Was ich schon lange mal über Analsex klarstellen wollte - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Jessica Sigerist

Gründerin untamed.love

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25. Juni 2022 um 06:00

Was ich schon lange mal über Analsex klarstellen wollte

Unsere Kolumnistin Jessica Sigerist, Gründerin des queerfeministische Sexshops untamed.love, möchte mit ein paar Vorurteilen zum Thema Analsex aufräumen – nicht zuletzt weil sie an dessen revolutionäres Potenzial glaubt.

Illustration: Artemisia Astolfi

Analsex ist und bleibt ein Thema das po-larisiert (haha). Jüngstes Beispiel sind die Reaktionen auf die Aufklärungsbroschüre «Hey You» herausgegeben von Sexuelle Gesundheit Schweiz. Dort wird… offenbar zuviel für Vertreter:innen konservativer Kräfte wie der SVP und der NZZ, die sich nun über die staatliche Förderung der Broschüre beklagen. Der Journalist der NZZ unterstellt den Autoren (die Mehrheit der Menschen, die an der Broschüre mitgearbeitet haben sind Frauen) gar Anal-Fixiertheit.

Das ist bemerkenswert, denn gleichzeitig können erwachsene Menschen durchs Leben gehen ohne irgendeine andere Sexpraktik als Penis-in-Vagina-Sex zu kennen und trotzdem wirft ihnen niemand Fixiertheit vor. Höchste Zeit also, mit ein paar Vorurteilen gegenüber Analsex aufzuräumen. 

«Analsex ist eine wunderbar genderneutrale Sexpraktik, da wirklich fast alle Menschen einen Anus haben und, zumindest theoretisch, damit Sex haben können.»

Jessica Sigerist, Kolumnistin und Gründerin untamed.love

Analsex ist mehr als die anale Penetration mit einem Penis

Fehlannahme Nummer eins ist die Vorstellung, dass Analsex gleich die Penetration des Anus durch einen Penis bedeutet. Sowie Penispenetration nicht der einzige Weg ist, mit einer Vulva Sex zu haben (ich hoffe, ihr habt wenigstens das gewusst, liebe SVP und liebe NZZ), ist es auch nicht der einzige Weg mit einem Anus Sex zu haben. Analsex bedeutet genau so die äussere und innere Stimulation der Analregion mit einem Finger, vom Fisting (dem Einführen der ganzen Hand) bis hin zu einem rein äusserlichen streicheln und liebkosen. Analsex bedeutet auch das Küssen und Lecken des Damms und des Anus, das sanfte Eindringen mit der Zunge. Beim Analsex können Toys zum Einsatz kommen, von Prostatavibratoren über (Umschnall-)Dildos bis hin zu Buttplugs. Sie können aktiv bewegt werden oder auch passiv getragen werden, währenddem auf andere sexuelle Aktivitäten fokussiert werden kann. 

Analsex ist für alle

Analsex ist eine wunderbar genderneutrale Sexpraktik, da wirklich fast alle Menschen einen Anus haben und, zumindest theoretisch, damit Sex haben können. Trotzdem halten sich geschlechterspezifische Stereotypen bezüglich Analsex hartnäckig: Männer, die ihn mögen sind schwul und Frauen, die ihn mögen sind Schlampen. Dies scheint besonders bei heterosexuellen cis* Männern dazu zu führen, dass sie gerne einen grossen Bogen um das Thema machen. Ihnen sei hiermit nochmals versichert: Welche Körperempfindungen du magst oder nicht magst, hat nichts mit deiner sexuellen Orientierung zu tun. Und übrigens auch nicht mit deiner Geschlechtsidentität. Menschen die Analsex mögen, können hetero-, pan-, homo- oder bisexuell sein. Sie können Männer, Frauen, nicht-binär, cis oder trans sein. Sie können dabei die gebende oder die empfangende Rolle einnehmen und zwar unabhängig von ihrem Genital. Wie wir gesehen haben, braucht es für Analsex nicht mal einen Penis. Hallo Zunge, Finger, Toys und Fantasie.

