Fabian Molina in den Bundesrat? «Klar, es wäre ungewöhnlich» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Steffen Kolberg

Redaktor

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21. August 2023 um 04:00

«Ich bin einer derjenigen, der sich das ernsthaft überlegt»

Fabian Molina ist 33 und war bereits Juso-Präsident, Gemeinderat, Kantonsrat und jüngster Nationalrat der Schweiz. Nun denkt der SP-Politiker darüber nach, als Nachfolger von Alain Berset für den Bundesrat zu kandidieren. Denn dass die junge und urbane Schweiz in der Regierungspolitik praktisch gar nicht vertreten ist, sei ein Problem, findet er.

Fabian Molina

An der Langstrasse zuhause: Fabian Molina. (Foto: Ladina Cavelti)

Steffen Kolberg: Alain Berset war in diesem Jahr auf der Streetparade in Zürich und feierte auf einem Umzugswagen mit. Die Einladung an den Bundesrat kam von dir. Warum war es dir wichtig, dass ein Regierungsvertreter bei der Technoparade mitfeiert?

Fabian Molina: Die Streetparade als bedeutende Kulturveranstaltung der Schweiz und grösste Technoparade der Welt ist ein sehr wichtiger Anlass für Zürich, aber es kam noch nie ein Regierungsmitglied vorbei. Alain Berset ist unter anderem Kultur- und Gesundheitsminister, und das sind Themen, die an der Streetparade zusammenkommen. Ich fand es ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung, dass er vorbeikam. Es war sehr lustig, mit ihm zu feiern, und es gab mir aber auch die Möglichkeit, mich nach der Sommerpause etwas länger mit ihm zu unterhalten – über die Beweggründe für seinen Rücktritt und seine Zeit als Bundesrat. Was mir dabei auffiel: Berset war sehr begeistert von der Street Parade und davon, wie friedlich alles ablief. Aber auch etwas überrascht, denn es war eine Welt, die er nicht kannte. Da wurde mir wieder bewusst, dass die urbane, junge und offene Schweiz in Bundesbern in gewisser Hinsicht unbekannt ist.

Wer könnte diese urbane Schweiz denn nach dem Rücktritt Bersets am besten vertreten?

Es gibt innerhalb der SP verschiedene Persönlichkeiten, die das könnten. Ich bin einer derjenigen, der sich das sehr ernsthaft überlegt. Denn ich glaube, dass ich etwas beitragen könnte, das andere nicht können.

Was wäre das?

Bei einer Wahl wäre ich der zweitjüngste Bundesrat, den es je gegeben hat. Ich bin jemand, der vom Land kommt, aber seit Jahren an einem urbanen Brennpunkt der Schweiz wohnt, nämlich direkt bei der Langstrasse. Hier trifft die Gentrifizierung auf das Sexmilieu und die Obdachlosigkeit, ich sehe täglich, dass es in der reichen Schweiz auch viel Armut gib. Hier werden dutzende Sprachen gesprochen und das ist sehr bereichernd fürs Quartier. Diese Seite der Schweiz kommt in der Regierungspolitik seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, nicht vor. Und ich glaube, das ist ein Problem.

In welchen Bereichen bräuchte es denn konkret eine städtische Perspektive im Bundesrat?

Da gibt es viele. Heute spricht die Mehrheit über die Migration aus einer Perspektive der Ablehnung, des Hasses und der Intoleranz diskutiert. Und viel zu viele äussern sich offen fremdenfeindlich. Das repräsentiert aber weder die Realität noch die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Städte. Als Schmelztiegel sind sie immer auch Treiberinnen des Fortschritts, weil dieser Austausch extrem viel Wertschöpfung und neue Ideen generiert. Auch bei der EU-Politik braucht es endlich eine urbane Sicht in der Regierung: Die Städte sind auf einen geregelten und guten Austausch mit Europa angewiesen, um Wertschöpfung und Innovation für das ganze Land zu schaffen. Die Abschottungstendenzen bereiten mir Sorge! Die Städte sind oft Vorreiterinnen. Oder nehmen wir die liberale Drogenpolitik der Schweiz: Die Stadt Zürich ging voraus und nun gehört die Schweiz zu den Pionieren, um Lösungen zu finden.

«Ich bin überzeugt, dass es nicht nur über 60-Jährige in der Regierung braucht.»

Fabian Molina

Denkst du, du hättest reelle Chancen, gewählt zu werden? Schliesslich giltst du als unbequemer Idealist, der sich für seine Haltung auch mal guten Gewissens Ärger einhandelt. Das Bild von Bundesrät:innen geht ja eher mit Ausgleich und Kompromissbereitschaft einher.

