Klimajournalismus: Haltung zeigen erwünscht - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Isabel Brun

Redaktorin

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22. April 2022 um 04:00

Klimajournalismus: Haltung zeigen erwünscht

Berichterstattungen über die Folgen der Erderwärmung haben einen schweren Stand. Oft werden Klimathemen in Redaktionen nicht ernst genommen oder als Aktivismus verkannt. Doch es scheint ein Wandel im Gange. Medienschaffende und ein Kommunikationsforscher über Meinungsjournalismus, der keiner ist.

Dominik Wolfinger, Claudio Bernhard, Alexandra Tiefenbacher, Elia Blülle und Vinzenz Wyss erörterten auf dem Podium die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus. (Foto: Ladina Cavelti)

«Das hier sind Fakten, keine Meinung.» Es ist der vielzitierte Satz, den Greta Thunberg 2020 in Schwedens grösster Zeitung «Dagens Nyheter» als Titel schrieb, als sie für einen Tag die Chefredaktion des Blatts übernahm. Dieses Zitat fasst wohl am besten die Arbeit als Klimajournalist:in zusammen. Ein Credo, das gewissermassen über meinem Schreibtisch schwebt. Als Klimaredaktorin schreibe ich bei Tsüri.ch regelmässig darüber, wie Tempo 30 den CO2-Ausstoss minimieren könnte, wie die Stadt Netto-Null erreichen will und welche Politiker:innen sich für ein sicheres Velonetz aussprechen. Im Gegenzug bezeichnen mich böse Zungen als «linke Journalistin» – inwiefern das als Beleidigung aufzufassen ist, kann ich nicht abschliessend beurteilen. Zumal die städtische Politik tatsächlich momentan links-grün ausgerichtet ist und es zu meiner Aufgabe zählt, über dessen Entscheidungen zu berichten.

Nichtsdestotrotz merke ich immer wieder: Die Grenze von Aktivismus und journalistischer Arbeit verschwimmt meiner Wahrnehmung nach bei klimajournalistischen Beiträgen schneller als bei anderen – und ja, ich muss zugeben, so ganz objektiv kann ich mit dem Wissen, dass es mit der Welt ziemlich steil bergab geht, bei gewissen Klimathemen nicht mehr bleiben. Doch inwiefern können Fakten überhaupt eine Meinung sein? Und wie kann ich über die Klimakrise berichten, ohne die immergleichen abgenutzten Phrasen zu benutzen? Fragen, die nicht nur mich umtreiben.

Elia Blülle von der Republik nimmt nicht an Demos teil – weil er Journalist ist. (Foto: Ladina Cavelti)

Das Klima wird Thema

Alexandra Tiefenbacher, Mitgründerin des Onlinemagazins Das Lamm, kennt den Balanceakt zwischen Journalismus und Aktivismus nur allzu gut; seit über zehn Jahren berichtet sie über Klima-Themen. Die Journalistin nennt aber noch weitere Schwierigkeiten, die ihr beim Schreiben von Texten über CO2-Ausstoss, Energiepolitik und Co. regelmässig begegnen: «Als Umweltnaturwissenschaftlerin bringe ich bereits viel Hintergrundwissen mit – das macht es zwar einfacher für mich, gewisse Zusammenhänge besser zu verstehen. Trotzdem müssen die Texte für eine breite Öffentlichkeit zugänglich bleiben. Diese Gratwanderung kann ganz schön herausfordernd sein.»

«Es ergibt wenig Sinn, die Klimakrise von der restlichen Berichterstattung abzukapseln, zumal sie das ganze gesellschaftliche System und somit alle redaktionellen Bereiche betrifft.»

Elia Blülle, Republik

Zwar gehöre das Erklären von komplexen Gegebenheiten zur Aufgabe eines jeden Medienschaffenden, bei Klimathemen sei dieser Anspruch aber noch ausgeprägter. Tiefenbacher bekomme vom Rektorat immer wieder mal die Rückmeldung, Sachverhalte oder Begriffe ausführlicher zu erklären. Das, obwohl sich ihrem Empfinden nach das Verständnis für Klimathemen in der Gesellschaft während den letzten drei Jahren stark verbessert hat: «Früher musste ich einen Absatz lang erklären, was das Wort CO2-Kompensation bedeutet», erinnert sie sich.