«Wenn sich Konservative gegen Analsex-Aufklärungsbroschüren stellen, offenbaren sie damit ihre tief verankerten homophoben, misogynen und transphoben Vorstellungen.»

Jessica Sigerist, Kolumnistin und Gründerin untamed.love

Analsex ist weder eine besonders «harte» noch «krasse» Sexpraktik

Dass Analsex weitläufig als krasse und harte Sexpraktik gilt, ist ehrlich gesagt das Vorurteil, das mich am meisten verwundert. Ich meine, habt ihr es schon mal ausprobiert? Ja, der Anus ist sehr empfindsam und Berührungen können schnell schmerzhaft sein. Und genau deswegen braucht es unglaublich viel Zeit, Geduld, Sanftheit, Kommunikation und Vertrauen dafür. Analsex kann zärtlich sein und sanft, langsam und romantisch. Und ja, auch hart und schnell, wenn du das magst. Aber er ist nicht grundsätzlich härter als andere Sexpraktiken. Man kann sich aggressiv küssen oder sich liebevoll den Arsch versohlen – es ist, was du daraus machst.

Dass ich immer wieder gerne mit wehenden Fahnen für den Analsex ins Feld ziehen, hat übrigens nicht damit zu tun, dass ich finde, alle sollten Analsex haben. Das tu ich nämlich erstens nicht (macht doch was ihr wollt) und zweitens, geht es hier um viel mehr:  Wenn sich Konservative gegen Analsex-Aufklärungsbroschüren stellen, offenbaren sie damit ihre tief verankerten homophoben, misogynen und transphoben Vorstellungen. Die Forderung nach weniger staatlicher Förderung für die sexuelle Gesundheit kommt aus der gleichen Richtung, die in den USA Dragqueens und Abtreibungen illegalisiert. Wir sind nicht dort, aber wir sind auf der Hut. Solange Analsex die patriarchale Weltordnung bedroht, solange haben unsere Fudis revolutionäres Potential.  

*cis bezeichnet Personen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem im Geburtenregister eingetragenen Geschlecht übereinstimmt.

(Foto: Elio Donauer)

Jessica Sigerist

Kolumnistin Jessica Sigerist ist Zürich geboren und aufgewachsen. Sie wusste schon früh, woher die Babys kommen. In ihrer Jugend sammelte sie schöne Notizbücher, alte Kinokarten und Zungenküsse. Sie studierte Ethnologie (halbmotiviert) und das Nachtleben Zürichs (intensiv). Nach vielen Jahren in der Sozialen Arbeit hatte sie die Nase voll, nicht vom Sozialen, aber von der Arbeit. Sie packte wenig Dinge und viel Liebe in einen alten Fiat Panda und reiste kreuz und quer durch die Welt. Sie ritt auf einem Yak über das Pamirgebirge, überquerte das kaspische Meer in einem Kargoschiff und blieb im Dschungel von Sierra Leone im Schlamm stecken.Login

Auf ihren Reisen von Zürich nach Vladivostock, von Tokio nach Isla de Mujeres, von Tanger nach Kapstadt lernte sie, dass alle Menschen eigentlich dasselbe wollen und dass die Welt den Mutigen
gehört. Wieder zurück beschloss sie, selbst mutig zu sein und gründete den ersten queer-feministischen Sexshop der Schweiz. Seither beglückt sie mit untamed.love Menschen mit Sex Toys und macht lustige Internetvideos zu Analsex, Gleitmittel und Masturbation. Jessica liebt genderneutrale Sex Toys, Sonne auf nackter Haut und die Verbindung von Politik und Sexualität. Sie ist queer und glaubt, dass Liebe grösser wird, wenn man sie teilt. Mit ihrem Partner und ihrem Kind lebt sie in Zürich.

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