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12. September 2016 um 14:17

Damit die Lastwagen die Kurve kriegen: Eckhaus beim Güterbahnhof musste weg

In Douglas Adams Kultroman «Per Anhalter durch die Galaxis» droht Arthur Dents Haus der Abriss, da ironischerweise genau an dessen Stelle eine Umgehungsstrasse gebaut werden sollte. Wie allgemein bekannt sein dürfte, kommt es jedoch nicht zum geplanten Abriss, da zwischenzeitlich eine ausserirdische Flotte der Vogonen auftaucht, um die Erde für den Bau einer galaktischen Hyperraum-Expressroute zu zerstören.

Eine vernünftige Massnahme Das Haus an der Ecke Seebahnstrasse/Hohlstrasse im Kreis 4 ist nun vom gleichen Schicksal ereilt worden. Es musste weichen, um der Westumfahrung Platz zu machen. Das Tiefbaudepartement schreibt dazu: «Im Zusammenhang mit der Westumfahrung, respektive den dazu gehörenden Flankierenden Massnahmen […] muss die Liegenschaft Seebahnstrasse 269 / Hohlstrasse 147 zugunsten eines neuen Verkehrsknotens abgebrochen werden.» Momentan müssen LKW in die Gegenfahrbahn ausschwenken, um die scharfe 90-Grad Kurve befahren zu können, wodurch die Spuren nur abwechslungsweise befahrbar sind. Ist besagtes Haus an der Ecke weg, kann die Kurve verbreitert und aus beiden Richtungen gleichzeitig befahren werden. Laut Tiefbaudepartement verhindere dies, unerwünschte Umwege durch Stadt und insbesondere Quartiere. Auch für den Fuss- und Veloverkehr bewirkte der Ausbau des Knotens direktere Verbindungen und eine Steigerung der Verkehrssicherheit.

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Ein unvernünftiger Eigentümer Dem Abriss des Hauses eines privaten Eigentümers war eine Enteignung per 30. Oktober 2015 vorangegangen, welche bereits 2007 beschlossen wurde. Ein zwielichtiger Zürcher Anwalt kaufte kurz darauf die Liegenschaft in der Absicht der Stadt Zürich Steine in den Weg zu legen und ihre Pläne mit allen zur Verfügung stehenden juristischen Mitteln zu blockieren. Mehrmals hatte sich das Bundesgericht mit der Sache zu befassen, letztmals im August 2015. Der offenbar gelangweilte Anwalt ging konsequent querulatorisch vor. So verlangte er beispielsweise als Entschädigungssumme etwa 3,4 Mio. Franken. Als die unabhängige Schätzungskommission des Kantons die Summe von etwa 5,4 Mio. nannte, also sogar deutlich mehr als gefordert, legte er umgehend Beschwerde ein, um das Verfahren weiter zu verzögern.

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Vom Mietwucher zur Gratiswohnung Zwar verloren mit dem Abriss des Eckhauses etwa 30 Personen ihre Bleibe, jedoch gewährte die Stadt Zürich nach der Enteignung sieben Monate Übergangsfrist, in welcher die Bewohner keine Miete mehr zu entrichten hatten und damit mitten in Zürich gratis wohnen durften. Am betreffenden Infoanlass betonte der Vorsteher des Tiefbaudepartements, Stadtrat Filippo Leutenegger, dies sei eine grosszügige Lösung «angesichts des Standards der Wohnungen». Diese Äusserung zog er jedoch umgehend und unter Gelächter der anwesenden Hausbewohner zurück. Das Haus war in den letzten Jahren vor seinem Abriss stark heruntergekommen und eher von bescheidenem «Standard». Nicht selten hatten Besucher gar Angst das Haus zu betreten oder hielten es für besetzt. Der Anwalt und Eigentümer investierte zuletzt nicht mehr in das Haus, diente es ihm doch lediglich als Spielobjekt, um seinen bizarr anmutenden Kreuzzug gegen die Stadt Zürich zu führen. Trotzdem verlangte er für eine veraltete 70m2 Wohnung bis zu 2600 Franken. Wechselten die Mieter, wurde die Miete gerne auch mal um 600 Franken erhöht, selbstverständlich ohne auch nur die Türklinke geputzt zu haben. Trotzdem besass der Eigentümer die Dreistigkeit, von Filippo Leutenegger eine noch bessere Lösung für die Mieter zu fordern, seien diese doch mehrheitlich arme Studenten.

