Ernährung und Netto-Null: «Es gibt Zielkonflikte, mit denen nicht nur wir konfrontiert sind» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Michael Schallschmidt

Praktikant Redaktion

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12. Oktober 2021 um 04:00

Ernährung und Netto-Null: «Es gibt Zielkonflikte, mit denen nicht nur wir konfrontiert sind»

Die Stadt will bis 2040 klimaneutral sein. Die Ernährung spielt bei diesem Ziel eine wichtige Rolle. Yvonne Lötscher, Leiterin Planung und Projekte Ernährung, über Vorbildfunktionen, Zielkonflikte und künftige Projekte.

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Yvonne Lötscher an der Pitch-Night zum Fokusmonat Stadt-Landwirtschaft von Tsüri.ch (Foto: Ladina Cavelti).

Was wir essen und trinken hat einen grossen Einfluss auf die Umwelt. Rund 20 Prozent der Treibhausgasemissionen, welche durch Konsumgüter entstehen, entfallen auf die Ernährung. Um für mehr Nachhaltigkeit in diesem Bereich zu sorgen, setzt die Stadt eine Ernährungsstrategie um.

Im Rahmen dieser will Zürich bis 2030 in den rund 450 städtischen Verpflegungsbetrieben den Anteil an nachhaltigen Lebensmitteln auf 50 Prozent erhöhen und die Bevölkerung über die Auswirkungen unserer Ernährung aufklären.

Im April sprachen wir bereits mit der Geschäftsleiterin des Ernährungsforums Zürich darüber, wo bei der Umsetzung einer Strategie für nachhaltige Ernährung die Hürden liegen.

Michael Schallschmidt: Die stimmberechtigte Bevölkerung hat sich 2017 dafür ausgesprochen, die Förderung einer umweltschonenden Ernährung in der Gemeindeordnung zu verankern. Die Stadt definierte eine Ernährungsstrategie, um dieser Forderung nachzukommen.In welchem Bereich war die Umsetzung dieser Strategie bisher erfolgreich?

Yvonne Lötscher: Wir sind auf einem guten Kurs. In den städtischen Verpflegungsbetrieben haben wir in den letzten zwei Jahren intensiv daran gearbeitet, unsere Ziele umzusetzen. Diese umfassen eine Reduktion des Foodwaste, die Umgestaltung unseres Mahlzeiten-Angebots, nachhaltigere Einkäufe und eine reduzierte Umweltbelastung. Wir konnten auch Erhebungen und Projekte durchführen, die Aufschluss darüber geben, wie wir uns weiter verbessern können.

Um was für Projekte handelt es sich?

Kürzlich haben wir in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau und dem Ernährungsforum Zürich das Projekt «Was isst Zürich?» abgeschlossen. Dieses Projekt gab uns eine wichtige Wissensgrundlage darüber, welche Lebensmittel woher und in welcher Qualität in die Stadt gelangen. Das hilft uns dabei, nachhaltige Ansätze zu definieren und ist auf jeden Fall ein grosser Erfolg für uns.

Zeigen die Erhebungen bereits, bei welchen Zielen mehr Nacharbeit besteht?

Mit Bezug auf unsere Verpflegungsbetriebe lässt sich sagen: In den wichtigen Bereichen, wie der Reduktion von Food Waste, einem klimafreundlichen Angebot oder dem Einkauf von Nahrungsmitteln können wir uns bestimmt noch verbessern. Wir bewegen uns jedoch in allen Bereichen in die richtige Richtung und ziehen am gleichen Strang.

Das freut mich sehr. Viel Potential sehen wir beim Einkauf. Die Stadt erledigt Beschaffungen in einem öffentlichen Verfahren, also durch Ausschreibungen. Wenn wir die Aufträge in ein paar Jahren neu ausschreiben, wollen wir ein breiteres Sortiment an nachhaltigen Produkten schaffen.

Nachhaltige Ernährung ist als umfassendes Konzept zu verstehen, bei dem wir auch unsere Einkaufsgewohnheiten hinterfragen.

Yvonne Lötscher, Leiterin Planung und Projekte Ernährung.

