer verschlossen oder wertend ist, wird wohl keinen Zugang zum Buch finden.»

Vasil Shterev

Die Vorstellung der Schweiz herauszufordern ist ein gutes Stichwort. In Ihrer Serie At Night und Not at Night zeigen Sie einen starken Kontrast in der Gesellschaft. Was steckt dahinter?

Viele kennen mich vor allem als Nightlife-Fotograf, aber ich habe das Gefühl, dass diese Phase zunehmend zu meiner Vergangenheit gehört. Mit «Not at Night» hat sich meine Fotografie in eine neue Richtung entwickelt. Während At Night die Energie und Ekstase des Nachtlebens einfängt, zeigt «Not at Night» ganz andere Facetten, wie bürgerliche Volksfeste, etwa das Sächsilüüte.

Für mich war es eine bewusste Entscheidung, den Fokus zu erweitern und tagsüber Gemeinschaften und Ereignisse zu dokumentieren, die ausserhalb der Partywelt stattfinden. Die beiden Serien stehen in starkem Kontrast zueinander – einerseits das pulsierende, extravagante Nachtleben und andererseits die eher bodenständigen und traditionellen Anlässe, die Zürich ebenfalls prägen.

Dieser Gegensatz fasziniert mich und bietet mir die Möglichkeit, verschiedene gesellschaftliche Realitäten zu erforschen und sichtbar zu machen.

Vasil Shterev
This is Zurich too: Vasil Shterev zeigt den Kontrast in der Gesellschaft. (Bild: VASIL SHTEREV)

Das heisst «This is Zurich Vol. 2» wird Kinder auf Volksfesten zeigen statt Queer-Partys?

(Lacht) Nein, absolut nicht. Ich habe eine klare Vision für «This is Zurich» und glaube, dass es als Buchserie oder in Form anderer Projekte weitergeführt werden könnte. Vielleicht wird es ein weiteres Buch geben, aber in einem anderen Kontext.

Zum Beispiel würde ich gerne queere Communitys in anderen Ländern dokumentieren oder mich auf Themen konzentrieren, die mir persönlich wichtig sind, wie etwa Angststörungen. Es gibt noch so viel, was ich durch meine Arbeit erforschen und zeigen möchte. Wie genau sich das entwickeln wird, bleibt abzuwarten – die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt.

«This is Zurich» feiert seine Veröffentlichung am Samstag, 14. Dezember 2024, im Attempt Studio.

Das Interview wurde auf Englisch geführt.

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