Stadtpolitiker:innen stellen sich geschlossen gegen antisemitische Gewalt - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Gemeinderats-Briefing #72: Ein würdevolles Zeichen

Nach dem Messerangriff auf einen jüdischen Mitbürger demonstrieren Stadt- und Gemeinderat Einigkeit. Zu einem Eklat wie zuvor im Kantonsrat kommt es nicht.

Illustration: Zana Selimi (Foto: Zana Selimi)

Nachdem es bei der Kantonsratssitzung am Montag zum Eklat gekommen war und die linken Fraktionen geschlossen den Saal verlassen hatten (wir berichteten), war die Spannung gross, wie der Gemeinderat auf die lebensgefährliche Attacke auf einen jüdischen Mann am Wochenende reagieren würde.

Aussergewöhnlich viele Medienvertreter:innen waren erschienen. Doch statt des befürchteten neuerlichen Skandals bekamen sie von der politischen Führung der Stadt ein würdevolles Zeichen der Geschlossenheit.

Gemeinderatspräsidentin Sofia Karakostas (SP) erklärte zu Beginn der Sitzung, die für die Stadt Zürich wie auch für die ganze Schweiz neue Dimension der Gewalt mache sie sprach- und fassungslos. Ihr folgte Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) mit einem ausführlichen Statement.

«Nur dort, wo Sie sich sicher fühlen, kann auch das Zuhause für uns alle sein.»

Stadtpräsidentin Corine Mauch wendet sich nach dem Messerangriff am Wochenende an die jüdische Bevölkerung.

Die Stadt verurteile den Angriff entschieden und aufs Schärfste, so Mauch. Ein Angriff auf jüdische Mitbürger:innen sei ein Angriff auf unsere Demokratie, unser Zusammenleben und die offene Gesellschaft. «Ich habe die Hoffnung, dass unsere Solidarität ein Trost ist für unsere jüdischen Mitmenschen, und dass sie hilft, verlorenes Vertrauen in unsere Stadtgesellschaft zurückzugewinnen», sagte sie: «Ich werbe in Demut als Stadtpräsidentin um dieses Vertrauen.» Gegenüber den jüdischen Mitbürger:innen erklärte Mauch, ihre Sicherheit habe für den Stadtrat höchste Priorität: «Nur dort, wo Sie sich sicher fühlen, kann auch das Zuhause für uns alle sein.»

Auf Mauchs Rede folgte eine gemeinsame Fraktionserklärung aller Fraktionen von AL bis SVP, die Florian Utz (SP) verlas. Sie appellierte vor allem an die Zürcher Bevölkerung, sich gegen Antisemitismus zu stellen. «Nicht nur alle Parteien und Verantwortlichen, sondern alle Personen in der Stadt Zürich sind gefordert, jegliche Art von Stimmungsmache gegen unsere jüdischen Mitmenschen zu unterbinden», heisst es darin unter anderem. Dass mutige Passant:innen eingeschritten waren, mache diesbezüglich Hoffnung.

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Neustart beim Josef-Areal

In diesem Sinne ging auch die Planung des Josef-Areals bisher ihren Gang. Dort, wo aktuell die alte Kehrichtverbrennungsanlage rückgebaut und die ehemalige Zentralwäscherei zwischengenutzt wird, sollen eigentlich bis 2032 Alterswohnungen, ein Werkhof und ein Hallenbad entstehen. Eigentlich, denn bereits im letzten Jahr formierte sich Widerstand in Form der IG Hardbrücke (wir berichteten damals ausführlich auf Tsüri.ch). Sie forderte angesichts der Wohnungsnot den Bau von 500 gemeinnützigen Wohnungen und dafür einen neuen Planungsprozess. Die Arbeitsgruppe «Josef will Wohnen» schlug wenig später 300 gemeinnützige Wohnungen zusätzlich zu den Alterswohnungen vor.

Nach diesem seltenen und wichtigen Moment der Einigkeit ging der Gemeinderat zu seiner Tagesordnung der Uneinigkeit über. Und diese drehte sich in dieser Woche primär um Arealentwicklungen, Umzonungen und andere Geschäfte des Hochbaudepartements. In der Regel geht es hierbei um sehr langfristige Projekte. Stadtentwicklung will immerhin sorgfältig geplant werden und nicht wenige Akteur:innen haben an den unterschiedlichsten Stellen ein Wörtchen mitzureden.

Dem schloss sich eine Mehrheit aus AL, Grünen, GLP, SP und Mitte/EVP an und reichte im Dezember eine Motion ein, die eine Umzonung für das Gebiet verlangt, um so den Bau von gemeinnützigem Wohnraum zu ermöglichen. Die Stadt habe es auf ihrem Areal selbst in der Hand, der Gentrifizierung in Zürich West entgegenzuwirken, heisst es darin.