Ich habe schon verschiedene Rollenwechsel durchgemacht, vom Juso-Präsidenten zum Parlamentarier zum Beispiel. Aber klar, es wäre ungewöhnlich. Darum ist für mich entscheidend, wie die nationalen Wahlen am 22. Oktober ausgehen. Wenn die Linke da gestärkt wird, dann ist die Ausgangslage für eine Bundesratswahl eine andere als wenn die Linke die Wahlen verliert. Wir brauchen ganz grundsätzlich neue Mehrheiten in der Regierung. SVP und FDP haben im Land keine Mehrheit, aber im Bundesrat schon. Mit dem Rücktritt des Alain Bersets und des Bundeskanzlers gibt es eine reale Chance, den Bundesrat repräsentativer zu machen – politisch, aber auch von den Lebensrealitäten her. Die nationalen Wahlen sind deshalb auch die wichtigste Grundlage meiner Überlegung, ob ich mich effektiv zur Verfügung stelle oder nicht. Bis am 22. Oktober müssen wir alles geben, damit in unserer Gesellschaft weniger Hass, Intoleranz und Kaltherzigkeit und mehr Menschlichkeit, Solidarität, Grosszügigkeit und Herzlichkeit bestimmend sind.

Was qualifiziert einen Fabian Molina als Bundesrat?

Ich bin seit zwölf Jahren in Parlamenten, davon inzwischen fünf im Nationalrat. Als Co-Präsident der Stiftung Swissaid trage ich Verantwortung für rund 200 Mitarbeitende in zehn Ländern. Ich spreche vier Sprachen. Natürlich stehe ich mit meinem Alter noch nicht 25 Jahre oder mehr im Berufsleben. Ich bin überzeugt, dass es nicht nur über 60-Jährigen in der Regierung braucht, sondern auch jüngere.

Du findest also, dein Alter muss dir für eine mögliche Wahl nicht unbedingt im Weg stehen, es braucht stattdessen viel eher einen Perspektivwechsel auf das Amt?

Bis zu den letzten Wahlen 2019 galt zum Beispiel der Ständerat eher als ein Altherrengremium. Dann wurden auf einmal viele jüngere Frauen gewählt, was dem Gremium sehr gut getan hat. Das hat zu einer Veränderung der Kultur beigetragen. Heute werden im Ständerat viel mehr Lebensrealitäten berücksichtigt.

Du bist sehr aktiv im Bereich Aussenpolitik, hast eine klare Haltung bezüglich Menschenrechten, China- und EU-Politik und kritisierst in der Hinsicht gerne Aussenminister Ignazio Cassis. Das Aussenamt wäre also eigentlich prädestiniert für dich. Würdest du dort alles auf den Kopf stellen?

Nein. Die Schweizer Aussenpolitik hat über viele Jahrzehnte in vielen Bereichen einen sehr guten Job gemacht und hatte international einen guten Ruf. Aber einerseits kann man nicht ausblenden, dass sich die Welt mit dem Krieg gegen die Ukraine sehr stark verändert hat. Das bedingt, dass die Schweiz ihre sehr strikt ausgelegte Neutralität neu definiert. Einfach mit allen Seiten Geschäften zu machen und bei Geldern des Putin-Regimes wegzuschauen, liegt nicht mehr länger drin. Ignazio Cassis ist ein Freisinniger, für ihn ist die Aussenwirtschaftspolitik am wichtigsten. Für mich als Sozialdemokrat geht es vorrangig um eine regelbasierte Weltordnung und die Frage, was die Schweiz dazu beitragen kann, dass es den Menschen auf der anderen Seite des Planeten besser geht.

Die GLP-Politikerin Sanija Ameti hat gerade in einem Gastbeitrag in der Zeit für eine stärkere Annäherung an die EU geworben. Das ist etwas, für das auch du plädierst. Manche Schutzfunktionen, die sich die Schweiz zum Beispiel für die heimische Landwirtschaftsproduktion oder die Arbeitnehmer:innenschaft herausnimmt, sollten aber doch auch in deinem sozialdemokratischen Interesse sein, oder?

Nach dem knappen Nein zum EWR-Beitritt hat man das Feld der Europapolitik 30 Jahre lang primär der SVP überlassen. Da herrschen inzwischen viele Zerrbilder darüber vor, für was die EU alles verantwortlich sein soll. Natürlich gibt es Herausforderungen, wenn es um eine bessere Integration der Schweiz in die europäischen Institutionen und den europäischen Binnenmarkt geht, aber das ist nichts, was unlösbar ist. Man muss jedoch vor allem dafür sorgen, dass der Wohlstandsgewinn, der durch mehr europäische Zusammenarbeit entsteht, auch allen zugute kommt. In der Vergangenheit haben vor allem ein paar Unternehmer:innen davon profitiert, aber nicht die grosse Mehrheit der Bevölkerung.

Neu-Bundesrät:innen werden in der Regel nicht direkt in ihr Lieblings-Departement gewählt, sondern müssen sich erst einmal ein paar Jahre in anderen Funktionen im Bundesrat behaupten. Welche Ämter würden dich sonst besonders interessieren?

Wenn man sich eine Kandidatur für den Bundesrat ernsthaft überlegt, dann muss man sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass man jedes Departement bekommen könnte. Wenn ich mich dafür entscheiden würde, dann müsste das auch eine Voraussetzung sein, so viel ist klar.

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