Lügner: «Beim Radio leiste ich Entwicklungshilfe für Schweizer Rap» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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13. Dezember 2017 um 14:40

Lügner: «Beim Radio leiste ich Entwicklungshilfe für Schweizer Rap»

Der 44-jährige Lügner macht seit Anfang der 90er-Jahre Mundartrap und ist ein Urgestein der Zürcher Rapszene. Seit 2009 moderiert er das «Black Music Special» auf SRF 3. Tsüri.ch hat Lügner getroffen, um über Themen wie seine «straight edgeness», «No Billag» und seinen Job als Musikredaktor zu sprechen.

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Lügner ist einer der Wegbereiter des Zürcher Mundartraps. Mitte der 90er-Jahre bot er vielen bekannten Rappern, wie Bligg oder Rennie von «Sektion Kuchikästli», erstmalig die Möglichkeit für professionelle Aufnahmen. Mit seiner Unterstützung ist das erste Zürcher Mundartrap-Vinyl «Zürisläng 95, die Erscht» entstanden. Als Teil der Crew «paar@ohrä» hat er kleinere und grössere Erfolge in- und ausserhalb der Szene gefeiert. «Paar@ohrä lässt die Dada-Tradition Zürichs wiederaufleben», schreibt die NZZ Anfangs 2001. Im Jahre 2005 erscheint mit «Kukelikki» Lügners erstes und einziges Solo-Album. Es gilt bis heute als Zürcher Rap-Klassiker. An seiner Musik werkelt Lügner heutzutage meistens für sich. Öffentlich tritt er vor allem als Moderator der SRF 3-Sendung «Black Music Special» in Erscheinung.

Als «paar@ohrä» habt ihr damals ein ganz eigenes Soundbild geprägt. Wie kam eure Musik eigentlich innerhalb und ausserhalb der Szene an?

Damals war es so, dass es nur alle zwei Monate ein Hip-Hop-Konzert gab, beispielsweise im Stufenbau in Ittigen, in der Nähe von Bern. Da hat sich dann die ganze Deutschschweizer Szene getroffen. Auf dem Weg dorthin hat sich der Zug langsam gefüllt und am Ende wurde in zwei Waggons gebeatboxt und gefreestyled. Auf diesen Fahrten und Konzerten hat man sich gegenseitig geholfen und Tipps gegeben, aber eben auch Respekt gezollt. Wir waren eine Zwangsgemeinschaft, denn ausserhalb unseres kleinen Kreises fand unsere Musik jeder Schrott. Unsere Mütter schüttelten den Kopf, und wenn wir in der Aula unserer Schule aufgetreten sind, haben sich die Mädchen abgedreht und die Jungs den Raum verlassen.

Gab es keine Rivalitäten?

Im Kanton Zürich haben wir und «Gleiszwei» für lange Zeit die einzigen zwei Studios weit und breit gestellt, bei denen man für einen Kasten Bier aufnehmen konnte. Und obwohl wir «Gleiszwei» geil fanden, waren wir schon angepisst, als sie drei Wochen vor uns das erste Rap-Musik-Video auf «Viva Swizz» veröffentlicht haben. Das hat uns so genervt, weil wir doch eigentlich die Video-Freaks waren. Und dann waren Video und Track auch noch verdammt gut. Die Szene war aber zu klein, um sich ernsthaft in Rivalitäten zu ergehen. Schlussendlich waren wir alle froh, dass es mit der Sache vorwärts ging.

Ihr habt ja auch Erfolg gehabt. Die NZZ hat euren Rap mit dem neuen Dadaismus verglichen. Wie habt ihr das damals aufgenommen?

Wir haben das mad gefeiert. Es war ein Adelsschlag für uns, deshalb haben wir den Artikel auch als Titelbild für unsere nächste Single-Auskopplung verwendet. Ich erzähle den Leuten heute noch von diesem Artikel, wenn sie nach «paar@ohrä» fragen. Damit sie unseren Status besser verorten können. Dabei finde ich nach wie vor, dass es ein wenig zu hoch gezielt war. Man hat uns an einen Ort hingeadelt, denn wir aus unserer Sicht nicht wirklich verdient haben.