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Dubioses Restaurant Güterbahnhof Dass das im Erdgeschoss des Eckhauses befindliche Restaurant Güterbahnhof durch die Enteignung Untermieterin der Stadt Zürich wurde, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Das Restaurant war bei Ansässigen und auch bei der Polizei bekannt für seine dubiosen Machenschaften. Zwar konnte dem Betreiber des Lokals nie etwas nachgewiesen werden, trotzdem ranken sich eine Reihe skurriler Geschichten um das Lokal. So wurde etwa trotz Aufkleber «24h warmes Essen» seit Jahren kein Essen mehr serviert. Generell wurden Fremde nicht bedient. So wird etwa berichtet, dass Gäste mit dem Kommentar abgewiesen wurden: «Für Studenten ist das Bier heute Abend zu teuer, geht lieber in ein anderes Lokal». Das Restaurant mit zu teurem Bier und ohne Essen hatte denn auch selten Gäste, abgesehen von ein paar Freunden des Wirts, welche jeweils mit sehr teuren Autos vorfuhren. Trotz des Gästemangels leistete sich das Lokal fast jeden Abend Livemusik. Ein Keyboardspieler und vier hübsche, leicht bekleidete Damen, waren jeweils, als Sängerinnen getarnt, anwesend. So konnten die Bewohner des Hauses wenigstens bis 4 Uhr morgens von sehr lauter, balkanesischer Volksmusik profitieren, auch unter der Woche.

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Das Ende einer Ära Seit der Güterbahnhof im Januar 2014 vollständig abgebrochen wurde und nun auch das Eckhaus mit dem Restaurant Güterbahnhof weichen musste, zeugt lediglich noch der Name der VBZ-Station vom einstigen Charakter dieses historischen Teils des Kreis 4. Als der Güterbahnhof 1897 fertiggestellt wurde und dann lange als Zentrum des Warenaustauschs für die ganze Stadt Zürich diente, stand er zusammen mit dem gelben Eckhaus und dessen rotem Nachbarhaus, das dereinst auch weichen wird, allein auf weiter Flur, umgeben von Wiesen und Feldern. Das war vor 119 Jahren. Inzwischen befindet sich die Ecke im Herzen der Stadt Zürich, die sich immer mehr verdichtet und unnütz gewordenem entledigt. So wird auf der Güterbahnhofbrache das bis 2020 bezugsbereite Polizei- und Justizzentrum (PJZ) entstehen (ein Kapitel für sich) und auf der Fläche des Eckhauses eine schöne, neue und breite Kurve.

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Raum für Neues Seit sich nach der Sperrung der Westtangente im Jahr 2010 ein Grossteil des Verkehrs im Kreis 4 durch das Nadelöhr beim Eckhaus quält, hat die Lebensqualität an diesem Knotenpunkt stark abgenommen. Dem heruntergekommenen Eckhaus dürfte niemand wirklich nachtrauern. Auch der Güterbahnhof, der zuletzt nur noch als Eventhalle für die ICF gedient hat wird nicht vermisst. Beide Objekte hatten ihre Zeit, dürfen nun aber auch ruhig in die Geschichte entgleiten. Es wird Raum für Neues entstehen, dank dem PJZ sollte die Kaserne frei werden und auf der Fläche des Eckhaus, welche nicht von der Strasse vereinnahmt wird, dürfte die urbane Gärtnertruppe aus dem Erismannhof, unter Beteiligung ehemaliger Eckhausbewohner ein kleines Blumenwunder veranstalten. Auf diese Weise dringen nicht nur Lärm und Abgase von der Strasse ins Quartier, sondern auch Kreativität und Schönheit aus dem Quartier auf die Strasse.

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