«Andy’s Fishershop»: Dank Tsüri.ch zu einem neuen Laden - Tsüri.ch #MirSindTsüri
account iconsearch
Von Noëmi Laux

Redaktorin

email

19. März 2024 um 05:00

«Andy’s Fishershop»: Dank Tsüri.ch zu einem neuen Laden

Die Verzweiflung war gross, als Andy Bleiker im Sommer letzten Jahres nach über 30 Jahren die Kündigung erhielt. Dank unserer Berichterstattung fand er eine neue Bleibe, die sogar noch besser passt als die alte.

Andy Bleiker kurz vor der Eröffnung am neuen Standort. (Foto: Noëmi Laux)

Diese Geschichte beginnt wie viele in Zürich: Ein Haus im Kreis 4 soll abgerissen werden und einem Neubau weichen. Die Bewohner:innen der acht Wohnungen, sowie ein Restaurant und «Andy’s Fishershop» bekommen die Kündigung. Letzten Sommer besuchte ich Andy Bleiker in seinem Laden im Erdgeschoss des Hauses und wollte mit ihm über die Kündigung und seine Zukunft sprechen. Immerhin hatte Bleiker sein halbes Leben hier an der Molkenstrasse zwischen Helvetiaplatz und Langstrasse verbracht. 33 Jahre lang führte er «Andy’s Fishershop». 

Auf wenigen Quadratmetern verkaufte er alles, was das Angler:innenherz begehrte: Angelruten in allen Variationen, an den Wänden hingen kleine und grosse Köder in schillernden Farben und Haken, mit denen man fast jeden Fisch fangen konnte. Jeden Tag öffnete er seinen Laden und beriet seine Kund:innen in allen Fragen rund ums Angeln. Im Sommer, wenn er gerade keine Kund:innen bediente, traf man ihn häufig vor seinem Laden, wo er mit verschränkten Armen das Geschehen beobachtete.

Was haben unsere Artikel ausgelöst?

Wir befinden uns im Jubiläumsjahr unseres 10. Geburtstags! Deshalb werfen wir immer mal wieder einen Blick in das Archiv von Tsüri.ch: Erzählen die Geschichten hinter den Artikeln, schauen zurück in unsere Anfangszeit und finden heraus, was unsere Recherchen für das Leben in Zürich bedeutet haben. Ab jetzt gibt's jeden Monat einen solchen Jubiläumsartikel.

Das Quartier hat sich in den 33 Jahren seit Bleikers Einzug massiv verändert. Das Langstrassenquartier ist zum Szenetreffpunkt geworden, der Kreis 4 zum Hotspot für Cüpli-Trinker:innen und Feierlustige. Bleiker mochte das bunte Treiben rund um seinen Laden, erzählte er mir, als ich ihn letzten Sommer vor seinem Geschäft traf. Persönlich machten ihm Veränderungen jedoch mehr zu schaffen. So bereiteten ihm die bevorstehende Suche nach einem neuen Lokal schlaflose Nächte und Zukunftsängste, erzählte er. 

Was, wenn er keinen neuen Laden finden würde, den er sich leisten konnte? Würde sein Geschäft auch an einem anderen Standort genügend Kundschaft anziehen? Eine berechtigte Sorge: Zürich hat europaweit die zweitteuersten Gewerbemieten. Nur in London liegen die Mieten für eine Ladenfläche noch höher, wie das Fintech-Unternehmen Sumup in seinem «Small Business Index 2019» untersucht hat. Trotzdem wolle er es versuchen, denn eine andere Wahl hatte er nicht. «Ich werde alles daran setzen, bald einen neuen Laden zu finden», sagte er mir zum Abschied.

Züri Briefing abonnieren!

Jeden Morgen um 6 Uhr findest du im Züri Briefing kuratierte News, Geschichten und Tipps für den Tag. Persönlich. Informativ. Unterhaltsam. Bereits 10'000 Menschen lesen mit – und du?

Beispielhaft für Zürich

Mit der Veröffentlichung des Artikels war die Story für mich eigentlich abgeschlossen. Und doch hat sie mich in den folgenden Wochen und Monaten nie ganz losgelassen. Denn Andy Bleikers Geschichte steht stellvertretend für ein ganzes System: Bezahlbarer Wohn- und Gewerberaum schwindet, das Langstrassenquartier wird immer mehr zum Basar der Superreichen. Menschen wie Andy Bleiker, die das Quartier über Jahre geprägt haben, werden verdrängt. Stattdessen siedeln sich vermehrt profitorientierte Grosskonzerne (aka Google) an, Immobilienfirmen wittern den Profit, den teure Lofts gegenüber bezahlbaren und sozialverträglichen Wohnungen abwerfen.

«Dank Tsüri.ch bin ich zu meinem neuen Geschäft gekommen.»

Andy Bleiker freut sich über seinen neuen Laden

Aber ich würde diese Geschichte nicht erzählen, wenn sie nicht eine überraschende Wendung genommen hätte. Anfang Januar bekamen wir den Hinweis, dass Bleiker umziehen werde. Mein Stichwort: Ich ging bei ihm vorbei. Ich sah den 58-jährigen Fischer schon von weitem vor seinem Laden stehen, wie immer mit verschränkten Armen. Ich blieb stehen und wir unterhielten uns kurz. Bleiker, der noch vor wenigen Monaten sein Leben mit einem Scherbenhaufen verglichen hatte, war wie ausgewechselt. Er strahlte und erzählte, dass er ein paar Strassen weiter einen neuen Laden gefunden habe. Alles war in trockenen Tüchern, der Vertrag unterschrieben und der Umzug geplant. 

Noch am selben Tag trafen wir uns im neuen Laden, der noch einer Baustelle glich. Der neue Ort sei noch passender als der alte, meinte er. Die Lage direkt an der Stauffacherstrasse sei optimal, zudem habe er hier zusätzlich einen Lagerraum und müsse nicht mehr das ganze Sortiment im Laden ausstellen. «Dank Tsüri.ch bin ich zu meinem neuen Geschäft gekommen», sagt Bleiker und schmunzelt. Ein ehemaliger Kunde habe dank unseres Artikels von Bleikers Kündigung gelesen und ihm die Ladenfläche an der Stauffacherstrasse 151 vermittelt.

Solche Geschichten zeigen mir auf, wie wichtig Lokaljournalismus ist. Er vernetzt und bringt Menschen zusammen – Andy Bleiker ist mit seiner Geschichte ein Paradebeispiel dafür, dass Lokaljournalismus mehr sein kann als reine Berichterstattung.

Ermögliche weitere Recherchen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 1500 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 2000 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!

Das könnte dich auch interessieren