Seit ihrer Anfangszeit habe sich in der Berichterstattung über den Klimawandel viel getan. «Vor einigen Jahren hätte kaum eine grosse Zeitung über einen neuen Klimabericht geschrieben, heute schafft es dieser vielleicht sogar auf eine ganze Seite im Print», so Tiefenbacher. Dass das Thema immer mehr Platz in Schweizer Redaktionen findet, freut die 39-Jährige.

Vom Umweltformat «SRF CO2ntrol», welches das Schweizer Radio und Fernsehen vergangenen August lanciert hat, über den Newsletter «Celsius» von Tamedia, der ein Jahr zuvor das erste Mal verschickt wurde, bis hin zum neuen Nachhaltigkeitsbund «2050» der NZZ, der sich seit Oktober ausschliesslich mit Klima-Themen beschäftigt; so langsam wird der Klimawandel als ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem wahrgenommen. Auch meine Stelle bei Tsüri.ch wurde erst vergangenen Juni auf Wunsch unserer Community geschaffen.

Vernetzen und verändern

Zwar seien solche redaktionellen Veränderungen lobenswert, findet Elia Blülle, der beim Magazin Republik über die politischen und wirtschaftlichen Aspekte der Klimaerwärmung schreibt, «es wäre jedoch wichtig, dass das Thema künftig ressortübergreifend behandelt wird. Es ergibt wenig Sinn, die Klimakrise von der restlichen Berichterstattung abzukapseln, zumal sie das ganze gesellschaftliche System und somit alle redaktionellen Bereiche betrifft.» Blülles Forderung geht in dieselbe Richtung wie die von der deutschen Klimajournalistin Sara Schurmann: «Nehmt die Klimakrise endlich ernst!», appellierte sie vor zwei Jahren in einem offenen Brief an ihre Berufskolleg:innen. Zwar würden Medienschaffende darüber berichten, dass uns nicht einmal mehr zehn Jahre bleiben, um die Erderwärmung unter 1.5 Grad zu halten, aber: «Wir machen uns – und anderen – gar nicht klar, was all diese Entwicklungen für die Welt bedeuten, in der wir leben. Doch genau das wäre unser Job.» 

«Niemand würde auf die Idee kommen, die Menschenrechte in Frage zu stellen. Und niemand würde mich als Aktivistin bezeichnen, wenn ich mich dafür einsetzen würde.»

Alexandra Tiefenbacher, Das Lamm

Aber wie können wir es besser machen? Um solche Fragen zu klären, gründete Schurmann zusammen mit anderen Journalist:innen letzten Sommer das Netzwerk «Klimajorunalismus Deutschland». Die Plattform soll den Austausch unter Journalist:innen und Redaktionen im Bereich des Klimajournalismus fördern und reflektiertes Arbeiten ermöglichen. Nachdem es mittlerweile auch in Österreich eine Partnerorganisation gibt, formiert sich nun auch in der Schweiz eine Gruppe von Medienschaffenden, die eine solche Vernetzung möglich machen will. Elia Blülle gehört zu den Mitinitiant:innen. Für ihn ist dabei vor allem ein Aspekt wichtig: «Wir sollten uns gemeinsam darüber austauschen, wie wir als Journalist:innen mit guter Klimaberichterstattung die Menschen auch dann erreichen, wenn das Thema gerade nicht zuoberst auf der politischen Agenda steht.»

