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3. Juli 2018 um 12:04

Aktualisiert 26.01.2022

Smart City: Was Zürich von Singapur lernen kann (und umgekehrt)

Asien gilt als Kontinent mit vielen Smart-City-Projekten. Der Stadtstaat Singapur steht dabei ganz weit vorne. Professor Gerhard Schmitt, Leiter des Singapore ETH Centre, verfolgt die Diskussion um Smart Cities seit Beginn und erklärt, was wir von den Erfahrungen Singapurs lernen können und wo wir bereits auf dem richtigen Weg sind.

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Gastautor: Nicolas Zahn

Auf den ersten Blick scheint der Stadtalltag in Singapur nicht gross anders als in anderen Metropolen. Doch wer genauer hinsieht, realisiert die Unterschiede. Es gibt wenig Staus, Haltestellen im öffentlichen Verkehr sind praktisch platziert und die Strassenbeleuchtung ist nur angeschaltet, wenn sie benötigt wird. Ein Gang auf die Behörden ist auch nur selten notwendig und wenn, dann geht er schnell vonstatten.

Singapur ist ein rohstoffarmes Land. Umso grösseren Wert legt man auf höchste Effizienz, sei es bei Infrastruktur oder staatlichen Dienstleistungen. Die Versprechen der «Smart City» stiess hier auf offene Ohren, insbesondere der Einsatz von modernster Technologie. Als Stadtstaat im Herzen Südostasiens, der bekannt ist für seine ambitionierten Ziele, begnügt sich Singapur nicht nur mit der Smart City, sondern möchte gleich zur «Smart Nation» werden. Hierfür wurde sogar ein Minister benannt, welcher die Strategie und deren Umsetzung verantwortet.

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Prof. Dr. Gerhard Schmitt, Leiter «Singapore ETH Centre» (Quelle: Nicolas Zahn)

Jemand, der die Entwicklung der Smart City in Singapur und in anderen Ecken der Welt seit Jahren aufmerksam verfolgt, ist Prof. Dr. Gerhard Schmitt. Er leitet das Singapore ETH Centre, welches interdisziplinäre Forschungsprojekte zu Urbanisierung und Resilienz vorantreibt. Dabei setzt er nicht nur auf die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen, sondern auch auf den Erfahrungsaustausch zwischen den Kontinenten.

Keine Angst vor Technologie

Gemäss Schmitt hat «Singapur wahrscheinlich das klügste Smart-City-Konzept» und den politischen Willen, dieses auch umzusetzen. Als 2006 in der Schweiz und Europa noch niemand etwas davon hören wollte, besuchte der heutige Singapurer Smart Nation Minister bereits die «ETH Science City» und liess sich inspirieren.

Gerade zu Beginn des Smart-City-Trends sei die Diskussion gemäss Schmitt allerdings «rein technologiegetrieben» gewesen. «Technologiefirmen haben Städten Hard- und Software zur Verfügung gestellt, um bestimmte Prozesse zu überwachen». Mit dem Internet der Dinge (Internet of Things, kurz IoT) wurde es möglich, über die gesamte Stadt ein dichtes Sensornetzwerk zu legen.

«Doch die Städte konnten meistens nicht so viel damit anfangen», resümiert Schmitt diese erste Phase des Smart-City-Booms, denn sie waren eher Getriebene ohne klare Anforderungen und Strategien. In der zweiten Phase, circa ab 2005, begannen diverse Städte Strategien zu entwickeln, die aber immer noch stark von den technischen Möglichkeiten ausgingen.

Die Städte, welche «vor fünf bis zehn Jahren total Hype waren, von denen redet eigentlich niemand mehr, weil sie so technodriven waren, dass die Menschen kaum eine Rolle spielten und deshalb kümmerten sie sich auch nicht mehr darum», mahnt Schmitt. Ein solches Beispiel ist Songdo in Südkorea: Ausgerufen als Musterstadt und technisch top ausgestattet, finden sich wenige Menschen, die aus diesem Grund dort leben möchten.

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Um Staus im Stadtzentrum zu verringern, nutzt Singapur «Electronic Road Pricing», ein automatisiertes Maut-System. (Quelle: Nicolas Zahn)

Eine weitaus positivere Entwicklung nahm Singapur: Dort hat man es geschafft, das Gros der Technologie in eine übergeordnete Strategie einzubetten. So unterstützen Sensoren und Datenanalysen bei der Optimierung des öffentlichen und privaten Verkehrs und Geoinformationssysteme und Virtual Reality helfen den Stadtplaner*innen Gebäude so zu planen, dass sie verkehrs- und klimatechnisch möglichst günstig liegen.

Technologie spielt hier insofern eine Rolle, als dass sie gewisse Policies erst möglich machen. Sensoren liefern Daten zur optimalen Steuerung des Metronetzwerks, Electronic Road Pricing hilft, den Verkehr in der Innenstadt zu regulieren, und neueste Wasseraufbereitungsanlagen kombiniert mit Aufklärungskampagnen helfen, die Abhängigkeit von Frischwasser zu bremsen. «Nudging» spielt in der Smart City aber ebenfalls eine grosse Rolle. Darunter versteht man die Beeinflussung von Verhalten mittels subtiler Botschaften und Anreize. Die Technologie hilft bei der Planung und Messung, die Policies versuchen dann, auf dieser Basis das Verhalten zu steuern.

