«Es ist an der Zeit, dass die Politiker:innen aus ihrem Schlaf aufwachen» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Jenny Bargetzi

Praktikantin Redaktion

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12. Mai 2021 um 05:54

Aktualisiert 24.01.2022

«Es ist an der Zeit, dass die Politiker:innen aus ihrem Schlaf aufwachen»

Die Velokultur durch Aktionen fördern, Druck auf die Öffentlichkeit aufbauen und es so den Politiker:innen ungemütlich machen. Wir haben den Velo-Aktivisten Matteo Masserini über sein Engagement befragt und einige spannende Antworten bekommen.

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Velo-Aktivist Matteo Masserini. (Foto: Elio Donauer)

Aktivismus ist ein Teil der Demokratie. Es braucht ihn, um Aufmerksamkeit zu generieren, auf Missstände hinzuweisen und die Politik voranzutreiben. Wir haben in dieser Serie verschiedene Zürcher Aktivist:innen zu ihrem Engagement befragt.

Was mit einer Faszination begann, gehört nun zum Alltag des Veloaktivisten Matteo Masserini vom Verein Vélorution. Seine Projektliste ist lang und sein Engagement gross. Mit uns hat Matteo darüber gesprochen, wie er in die Aktivist:innenszene gekommen ist, warum er sich in politische Prozesse einmischt und wieso sich die Stadt Zürich in seinen Augen zu stark auf ihren Lorbeeren ausruht.

Tsüri.ch: Wie, wann und weshalb bist du Aktivist geworden?

Matteo Masserini: Ich bin im Frühjahr 2018 erstmals an der Critical Mass mitgefahren. Damals waren wir mit 50 bis 70 Teilnehmenden in den Sommermonaten eine überschaubare Gruppe. Kurz darauf sah ich auf Facebook eine Einladung zum «offenen Treffen» der Critical Mass. Das war für mich der Schlüsselmoment. Ich lernte dort ein Dutzend tolle Menschen kennen. Nach ein paar Monaten haben wir beschlossen, uns ausserhalb der Critical Mass als Verein Vélorution zusammenzuschliessen.

Wo kann man in Aktivist:innenszenen/-gruppen einsteigen? Was empfiehlst du Neulingen und weshalb sollte man sich nicht einschüchtern lassen?

Manchmal ist es nicht einfach herauszufinden, wo man sich engagieren kann. Im Kreis der Critical Mass gibt es immer wieder offene Treffen. Du kannst auch selber jederzeit zu einem offenen Treffen einladen. Es werden bestimmt Menschen kommen. Auch bei der Vélorution gibt es oft offene Treffen, die wir «aktivistischer Velotreff» nennen. Wenn du eine Einladung zu einem offenen Treffen siehst, dann solltest du unbedingt hin. Denn bei uns gilt die Devise: Egal ob du schon lange dabei bist oder ganz neu, deine Stimme hat dasselbe Gewicht wie die der anderen.

Wie engagierst du dich konkret?

Mein persönliches Engagement hat sich in den vergangenen drei Jahren stark gewandelt. Seit Beginn fasziniert mich die Philosophie der Critical Mass. Ich versuche stets, diese Philosophie auf inspirierende Weise zu vermitteln. Konkret sind daraus Projekte wie die Kidical Mass, das VeloKino, mitRADgelegenheiten oder das Magazin «xerosoph.in» entstanden. Mein Anliegen ist es, dass der Einstieg für neue Menschen so einfach wie möglich gestaltet wird. So rufe ich gerne zu offenen Treffen auf oder versuche herauszufinden, welche Personen aus der virtuellen Welt auch in echt etwas umsetzen möchten. Ich kontaktiere dann diese Menschen, treffe sie auf einen Spaziergang und zusammen finden wir ein passendes Projekt. Momentan arbeite ich sehr motiviert für die xerosoph.in. Dort haben wir Grosses vor und es gibt für alle genug zu tun.