Nachhaltige Ernährung soll laut der Strategie der Stadt umweltfreundlich, gesund sowie wirtschaftlich tragbar und für alle zugänglich sein. Wo liegen bei diesen Plänen die grössten Zielkonkonflikte?

Es gibt bestimmte Zielkonflikte, mit denen nicht nur wir konfrontiert sind. Foodwaste und Lebensmittelsicherheit sind ein Beispiel dafür. In diesem Bereich setzten wir bereits an einem früheren Punkt an. Dies, indem wir wir dafür sorgen, dass es weniger Reste gibt, die aus Gründen der Lebensmittelsicherheit entsorgt werden müssen. Auf individueller Ebene bringt der Konsum von tierischen Produkten einen weiteren Zielkonflikt mit sich.

Es gibt Menschen, die aus Genussgründen nicht weniger Fleisch, Eier oder Milchprodukte konsumieren möchten, auch wenn es besser für Gesundheit und Umwelt wäre. Ein weiterer wichtiger Diskussionspunkt besteht auch zwischen dem Einkauf von Bio und anderen Label-Produkten und den damit verbundenen Kosten.

Es gibt einkommensschwache Haushalte, die wegen ihren knappen Budgets weniger auf nachhaltige Ernährung achten. Was unternimmt die Stadt, damit mehr Menschen einen Zugang zu nachhaltigen Lebensmitteln erhalten?

Dafür müssen wir uns zuerst fragen, was nachhaltige Ernährung bedeutet. Den bisherigen Warenkorb beizubehalten und alle Produkte in Bio-Label-Qualität zu kaufen, bringt eine grosse finanzielle Hürde mit sich. Diese Hürde kann auch die Stadt nicht einfach so bewältigen.

Nachhaltige Ernährung ist aber als umfassendes Konzept zu verstehen, bei dem wir auch unsere Einkaufsgewohnheiten hinterfragen. Früchte, Gemüse und Hülsenfrüchte sind nicht teuer, dafür sehr viel umweltschonender als beispielsweise Entrecote oder Kalbsfilet.

Auch durch weniger Food Waste kann man Geld sparen, ein durchschnittlicher Haushalt verschwendet jedes Jahr Lebensmittel im Wert von 620 CHF pro Person! Wir haben vor, die Bevölkerung in den kommenden Jahren besser darüber zu informieren, dass nachhaltigeres Essen nicht zwingend teuer sein muss und für alle eine Möglichkeit ist.

Die Stadt plant bis 2040 den Ausstoss von Treibhausgasen auf Netto-Null zu reduzieren, also nur noch so viel Treibhausgase zu verursachen, wie sie der Atmosphäre entziehen können. Die Klimastreik-Bewegung verlangt jedoch Netto-Null bis 2030. Was halten Sie von dieser Forderung?

Die Stadt hat sich dieses Ziel nach umfassenden Grundlagearbeiten gesetzt. Diese enthielten verschiedene Szenarien, mit denen wir einen Netto-Null-Zustand ab 2030, 2040 und 2050 in punkto Machbarkeit und Auswirkungen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft untersuchten.

Netto-Null bis 2040 ist ein ehrgeiziges, realistisches Szenario, das das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis mit sich bringt. Auch unsere Ernährungsstrategie ist kompatibel mit diesem Vorhaben.

Und wie kann die urbane Ernährung, also die städtische Lebensmittelproduktion, zu diesem Ziel beitragen?

Ich bin überzeugt davon, dass die Stadtlandwirtschaft viel zu diesem Ziel beitragen wird, indem sie die Lebensmittelproduktion greifbar und erfahrbar macht. Damit wird der Wert der Lebensmittelproduktion in die Stadt und zur Bevölkerung gebracht.

Nebst einer grösseren Teilnahme der städtischen Bevölkerung an der Lebensmittelproduktion, kann die Stadt-Landwirtschaft auch zur Hitzeminderung und der Gestaltung des Grünraumes beitragen. Die zehn Prozent der Stadtfläche, die landwirtschaftlich genutzt werden, können wir auch dazu nutzen, um der Atmosphäre Treibhausgase zu entziehen. Zum Beispiel indem wir Pflanzenkohle in die Böden einarbeiten.

