Bioläden kämpfen in Zürich ums Überleben: Chornlade kurz vor dem Aus - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Lara Blatter

Co-Geschäftsleitung & Redaktorin

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Von Isabel Brun

Redaktorin

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11. Juli 2022 um 09:00

Das grosse Bioladen-Sterben

Die Genossenschaft Chornlade steht kurz vor dem Aus und versucht zu retten, was zu retten ist. Auch andere Bioläden in Zürich kämpfen ums Überleben oder schliessen bald. Mangelnde Kund:innen und hohe Mieten sind nur ein Teil des Problems.

Mathias Krähenbühl (links) und Fred Frohofer vom Chornlade. Ihnen fehlen weitere 40 Kund:innen pro Tag, damit der Laden im Zollhaus überleben könnte. (Foto: Elio Donauer)

Chez Mamie fünf Tage, Zollfrei 20 Tage und rampe21 knapp 30 Tage. Der Countdown für diese drei Läden läuft. Und auch andere alternative Lebensmittelläden in Zürich kämpfen ums Überleben.

Der Unverpackt-Laden Chez Mamie am Hauptbahnhof schliesst aufgrund mangelnder Kundschaft. Ein Problem, mit welchem sich auch der Bachsermärt, der mehrere Bioläden im Kanton Zürich betreibt, konfrontiert sieht: Dort seien vor allem die Umsätze der städtischen Ladenlokale seit Anfang Jahr massiv zurückgegangen. «Wir befinden uns an zwei Standorten sogar unter dem Vor-Corona-Niveau», sagt Geschäftsführer Carsten Hejndorf. Der Schock sitze tief. Viele Bioläden in der Stadt klagen dasselbe Lied.

Etwas anders sieht es beim Quartierladen nahundfein im Kreis 6 aus, dieser konnte erst kürzlich expandieren. Seit die Inhaberinnen Nicole Alexander und Carolyn Wiskemann den Laden vergrösserten und umgebaut haben, beobachten sie die Veränderungen genau. «Bei uns läuft es gut, wir haben eine grosse und treue Stammkundschaft, aber wenn ich von anderen höre, macht mir das Sorgen», sagt Wiskemann.

Viele Bioläden beklagen dasselbe Problem: mangelnde Kundschaft. (Foto: Elio Donauer)

Die Probleme sind überall ähnliche und sie befeuern sich auch noch gegenseitig: Hohe Gewerbemieten und mangelnde Kundschaft. Die Pandemie, die einst als grosse Hoffnung zu Alternativen zu Migros und Coop gehandelt wurde, schien nur kurzfristig eine Verbesserung gebracht zu haben: Als im Frühling 2020 der erste Lockdwon verhängt wurde, schien das Bewusstsein für Regionales und Saisonales gestärkt, das bestätigten damals diverse Geschäfte. Man nahm sich Zeit und investierte gerne Geld in nachhaltige und regionale Produkte. Damit ist nun scheinbar Schluss. Ist die Stunde der Bioläden vorbei?

Chornlade startet Rettungsaktion

Während viele der Bioläden erst seit Beginn des Krieges in der Ukraine und den Aufhebungen der Coronamassnahmen mit einem Kundenschwund zu kämpfen haben, verspürt die Genossenschaft Chornlade schon seit einigen Jahren einen Rückgang im Umsatz. Die 1982 gegründete Genossenschaft betreibt zwei Lokale: eines am Idaplatz im Kreis 3 und eines im Zollhaus im Kreis 5.

«Uns fehlen weitere 40 Kund:innen pro Tag, damit wir unseren Laden tragen können.»