Auf was für Hürden bist du dabei schon gestossen?

Anfangs habe ich versucht meine Projekte umzusetzen, ohne dabei viele Menschen einzubinden. So bin ich schnell an meine Grenzen gestossen. Seit ich mich öffnen konnte fühlt sich der Prozess viel flüssiger an. Es ist schön, wenn sich Menschen gegenseitig inspirieren und was für unerwartete Projekte daraus entstehen können.

Wie bringst du deine sonstigen Verpflichtungen und dein aktivistisches Engagement unter einen Hut?

Als ich mit meinem Aktivismus begann, studierte ich. Da ich einen äusserst langweiligen Job vor dem PC hatte, nutze ich die Zeit um an meinen Projekten zu arbeiten. Ganz nach der Philosophie der Critical Mass: Lebe die Xerokratie!

Durch mein Engagement durfte ich die vergangenen 18 Monate bei einer Umweltorganisation arbeiten. Nun möchte ich mich ganz meiner Leidenschaft hingeben und habe deshalb meinen Bürojob gekündigt. Um über die Runden zu kommen arbeite ich seit kurzem wieder als Velokurier. Ich bin zuversichtlich, dass ich bald einen Weg finden werde für meinen Aktivismus ein wenig finanziell entschädigt zu werden.

Trennst du Arbeit und Privates oder verschmilzt das mit der Zeit?

Ein Grossteil meines Aktivismus besteht daraus, mit anderen Menschen in Kontakt zu gehen. So sind in den vergangenen Jahren schöne Freundschaften entstanden. Das ist ein wesentlicher Aspekt, der mir am Aktivismus gefällt. Mir ist es jedoch genauso wichtig, Ruhephasen zu haben. Das fällt mir nicht immer gleich leicht. Das macht aber nichts: Ich finde es wichtig auf meine Bedürfnisse zu hören und auch mal über andere Themen nachzudenken oder die Natur zu geniessen und einfach nur abzuschalten.

Wird dir manchmal alles zu viel?

Ja, es ist schon mehrmals vorgekommen, dass ich sehr viel Zeit in meine Projekte gesteckt habe. Ich habe gelernt, auf mich zu hören. Jede Person hat Schwankungen des Energielevels. Manchmal kann ich mega intensiv arbeiten und manchmal brauche ich eine Pause. Diese Pausen gönne ich mir dann auch. Ein wichtiger Bestandteil des Aktivismus ist Kreativität. Mir kommen die Ideen, wenn ich einen Spaziergang am Limmatufer oder im Wald mache. Es bremst mich also nur, wenn ich nicht auf mich höre und mein Verlangen nach aktivistischen Pausen überhöre.

Weshalb ist es so wichtig, sich aktiv in politische Prozesse einzumischen?

Wir können unsere Umwelt mitgestalten. Wenn du etwas siehst womit du unzufrieden bist, dann ist es Zeit für dich aktiv zu werden. Die Probleme auf dieser Welt sind gross. Das gibt mir manchmal ein Gefühl der Ohnmacht. Doch ich bin überzeugt, dass sich gesellschaftliches Engagement lohnt. Wähle ein Thema, dass dir am Herzen liegt und versuche die Welt in diesem Aspekt zu einem schöneren Ort zu machen.

Wir können die Personen sein, die es den Politiker:innen ungemütlich machen, weil wir sie beobachten.

Matteo Masserini

Unsere Leserschaft wollte in der Umfrage zum Thema Aktivismus wissen: «Was bringt Aktivismus, wenn schlussendlich sowieso alle bewegenden Entscheidungen über die (langsame) Politik laufen?»

Wir können Druck aufbauen. Es ist an der Zeit, dass die Politiker:innen aus ihrem Schlaf aufwachen. Dazu muss sie etwas beissen. Wir können die Personen sein, die es den Politiker:innen ungemütlich machen, weil wir sie beobachten. Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir eine Lösung aufzeigen. Wir üben uns in dieser Lösung, lernen und verbessern unsere Ansätze. Wenn wir die Lösung haben, dann kann der Staat diese Lösungen übernehmen.