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Im öffentlichen Verkehr setzt Singapur neben technischen Möglichkeiten auch auf sogenanntes «Nudging», um Verhalten zu steuern. (Quelle: Nicolas Zahn)

Ein aktuelles Projekt, welches Schmitt leitet, ist das Cooling Singapore Projekt: «Es geht darum, die Temperatur in der ganzen Stadt zu reduzieren, und zwar nicht durch mehr Klimaanlagen, sondern durch die stete Reduzierung von Hitzequellen.»

Das Projekt bringt ETH Forscher*innen zusammen mit Forscher*innen des Massachusetts Institute of Technology, der Technische Universität München und der National University of Singapore. Die Erkenntnisse werden dabei nicht nur für Singapore relevant sein. Schmitt ist überzeugt: «In ein paar Jahren wird man in Zürich und Basel mehr Tage haben, an denen die Klimaanlage läuft, als Tage, an denen man heizen muss.

Keine Angst vor den Bürgern

«Die wirklichen Smart Cities, die sind dort, wo Inklusivität vorhanden ist, wo die Lebensqualität sehr hoch ist und wo die Technologie eigentlich gar nicht so im Vordergrund steht», sagt Schmitt. Er regt deshalb an, nicht von der Smart City zu sprechen, sondern verwendet den Begriff der «Responsive City». «Dabei steht der Mensch und nicht die Technologie im Zentrum.»

Eine der ersten Städte, die sich dieses Konzept zu Herzen genommen hat, war Boston. 2010 hat die Stadt eine zentrale Hotline und später eine App für Bürgeranliegen eingerichtet und einen dazugehörigen «Chief Information Officer» ernannt.

Mittels der App konnten Bürger*innen beispielsweise bei einem Strassenschaden die nötigen Informationen erfassen und das System stellte sicher, dass die Anfrage bei der richtigen Stelle landet. «So hat sich dann auch ziemlich schnell ein Wettbewerb unter den einzelnen Stadtabteilungen entwickelt: Wer kann am schnellsten auf Bürgeranliegen reagieren? Sobald beispielsweise eine Strasse repariert wurde, hat man dem Antragsteller ein Bild hochgeladen mit Feedback. Das ist responsive.»

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Nicht nur in Boston können Bürgerinnen und Bürger die Verwaltung auf Probleme aufmerksam machen. (Quelle: Nicolas Zahn)

Doch das war nur der erste Schritt auf dem Weg zur Responsive City. Der zweite Schritt ist gemäss Schmitt «der direkte Einbezug der Bürgerinnen und Bürger in die Gestaltung der Stadt». Oder wie man in Boston sagen würde: «Move away from complaining towards designing.»

Warum der Einbezug der Bevölkerung in die städtische Planung so wichtig ist, hat Schmitt am eigenen Leib erfahren, während am Hönggerberg das Projekt «Science City» umgesetzt werden sollte. «Wir haben etwas vorgeschlagen, high-tech, mit über 30‘000 Sensoren, total fortschrittlich.» Aber die Zürcher*innen wollten den ersten Masterplan nicht einfach hinnehmen und haben über 1‘500 Unterschriften gesammelt. «Dadurch wurde mir klar, dass man nicht einfach mit Technologie und Jobs argumentieren kann. Man muss mit den einzelnen Menschen sprechen und die Betroffenen nach Input fragen.» In aufwändigen und langwierigen Diskussionen haben sich die Projektverantwortlichen mit den Anwohner*innen auseinandergesetzt. «Das waren die besten Inputs, die wir bekommen konnten.» Ein weiterer Vorschlag zur Science City hatte dann keine einzige Einsprache mehr zur Folge.

Was den geschickten Einsatz von Technologien anbelangt, lohnt sich für Zürich und andere Schweizer Smart-City-Projekte ein Blick ins Ausland. «Doch was die Bürgerbeteiligung anbelangt, muss man den eingeschlagenen Kurs beibehalten und weiter ausbauen.» Denn hier versagen Staaten wie Singapur, die sich schwer damit tun, die Bevölkerung in den politischen Prozess einzubinden. Allerdings kann man sich in der Schweiz auch eine Scheibe bezüglich politischen Willens, Weitsicht und Zusammenarbeit der relevanten Akteure abschneiden. So erstellt Singapur nicht nur Szenarien für kommende Jahrzehnte, sondern vernetzt über eine «Science of Cities»-Gruppe die entscheidenden Akteure von der Stadtentwicklung und der Verkehrsplanung über die Universitäten bis zum Housing Development Board.

Welche Form auch immer die Zukunft der Schweizer Städte annimmt, Schmitt freut sich auf den weiteren Austausch zwischen Osten und Westen. Denn er ist überzeugt, dass beide davon profitieren: «Es gilt praktisch auf jedem Gebiet: Manchmal ist Singapur vorne, manchmal die Schweiz.»

Titelbild: Shawn Ang on Unsplash

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