Letztendlich müssen Veränderungen im Konsumverhalten von der breiten Masse getragen werden, damit sie wirksam sind.

Yvonne Lötscher, Leiterin Planung und Projekte Ernährung.

Die Stadt hat sich mit ihrer Ernährungsstrategie unter anderem das Ziel gesetzt, eine Vorbildfunktion einzunehmen, in dem sie den Foodwaste und die Umweltbelastung in den städtischen Verpflegungsbetrieben reduziert. Was verspricht sich die Stadt von ihrer Rolle als Vorbildfunktion gegenüber privaten Einrichtungen und Haushalten?

Die Lebensmittel, welche die Stadt beschafft, macht nur einen kleinen Bestandteil der gesamten Menge aus. Letztendlich müssen Veränderungen im Konsumverhalten von der breiten Masse getragen werden, damit sie wirksam sind. Und dennoch ist und bleibt der Beitrag jedes einzelnen wichtig, das gilt auch für unseren Beitrag als Stadt.

Wir versprechen uns davon, neue Wege zu gehen, neue Erkenntnisse zu gewinnen und damit auch gegenseitigen Wissensaustausch zu ermöglichen. Deshalb finde ich es sehr wertvoll, dass die städtischen Verpflegungsbetriebe mit einem guten Beispiel voran gehen.

Bereits jetzt setzt sich nicht nur die Stadtverwaltung für nachhaltige Ernährung ein. Auch nachhaltige Vereine, Betriebe und Höfe widmen sich dem Thema und das freut mich sehr. Wir möchten auch mit anderen Städten und Gemeinden zusammenarbeiten, die dieselben Ziele wie wir verfolgen.

Gibt es bereits Pläne für eine überregionale Zusammenarbeit?

Es gab 2019 eine Städtetagung, bei denen sich verschiedene Städte dem Thema gewidmet haben. Es gibt auch eine Gruppe für Erfahrungsaustausch, die aus verschiedenen Städten und Gemeinden besteht, dort können wir Erkenntnisse und Ideen austauschen.

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Auf dem Bürkliplatz fand im September das Zürcher Foodsave-Bankett statt (Foto: Elio Donauer)

Am 17. September organisierte die Stadt mit zusammen mit Tsüri.ch und zahlreichen Organisationen auf dem Bürkliplatz das Zürcher Foodsave-Bankett. An diesem Abend erhielten die Besucher:innen ein Gratis-Menü aus geretteten Lebensmitteln. Was bringen solche Veranstaltungen für eine nachhaltigere Ernährung?

Sehr viel. Ich sehe bei solchen Events einen Effekt auf zwei Ebenen. Zum einen erreichen wir ein Publikum und können damit Food-Save sichtbar machen. Damit kommt dieses Thema immer mehr in der Gesellschaft an. Zum anderen handelt es sich um einen Anlass, an dem über 50 Organisationen zusammengearbeitet haben. Das stärkt die Verbindung zwischen den vielen Akteur:innen im Raum Zürich, die sich für nachhaltige Ernährung einsetzen. Das macht Anlässe wie das Foodsave-Bankett zusätzlich wertvoll.

Welche Events oder Veranstaltungen plant die Stadt in Zukunft zu organisieren oder zu unterstützen, um eine nachhaltigere Ernährung zu fördern?

Wir arbeiten in Zukunft weiterhin mit bewährten Partner:innen wie beispielsweise den Organisator:innen von Food Zurich oder Soil to Soul. Ich hoffe auch auf viele weitere Foodsave-Bankette.

Weiterhin bringen wir das Thema Ernährung nächstes Jahr auch in die Quartiere. Wir arbeiten mit dem Ernährungsforum Zürich und den Gemeinschaftszentren zusammen, um Events für nachhaltige Ernährung in Quartieranlässe zu integrieren. Damit möchten wir Menschen erreichen, die nicht unbedingt an einen Anlass wie das Food Zurich gehen würden.

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