Fred Frohofer, Genossenschaft Chornlade

Jenes am Idaplatz laufe gut, das Sorgenkind sei die Ladenfläche im Zollhaus. Mit dem Umzug im Frühling 2021 erhofften sich die Genossenschafter:innen den nötigen Aufwind. Dieser blieb jedoch aus. «Uns fehlen weitere 40 Kund:innen pro Tag, damit wir unseren Laden tragen können», sagt Fred Frohofer, langjähriger Genossenschafter. Denn eine grosse Verkaufsfläche hat in Zürich ihren Preis. Dennoch verortet Mathias Krähenbühl, Ladenleiter Chornlade Zollhaus, die Problematik nicht bei den hohen Mieten. Die Genossenschaft Kalkbreite als Vermieterin agiere mit 400 Franken pro Quadratmeter fair und marktüblich. Grund für die finanzielle Schieflage seien die fehlenden Kund:innen. «Die Leute wollen ihr Geld lieber für Ferien oder in Restaurants ausgeben», so Krähenbühl. «Der Gang zum Grossverteiler ist nun mal bequemer und günstiger.» Zynisch ist der Ladenleiter nicht, es sei einfach Fakt, dass die Leute lieber günstig bei den Grossen einkaufen, als auf transparente und nachhaltige Strukturen zu setzen.

Aufgrund der roten Zahlen zieht die Genossenschaft nun die Notbremse. Der Laden am Idaplatz wird von der Genossenschaft abgespalten und unabhängig weitergeführt. Und für das Lokal im Zollhaus, das kurz vor dem Aus steht, suche man nach Investor:innen. «Es existieren Interessent:innen, die die Ladenfläche im Zollhaus übernehmen wollen», sagt Frohofer. Ob es sich hierbei um Kooperationen oder den Verkauf des Ladens an einen Träger handelt, ist unklar – wo genau es mit dem Chornlade hingeht, könne man noch nicht sagen. Verhandlungen seien im Gange. «Wir sind offen für vieles. Einen Konkurs will niemand», ergänzt Krähenbühl.

Rampe21 seit November auf der Suche

Ähnlich dramatisch sieht es für die Food-Kooperative rampe21 aus, die von Grassrooted betreiben wird. Ihr Laden ist quasi eine direkte Kritik am Modell Supermarkt. Mitglieder kaufen in der Rampe vergünstigt ein, nicht-Mitglieder bezahlen etwas mehr. Die Preise und Herkunft der Produkte sind transparent, die Lieferketten kurz und die Margen so tief wie nötig. Die rampe21 gibt es seit Juli 2020 an der Ausstellungsstrasse 21. Die Gewerbefläche gehört der Stadt und vermietet die Räumlichkeiten zur Kostenmiete – sie erhebt also einen Mietzins, der lediglich ihre Kosten deckt. Und auch wenn die Bedingungen optimal scheinen, schliesst die rampe21 per Mitte August ihre Tore. Der Grund: Uneinigkeiten mit der Lebensmittelhändlerin Gebana, die Hauptmieterin der Gewerberäume. Gebana hat Grassrooted gekündigt und plane nun an der Ausstellungsstrasse ihre Produkte selber zu verkaufen. In welcher Form sei noch unklar. 

Annika Lutzke von Grassrooted fordert, dass regionale und biologische Lebensmittel gefördert werden. (Foto: Lara Blatter)

Die Betreiber:innen der rampe21 sind seit November auf der Suche nach einem neuen Standort. «Als nicht-profitorientiertes Unternehmen können wir keine marktüblichen Mieten stemmen», sagt Annika Lutzke, Mitglied von Grassrooted. Für ein neues Ladenlokal könnten sie etwa 2000 Franken bezahlen – mehr läge nicht drin. Für die Verteilung des Gemüseabos haben sie einen Raum gefunden, für die Verkaufsfläche scheint sich nun auch etwas zu ergeben. Ein Zusammenschluss mit einem anderen Geschäft, mit welchem ein gemeinsamer neuer Laden geplant sei. 

Forderungen nach subventionierten Gewerberäumen werden laut

«Wir brauchen Räume, die nicht kommerziell funktionieren», sagt Lutzke. «Regionale und biologische Lebensmittel sollten ein Gemeingut sein und auch so gefördert werden», weshalb sie sich mehr Support von Seiten der Stadt wünscht. In Form von Mietzinsreduktionen oder Fördergeldern. Mathias Krähenbühl vom Chornlade steht dieser Idee skeptisch gegenüber: «Wir wollen keine Subventionen. Unser Ziel ist es, selbsttragend zu sein.»