Was läuft in der Stadt Zürich so richtig falsch?

Zürich gehört zu einer der reichsten Städten der Welt. Die Politik ruht sich auf diesen Lorbeeren aus, obwohl die amtierenden Politiker:innen sehr wenig dazu beigetragen haben.

Hast du einen Verbesserungsvorschlag?

Ich bin überzeugt, dass es mehr partizipative Prozesse braucht. Warum wird die Grünfläche unter den Bäumen regelmässig gemäht, anstatt dass dieser seltene Platz genutzt wird um die Biodiversität zu fördern? Warum erhalten Fussgänger:innen und Velofahrer:innen nicht einen gerechten Anteil des öffentlichen Raums? Hier liegt es an uns, dass wir durch Initiativen (ich meine damit nicht das Unterschriftensammeln, sondern das Aktivwerden von dir und mir) aufzeigen was wir wollen und wie wir es machen wollen.

Wie hat sich der Aktivismus durch Corona verändert?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Projekte, die schon vor Corona existierten mehr Mühe hatten umzustellen. Denn auch, wenn konkrete, physische Projekte nicht durchgeführt werden können, ist es eine gute Gelegenheit die Projekte vorzubereiten, dass man als Kollektiv bereit ist, wenn es wieder losgeht mit den Sachen die richtig Spass machen. Das Kollektiv rund um die xerosoph.in hat jedoch klar gezeigt, dass auch zu Corona-Zeiten schöne Projekte entstehen können. Ich bin überwältigt, welch ein Vertrauen wir aufbauen konnten und dass ein analoges Projekt komplett Digital entstehen kann.

Mit welchen Aktionen haben du und deine Mitstreiter:innen einen sicht- und messbaren Erfolg verzeichnet?

Vergangenen Sommer konnten wir durch eine Massenmail-Aktion an eine Stadträtin den Dialog voranbringen. Im Herbst haben wir eine Massenmailaktion zur Reservationspflicht für den Velotransport in den Zügen zuhanden der SBB gemacht. Diese Aktion kam u.a. im Tagesanzeiger und in der Westschweiz konnten wir sogar dieses Thema in die Medien bringen. Mit der Critical Mass-Soliposter-Aktion konnte sich die Critical Mass-Community mit den gebüssten Aktivist:innen solidarisch zeigen und die Bussen wurden durch Spenden beglichen. Die Kidical Mass (eine Critical Mas für Kinder) wurde von Organisationen aus Bern und Baden kopiert, was uns natürlich sehr schmeichelt. Nicht zuletzt konnten wir durch die xerosoph.in bereits mit der ersten Ausgabe verschiedene Critical Mass-Städte miteinander vernetzen.

Was habt ihr/hast du für Pläne für die kommenden Monate?

In den kommenden Wochen erscheint bereits die zweite Ausgabe der xerosoph.in. Für den 8. Mai ist zudem eine Kidical Mass geplant und natürlich werden wir auch am Parcours «Misch dich ein!» präsent sein. Unser VéloKino-Team wartet zudem schon ungeduldig darauf, endlich wieder ein VéloKino durchführen zu können. Mit Stadt-Land-Velo wollen wir die Stadtbevölkerung aufs Land bringen und für regenerative Landwirtschaft sensibilisieren. Und ein paar weitere Projekte sind noch in der Pipeline. Ja, ihr seht: Die Velosaison hat begonnen und da ist die Vélorution nicht zu stoppen!

Serie «Zürcher Aktivist:innen»
Aktivist:innen bewegen mit ihrem Engagement eine Stadt. Für diese Serie haben wir sechs Aktivist:innen getroffen und sie gefragt, wieso sie sich für etwas einsetzen und was es für Schwierigkeiten gibt.

1. Matteo Masserini – Vélorution

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