In einem Interview von 1999 habt als «paar@ohrä» auf die Frage nach dem kommerziellen Erfolg von Schweizer Rap geantwortet: «Alle Jungs, die wir kennen, wären sich viel zu schade dafür, als Musik-Stars zu "blowen"». Zumindest Bligg war sich selbst nicht zu schade dafür...

Wir sind manchmal zusammen im Auto an Konzerte gefahren und alle wollten «Wu-Tang» oder «Das EFX» hören – ausser Bligg. Er kam schon damals mit einer «Mary J. Blige»-Platte an und wir mussten ihm klarmachen, dass er zu Fuss nach Hause gehen müsste, wenn er noch einmal einen solchen Musikwunsch äussert. Wir waren damals ziemlich engstirnig unterwegs. Im Nachhinein muss ich Bligg zugestehen, dass er sich treu geblieben ist: Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Mainstream-Musik mag und mit Rap Geld verdienen möchte. Heute zahlt Bligg mit seiner Musik 20 Familien den Lohn. Das respektiere ich und im Gegensatz zu früher glaube ich heute, dass die Musik von Bligg gut neben dem realen Untergrund-Rap koexistieren kann.

Was hältst du vom Zürcher Rap zurzeit?

Die Zürcher Szene ist eher dünn. Natürlich gibt es so viele Rapper wie nie zuvor. Aber für mich als Musikredaktor gibt es wenig Crews, bei denen ich denke: «Wow, die muss ich unbedingt in meiner Sendung spielen!» – Luzern killt da gerade viel mehr. Es tut sich aber was. Gerade an der letzten «Bounce Cypher» hat mir der Zürich-Block schon wieder viel besser gefallen – vor allem wegen Arthi und Jears.

Wird es wieder ein Album von dir geben?

Ich habe Textideen bis zur Decke und stapelweise Beats, aber es fehlt die Dringlichkeit. Zurzeit habe ich keine bestimmte Message zu verbreiten. Ich musiziere einfach vor mich hin und erfreue mich daran – das reicht mir völlig. Aber es gibt immer wieder Leute, die von mir neue Musik fordern. Dafür habe ich viel Liebe. Dieser Nachfrage werde ich sicher mal noch nachkommen.

Es ist bald 13 Jahre her seit deinem letzten Soloalbum. Hast du nicht Angst vor allfälliger Nicht-Resonanz?

Natürlich muss ich mich der Realität stellen. Ich bin jetzt 44 Jahre alt. Es gibt viele Homies, welche nicht auf mich gewartet haben. Aber Angst habe ich mehr vor dem berüchtigten zweiten Album. «Kukelikki» fand gefühlt jeder geil, das macht Druck. Es ist 13 Jahre her, ich wohne an der Töss und schaue in den Wald – da frage ich mich: Darf ich überhaupt noch Rap machen? Welche Relevanz wird das noch haben?

Was gab damals die Dringlichkeit?

Zur damaligen Zeit habe ich mich gerade entschieden, fortan Straight Edge zu leben und habe mir selbst beweisen wollen, dass ich auch ein gutes Album machen kann, ohne ständig betrunkenund bekifft zu sein. Das war sehr wichtig für mich.

Wie kam es dazu, dass du Straight Edge geworden bist?

Damals war ich fast 30, hatte soeben meine gemeinsame Multimedia-Firma mit Tiisär von «paar@ohrä» aufgegeben und hatte keinen festen Job. Um einen geregelten Job zu bekommen, musste ich mir abgewöhnen, jeden Tag bekifft und betrunken zu sein. Weil es bei mir nur alles oder nichts gibt, habe ich dann gleich alles runtergefahren und bin straight edge geworden. Mein Arzt hat nur den Kopf geschüttelt, als ich von zehn Joints am Tag gleich auf null reduziert habe. Entsprechend hatte ich Angstzustände und befand mich einige Zeit in der Embryonal-Phase, in der mir sogar Rosamunde-Pilcher-Filme zu hart eingefahren sind.

Hast du durch deine plötzliche Abstinenz Freunde verloren?

Vielleicht habe ich Freunde verloren und es nicht gemerkt. Aber mein Umfeld hat meine Abstinenz gut aufgenommen. Ich kann immer noch mit meinen Homies rumhängen, während sie trinken und kiffen. Trotz meiner Nüchternheit haben wir es lustig miteinander. Die Erkenntnis, dass dies möglich ist, war für mich das Beste an diesem ganzen Prozess.