Selbsttragend sein möchten auch die Zero-Waste-Läden Zollfrei an der Freilagerstrasse, der demnächst schliesst, und das Foifi im Kreis 4. Nichtsdestotrotz sieht die Geschäftsleiterin Tara Welschinger auch die Stadt in der Pflicht, Lebensmittelgeschäfte, die ein nachhaltiges Leben in einem Quartier fördern, stärker zu unterstützen. «Private Vermieter:innen verstehen sich als Investor:innen», fasst Welschinger zusammen, «sie wollen nach ein bis zwei Jahren Erfolge sehen.» So sei es auch beim Zollfrei gewesen; dort habe die Vermieterschaft nach drei Jahren Laufzeit entschieden, den Vertrag nicht zu verlängern. Und das, obwohl diese laut der Ladenleiterin viel in die Gewerberäume investiert und für ein Jahr auf Miete verzichtet hatten. Hätten die Räumlichkeiten der Stadt gehört, wäre es vielleicht anders gekommen, sagt Welschinger.

«Alternative Lebensmittelläden können dazu beitragen, die indirekten Emissionen der Stadt zu senken.»

Rahel Gessler, Gesundheits- und Umweltdepartement Zürich

Rahel Gessler vom Gesundheits- und Umweltdepartement zeigt Verständnis für die Anliegen der Bioläden: «Alternative Lebensmittelläden können dazu beitragen, die indirekten Emissionen der Stadt zu senken.» Subventionierte Gewerberäume seien jedoch keine geeignete Lösung, findet Gessler. Mehr Unterstützung für Betriebe, die der Stadtbevölkerung einen umweltbewussten Lebensstil ermöglichen, soll es ihr zufolge aber bald geben: Die Verwaltung sei gerade dabei, ein entsprechendes Förderprogramm auszuarbeiten, über das im Herbst der Stadtrat und anschliessend der Gemeinderat entscheiden soll. «Mit dem geplanten Förderprogramm nimmt der Stadtrat die Anliegen aus verschiedenen politischen Vorstössen auf», erklärt Gessler. So beispielsweise aus einem Postulat von zwei SP-Politikerinnen, das einen Sammelkredit für Zürcher Akteur:innen fordert, die im Bereich nachhaltiger Ernährung aktiv sind. 

Die Auswahl ist kleiner als beispielsweise in der Migros, dafür saisonal und/oder bio. (Foto: Elio Donauer)

6,6 Prozent des Einkommens für Lebensmittel

Auch wenn die Stadt mehr Unterstützung für kleine Bioläden sprechen würde, das Problem der fehlenden Kundschaft bleibt. Zumal nachhaltige Produkte längst den Sprung in die grossen Supermärkte geschafft haben. Seit November 2021 thront die grösste, Schweizer Alnatura-Filiale am Limmatplatz. Daneben eine grosse Migros-Filiale mit ebenfalls grossem Bio-Angebot, welches zumeist günstiger ist, als es der Chornlade und Co. anbieten. 

Doch ist wirklich das fehlende Geld der Konsumierenden das Problem? Laut dem Bundesamt für Statistik gaben Menschen 2019 in der Schweiz durchschnittlich 6,6 Prozent ihres Haushaltseinkommens für Lebensmittel aus. Im Jahr 2000 waren es noch 8,2 Prozent. Während wir also immer weniger für Lebensmittel ausgeben, steigt das Schweizer Bruttoeinkommen seit vielen Jahren stetig an. In der Stadt Zürich liegt der Medianlohn momentan bei 8000 Franken für eine Vollzeitstelle – davon werden also im Durchschnitt 530 Franken für Nahrungsmittel ausgegeben. «Da muss mir niemand erzählen, dass Essen zu teuer ist. An Lebensmittel sparen ist eine schlechte Idee, davon leben wir», sagt Fred Frohofer und doppelt nach: «Schauen wir an, was alles weggeworfen wird. Essen ist zu billig, sonst würden wir doch nicht so viel Food Waste erzeugen.» 

Während die rampe21, Chez Mamie und das Zollfrei bald schliessen werden, ist die Zukunft weiterer Bioläden gegenwärtig unklar. Der Tenor ist eindeutig: Es läuft nicht gut und man wartet angespannt auf den Herbst. 

Anm. der Red.: Ursprünglich war davon die Rede, dass das Lokal der rampe21 von der Stadt subventioniert wurde. Das war falsch: Die Stadt vermietete die Räumlichkeiten lediglich zur Kostenmiete.

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