Kolumne: Wie kommen Aktivismus und Politik zusammen? - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Mandy Abou Shoak

Kolumnistin

6. Februar 2023 um 13:05

Wie kommen Aktivismus und Politik zusammen?

Unsere Kolumnistin Mandy Abou Shoak fragt sich immer wieder, wie eine Politik aussehen würde, die sich an progressiven feministischen und antirassistische Bewegungen orientiert.

Illustration: Zana Selimi

Ich kann mich noch sehr gut an den feministischen Streik im Jahr 2019 erinnern. Zu dieser Zeit arbeitete ich noch als Hortleiterin an einer Oberstufenschule in Zürich. Bereits mehrere Monate vor dem grossen Streik fragte ich alle Lehrer:innen der Schule an, ob sie sich zu einer Sitzung treffen wollen. Die Mehrheit reagierte nicht, nur von einer Lehrerin erhielt ich eine ermutigende Antwort. Zwei Lehrerinnen schrieben mir gar, dass sie keinen Bedarf für einen Streik sehen würden und dass ein solcher unverhältnismässig sei. Ich war darüber sehr enttäuscht, ja beinahe erschüttert. Denn ich spürte, dass etwas Grosses vor der Tür stand. 

In unserem sozialpädagogischen Team war schnell klar, dass sich die Männer am Streiktag um die Aufrechterhaltung des Betriebes kümmern würden. Wir waren uns einig darin, dass der Betreuungsbetrieb auch während des Streiks gewährleistet sein musste. Einige Schüler:innen hatten am Rande mitbekommen, dass das sozialpädagogische Team geschlossen aus Feminist:innen bestand.

So wendeten sich immer mehr von ihnen mit allerlei Anliegen an uns. Neu standen bei uns dadurch Themen wie beispielsweise die Menstruation an der Tagesordnung. Die Enttabuisierung, also die Tatsache, dass wir im Team offen über unsere eigenen Menstruationsschmerzen sprachen, führte dazu, dass sich Schüler:innen trauten, mit ihren Schmerzen zu uns zu kommen. Plötzlich hatten wir einen Bettflaschen-Vorrat von sechs statt zwei Flaschen. Weiter war die damit einhergehende schwächere Leistungsfähigkeit immer wieder Thema. So verhandelten wir nicht selten – jedoch oft erfolglos – mit Lehrpersonen, ob eine Prüfung nicht einige Tage später geschrieben werden könne.

Dein Körper gehört Dir

Wir verbrachten zudem viele Stunden mit Gesprächen, in denen es darum ging, die Schüler:innen darin zu bestärken, dass ihre Körper ihnen gehören. Oft erzählten sie davon, wie ihre Körper betrachtet, bewertet und hierarchisiert wurden. Wir beobachteten, wie der andauernde Vergleich mit Körpern, die der sogenannten «Schönheitsnorm» entsprechen, den Selbstwert und das Selbstbild von manchen Schüler:innen destabilisierte.

Diese Gespräche und Diskussionen politisierten viele der Jugendlichen. Und heute ist mir klar: Ich hatte Recht mit meinem Gefühl, dass der erste feministische Streik ein wichtiger Moment werden sollte. Allein in Zürich waren damals über 200’000 Menschen auf den Strassen. In der ganzen Schweiz setzten sie sich für Lohngleichheiten, faire Renten, gegen institutionelle Diskriminierung, für eine emanzipative Bildung, gegen geschlechtsspezifische Gewalt, gegen cis Heteronormativität und für Klimagerechtigkeit ein.

Zwischen Parteipolitik und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen

Als Politikerin, die  gerade für den Kantonsrat kandidiert, frage ich mich immer wieder, wie eine Politik aussehen könnte, die sich an progressiven feministischen und antirassistische Bewegungen orientiert. Als Schwarze, muslimische Frau mit Fluchtgeschichte, die sich im Kontext des Schwarzen Feminismus politisiert hat, frage ich mich immer wieder, was es bedeuten würde, wenn ich genau diese Diskussionen, diese Forderungen ins Herz meines politischen Wirkens setzen würde. Was würde das bedeuten in der Konsequenz – so ganz konkret?

Die Schnittstellen und die Verbindungen zwischen Parteipolitik und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen sind abhängig vom Engagement und der Vernetzung einzelner Politiker:innen. Das persönliche Interesse und die persönliche Dringlichkeit formen die realpolitischen Forderungen in den Räten.

In den letzten Jahren durfte ich einige begnadete Aktivist:innen dabei beobachten, wie sie zu herausragenden Politiker:innen wurden. So zum Beispiel Anna-Béatrice Schmaltz, Islam Alijaj, Reis Luzhnica und Dominik Waser. Unter anderen sind es sie, die konsequent Brücken zur Zivilgesellschaft, zu aktivistischen Communitys und NGOs bauen. Ich habe aber auch gesehen, wie ein aktivistisches, ausserparteiliches Engagement zeitlich in Konkurrenz mit den parteipolitischen und mandatsgebundenen Terminen steht.

Es scheint, als würde es an Orten und Gefässen fehlen, an denen unterschiedliche Akteur:innen gezielt zusammenkommen können. Nun ist die Idee eines aktivistischen Beirats ist entstanden, denn es braucht einen institutionalisierten Austausch zwischen Aktivist:innen, Vertreter:innen aus marginalisierten Communities und NGOs, Politikexpert:innen und Politiker:innen. Hierbei dürften intersektionale Perspektiven nicht fehlen. Und weil viele Aktivist:innen oft unbezahlt ihre Expertise zur Verfügung stellen, müsste dafür gesorgt sein, dass ihre Arbeit hier in diesem Kontext über Drittmittel finanziert wird.

Ja, als Schwarze muslimische Feministin, die über den Schwarzen Feminismus politisiert wurde, müsste ich einiges anders machen. Das Crowdfunding zur Finanzierung der Arbeitszeit der Aktivist:innen liegt bereit. 

Mandy Abou Shoak

Menschen beschreiben sie als erfrischend unbequem. Unsere neue Kolumnistin Mandy Abou Shoak ist in Khartum im Sudan geboren, mit ihrer Familie in die Schweiz geflüchtet und im Zürcher Oberland aufgewachsen. Schon früh beschäftigte sie sich mit Ungerechtigkeiten. Einer der erweckensten Momente war jener, in dem sie realisierte, dass marginalisierte Menschen, wie sie selbst, im Kontext von Diskriminierungs- sowie Gewalterfahrungen meist verstummen. Sie verstand, dass das Heraustreten aus der Scham, das Teilen von Erfahrungen, fundamental ist, um in ein Verständnis darüber zu kommen, dass gewisse Erfahrungen kollektiv und damit strukturell sind. Diese Erkenntnis durchzog ihr Leben.

Mandy hat Soziokultur im Bachelor und Menschenrechte im Master studiert. Hauptberuflich arbeitet sie heute bei Brava als Expertin für Gewaltprävention und gibt Weiterbildungen im Bereich geschlechtsspezifischer Gewalt. Als Selbstständige berät sie Organisationen zu Themen rund um Diskriminierung und rassismussensiblen Strukturen. Auch in den zwei Podcasts «Wort.Macht.Widerstand» und «Reden wir! 20 Stimmen zu Rassismus» spricht sie über genau diese Thematiken. Sie ist zudem im Schwarz Feministischen Netzwerk Bla*sh, im Berufsverband der Sozialen Arbeit AvenirSocial und in der SP engagiert. 

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