Bis auf Weiteres eine Baustelle: Das Josef-Areal. (Foto: Isabel Brun)

Stadtrat André Odermatt (SP) zeigte sich gar nicht begeistert von dem Vorstoss. Schon mit dem aktuellen Projekt sei das Areal bereits dicht beplant, erklärte er. Man müsse sich vor Augen halten, welch ein grosses Volumen so viele Wohnungen bedeuten würden. Bei diesem sei die Hitzeminderung eine Herausforderung.

Der Stadtrat wolle eine lebenswerte Stadt und lebenswerte Quartiere mit menschlichen Standards, so der Stadtrat angesichts der Dimensionen. Zudem müsse der Kanton in diesem Fall einer Umzonung zustimmen und die mit einer Motion einhergehenden zwei Jahre Umsetzungszeit seien für eine sorgfältige Planung viel zu kurz. Odermatt plädierte für eine Umwandlung in ein Postulat. Den damit einhergehenden unverbindlichen Prüfauftrag werde man ernst nehmen.

Interessanterweise folgte die SP ihrem Stadtrat und scherte aus der gemeinsamen Motion aus. Man könne mit dem heutigen Wissensstand nicht um jeden Preis eine Umzonung fordern, erklärte Lisa Diggelmann. Zuerst brauche es Klarheit, was dahingehend möglich sei, und dafür sei das Postulat die bessere Wahl. Da die AL eine Umwandlung allerdings ablehnte, ging die SP in die Enthaltung.

Die SVP wiederum pochte auf Alterswohnungen. Reto Brüesch schlug eine Textänderung vor, um diese im Motionstext festzuschreiben und dafür den Werkhof herauszustreichen. Auch das lehnte die AL ab. Dafür stimmte die FDP der Motion zu. Es sei schade, dass sich das Verfahren dadurch verzögere, so Hans Dellenbach. Doch vielleicht sei es ein Weckruf für die Stadt, bei Projekten zukünftig die Errichtung von Wohnraum zu prüfen.

Ähnlich argumentierte Snezana Blickenstorfer (GLP). «Mir ist es ein Anliegen, dass man aus der Geschichte jetzt lernt und wir wirklich bei jeder Arealentwicklung eine Antwort darauf bekommen, ob man dort Wohnungen bauen kann oder nicht.» Gegen die Stimmen der SVP und eine SP in der Enthaltung fand sich eine grosse Mehrheit für den Neustart beim Josef-Areal.

Erster Schritt für das Seeufer Wollishofen

Ein weiteres sehr langfristiges Projekt ist die geplante Neugestaltung des Seeufers in Wollishofen. Für die zukünftige Nutzung des Gebiets zwischen der Roten Fabrik und der Werft der Zürichsee-Gesellschaft wurde eine umfassende Testplanung durchgeführt und ein Masterplan entwickelt, der im letzten Jahr veröffentlicht und nun im Gemeinderat diskutiert wurde.

Zurückgegangen war die vorgelegte Weisung auf eine Motion von Gabriele Kisker und Luca Maggi (beide Grüne) aus dem Jahr 2019. Sie hatten angesichts des Baus von Luxuswohnungen auf dem Gelände der ehemaligen Franz-Garage in dem Gebiet gefordert, die bisherigen Sonderbauvorschriften für das Kibag-Areal mit einer neuen Gebietsplanung zu ersetzen. Diese hatten der Kibag bisher erlaubt, nach dem Ende der Betonherstellung auf dem Areal Wohnungen zu bauen. Vorgesehen waren Wohnungen im oberen Preissegment (wir berichteten vor zwei Jahren).

Kibag-Areal 2022

Irgendwann steht es nicht mehr da: Das Kies- und Betonwerk der Kibag. (Foto: Michael Schallschmidt)

Die Vorstellung des Masterplans zieht noch keine konkreten Konsequenzen nach sich und ist «ein Startschuss für die weiteren Schritte, die wir an diesem Seeufer in Angriff nehmen werden», wie Stadtrat André Odermatt erklärte. Den Gemeinderatsfraktionen bot sich dabei schon mal die Möglichkeit, sich für diese weiteren Schritte argumentativ in Stellung zu bringen.

Die Testplanung mit ihren partizipativen Ansätzen der Bürger:innenbeteiligung habe ergeben, dass ein höherer Grad an Öffentlichkeit und mehr Freiraum gewünscht werde, erklärte Jürg Rauser (Grüne) bei der Vorstellung der Weisung. Dabei werde das Bedürfnis nach Freizeit höher gewichtet als jenes nach Wohnraum, insbesondere, da die bislang auf dem Kibag-Areal geplanten Wohnungen in Konflikt mit der Freizeitnutzung der Savea-Wiese vor dem GZ Wollishofen stünden. Die Kibag habe im Planungsprozess die Mitwirkung verweigert, was man bedauere.