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Du produzierst seit Jahren die Sendung «Black Music Special» auf SRF 3. Macht es immer noch Spass, sich Woche für Woche durch hunderte Alben zu hören?

Es gibt durchaus Aspekte der Arbeit, die weniger Spass machen. Ich höre mir jeweils hunderte Alben an und entscheide bei jedem ungefähr nach zehn Sekunden, ob ich es mir später nochmals richtig anhören werde. Da habe ich oft ein schlechtes Gewissen, weil ich selbst weiss, wieviel Arbeit in so einem Album steckt.

Gibt es im Schweizer Rap Künstler*innen, welche du «verschlafen» hast?

Eigentlich nicht. Ausser vielleicht Hans Nötig. Ich habe ihn nur an Battles betrunken auf die Bühne torkeln sehen, wobei er dann trotzdem immer abgerissen hat. Seine Tracks und Alben habe ich mir aber lange Jahre nicht angehört. Was mir an Hans Nötig eben nie gefallen hat, war seine ständige drüfni. Vielleicht darum, weil ich mich ihn ihm wiedererkannt habe. Er hat mich sogar für einen Part auf seinem Album angefragt. Es ist nicht zustande gekommen, weil ich das Telefon nie mehr abgenommen habe. Einfach weil ich nicht wusste, wie ich mit der Situation umgehen würde, wenn ich ihn persönlich treffe. Ich fühle mich nicht wohl in der Gegenwart dieses Menschen, aber ich fühle mich sehr wohl in seiner Reimwelt. Ich höre also Hans Nötig im Auto, möchte ihn aber nicht unbedingt persönlich treffen.

Kann man das Werk eines Künstlers feiern, obwohl man mit der Person hinter dem Künstler Mühe hat?

In vielen Fällen kann ich das nicht. Ich habe am Radio schon gesagt, dass ich die neue Platte von Chris Brown nicht spiele, weil ich einen verurteilten Frauenschläger nicht unterstützen will. Dafür habe ich wütende Mails von Frauen bekommen, obwohl ich meiner Meinung nach auch für sie eingestanden bin. Mein Vorgänger beim «Black Music Special» hat immer gesagt, man könne wohl kein Album mehr hören, wenn man von jeder und jedem wüsste, was er oder sie privat schon alles getan hat. Man muss einen Weg finden, das zu trennen. Ich entscheide jeweils von Fall zu Fall – leider noch ohne wirklich klare Linie.

Rapper wie Skor oder Dabu behaupten in Interviews auf Tsüri.ch, dass man in der Schweiz nur von Musik leben kann, wenn man auf SRF 3 gespielt wird. Stimmst du dieser Aussage zu?

Wenn du es schaffen willst, in der Schweiz Platten zu verkaufen und Geld zu verdienen, dann kommst du am SRF nicht vorbei. Für das ist der Schweizer Markt zu klein. Für den Schweizer Rap ist es einfacher geworden, im Radio zu laufen, weil rapaffine Leute wie Lukie Wyniger, Pablo Vögtli, Mauro Wolf oder ich als Musikredaktoren tätig sind. Wir hocken als Experten in der Runde und leisten Entwicklungshilfe, indem wir den übrigen Redaktoren erklären, warum Rapper wie Xen oder Mimiks relevant sind. Für den Erfolg, den Schweizer Rap aber hat, wird er im Radio durchaus zu wenig gespielt. Rap ist nach wie vor zu eckig für Mainstream-Radios.

Magst du das SRF überhaupt noch verteidigen, wenn die «No Billag»-Abstimmung doch erst im März stattfindet?

Ich habe jahrelang meinen Stimmzettel abgegeben und über das Schicksal anderer abgestimmt. Und jetzt trifft es halt mal mich persönlich. Das muss man aushalten können. Es wäre aber gelogen zu sagen, dass es einfach wäre, jede Sendung fröhlich anzugehen, wenn man weiss, dass vielleicht bald alles vorbei ist. Deshalb freue ich mich, wenn die Leute bei mir im Dorfladen mit mir übers Radio reden wollen und ich ein wenig Aufklärungsarbeit leisten kann.

Quelle Titelbild: Marco Büsch

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