«Guter Journalismus kommt immer mit Haltung»

Auf vielen Redaktionen seien klimapolitische Beiträge lange in die Nische verbannt worden, so Blülle. Erst mit dem Pariser Klimaabkommen und der «Fridays for Future»-Bewegung habe sich das geändert. Laut dem Medienforscher Vinzenz Wyss von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ist das ein Wandel, der in vielen Redaktionen passiert sei: «Klimathemen haben es aufgrund derer mangelnden Eindeutigkeit der Ereignis-Frequenz und Komplexität grundsätzlich schwer, in der täglichen Berichterstattung Platz zu finden. Mit Greta Thunberg konnten Medien die Klimaerwärmung personalisieren und den Demonstrationen einen Nachrichtenwert zuschreiben.» Das habe dem Klimajournalismus einen Schub gegeben: Sogar so sehr, dass das Wochenmagazin Stern mit Aktivist:innen von «Fridays for Future» zusammengespannt hat. Die Kooperation sei für Wyss kein Widerspruch, sofern diese  klar gekennzeichnet sei. Blülle hingegen bezeichnet diese als «problematisch»: «Journalist:innen sollten unbedingt über die Bewegung berichten, aber sich nicht mit ihr verbünden.»

Klimastreik-Aktivist Claudio Bernhard findet, dass das Thema Klimaerwärmung vor allem in den Verkehrsberichten mehr aufgeriffen werden sollte. (Foto: Ladina Cavelti)

Er selbst sei weder in einer Partei, noch würde er sich in einer Klimabewegung oder politisch engagieren. Das unterscheide ihn von einem Aktivisten: «Diese Unabhängigkeit gehört zu meinem Selbstverständnis als Journalist. Das bedeutet aber nicht, dass meine Texte völlig wertfrei sind», sagt Blülle. «Guter Journalismus kommt immer mit Haltung.» Alexandra Tiefenbacher sieht das ähnlich. Auch sie verzichtet darauf, sich einer aktivistischen Gruppierung anzuschliessen, «das erwartet die Gesellschaft von mir als Medienschaffende.» Schliesslich wolle sie, dass ihre Texte ernst genommen werden. Für sie eigentlich «absurd», denn die Klimakrise basiere auf Fakten, sei wissenschaftlich belegt: «Niemand würde auf die Idee kommen, die Menschenrechte in Frage zu stellen. Und niemand würde mich als Aktivistin bezeichnen, wenn ich mich dafür einsetzen würde.» Solange in der Gesellschaft noch nicht angekommen sei, dass die Erderwärmung ein Fakt und keine Meinung ist, werde sie weiterhin dafür sorgen, dass Klima-Themen zumindest journalistisch eng begleitet werden. Elia Blülle, ich und viele weitere Medienschaffende tun es ihr gleich.

Das war das Podium «Klimajournalismus und die Grenze zum Aktivismus»

«Journalismus informiert, stellt fest und hält nicht zurück. Aktivismus aktiviert, bewegt und fordert ein», eröffnete Moderator Dominik Wolfinger am Mittwochabend das Podium zum Klimajournalismus im Kulturpark. «Da liegt mehr drin für den Journalismus», entgegnete Medienforscher Vinzenz Wyss. Es gebe Situationen, in denen der Journalismus Haltung zeigen und aktiver werden dürfe. Und schon befanden sich der Journalismusprofessor, Klimastreik-Aktivist Claudio Bernhard und die Klima-Journalist:innen Alexandra Tiefenbacher (Das Lamm) und Elia Blülle (Republik) in einer regen Diskussion darüber, was der Journalismus darf, was er soll und was er muss. 

Dürfen Journalist:innen an Demos teilnehmen? Wieviel Komplexität können Medien ihren Leser:innen zumuten? Wieso wird fast ausschliesslich Klima-Journalist:innen Aktivismus vorgeworfen? Und soll sich Klima-Journalismus über Werbung finanzieren? Die Fragen bewegten so sehr, dass sich Moderator Wolfinger nur wenige Male zu Wort melden musste.

Fokus Journalismus

Der Journalismus kriselt, wir reden darüber! Während des Monats April
setzen wir uns intensiv mit dem Journalismus auseinander. Dabei
beleuchten wir Themen wie die Gleichstellung im Journalismus, die Rolle
von Diversität im Journalismus bei der Integration (und inwiefern es sie
überhaupt gibt) und die Grenzen zwischen Klimajournalismus und
Aktivismus. Im Rahmen des Fokusmonats finden eine Pitch-Night sowie drei
thematische Podiumsveranstaltungen statt. 

Alle Infos findest du auf tsri.ch/journalismus

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