Claudia Rabelbauer (EVP) meinte, zwar seien Teile des Masterplans wie die Erweiterung des GZ zu begrüssen: «Uns stösst aber auf, dass mit der Verletzung des Rechts auf Eigentum hier allzu leicht umgegangen wird.» Flurin Capaul (FDP) erinnerte daran, dass die Kibag selbst mehrere Jahre lang Vorschläge gemacht habe, unter anderem mit einer Kombination aus einem Quartierpark und Wohnungen.

Ihre jetzige Haltung, das Areal nun bis auf Weiteres weiter gewerblich nutzen zu wollen, rufe Erinnerungen an das Neugasse-Areal im Kreis 5 wach. Dort hatte die Eigentümerin SBB beschlossen, gar keine Wohnungen zu bauen, nachdem eine Mehrheit des Gemeinderats und auch des Volks mehr gemeinnützige Wohnungen als ursprünglich vorgesehen gefordert hatte.

Reto Brüesch (SVP) wiederum fühlte sich an das Areal Brunaupark/Uetlihof erinnert, wo der Gemeinderat einen Mindestanteil von preisgünstigem Wohnraum festgesetzt hatte und die Besitzerin, die Pensionskasse der Credit Suisse, erfolgreich Rekurs dagegen einlegte (wir berichteten). Mit SP, Grünen, GLP und der AL war jedoch eine Mehrheit zufrieden mit dem Masterplan und votierte dafür, ihn zur Kenntnis zu nehmen.

Weitere Themen der Woche

  1. Zentrale städtische Wohnungsverwaltung: Bis auf die Grünen stimmten alle Fraktionen einem Postulat von Flurin Capaul und Roger Suter (beide FDP) zu, das die zentrale Verwaltung aller von der IMMO verwalteten Wohnungen durch Liegenschaften Stadt Zürich fordert. Ein zweiter Teil des Postulats, der das Arbeitsverhältnis der dort Wohnenden betrifft, wurde nach einem Textänderungsantrag von Nicolas Cavalli (GLP) gestrichen und soll in einem neuen Vorstoss münden.

  1. Neue Bauvorschriften für das Maag-Areal: Sven Sobernheim (GLP) und Markus Knauss (Grüne) forderten per Motion, die Sonderbauvorschriften für das Gebiet Maag-Areal Plus einer Teilrevision zu unterziehen. Damit solle der Erhalt der Maag-Hallen und des Parkhauses ermöglicht, die Hitzeminderung sichergestellt sowie der Mindestwohnanteil erhöht werden. Bis auf FDP, SVP und die Mitte/EVP stimmten alle Fraktionen zu. Sie argumentierten wie Stadtrat Odermatt unter anderem mit bewilligten Bauprojekten und laufenden Rechtsverfahren auf dem Areal.

  1. Mehr Geld für das EWZ: Der Gemeinderat hat einstimmig einen neuen Rahmenkredit von 200 Millionen Franken für das EWZ gebilligt. Von den bisher in den letzten 21 Jahren bewilligten knapp 500 Millionen Franken seien nur noch rund 23 Millionen übrig, heisst es in der entsprechenden Weisung. Gegen einen Änderungsantrag der Grünen, das Netto-Null-Ziel der Stadt im entsprechenden Beschluss festzuhalten, wehrten sich FDP und SVP erfolglos. Über den Kredit wird noch das Zürcher Stimmvolk abstimmen müssen.

  1. Zürcher Nachtzüge: Markus Knauss und Roland Hohmann (beide Grüne) haben gestern eine Motion eingereicht, in der sie den Stadtrat auffordern, drei Nachtzugskompositionen zu kaufen und günstig an einen Betreiber von Nachtzugsverbidnungen wie ÖBB Nightjet zur Verfügung zu stellen. Die Anschaffungskosten entsprächen ungefähr den Einnahmen, welche die Stadt in zehn Jahren aus den Dividenden der Flughafen Zürich AG erhalten habe.
  2. Serap Kahriman (GLP) erinnerte in einer persönlichen Erklärung anlässlich des internationalen Frauentags am Freitag, 8. März, an die Gewalt und die vielfältige Benachteiligung, die Frauen immer noch erdulden müssen. Ihre Fraktionskollegin Snezana Blickenstorfer rief dazu auf, morgen zu einer Standaktion gegen sexualisierte Gewalt als Waffe im Nahen Osten am Tessinerplatz zu kommen.

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