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Von Annika Müller

Praktikantin Civic Media

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16. Mai 2020 um 08:53

So organisieren sich die Corona-Rebell*innen

Die «Corona-Rebellen» organisieren sich über Telegramchats, in denen das Denken und Handeln der Rebell*innen sichtbar wird. Ein exklusiver Einblick in eine Bubble, in der Meinungen wie «Die Zionisten halten uns als Fieh Zuchtsklaven» unwidersprochen bleiben. Laut Stadtpolizei sind solche Aussagen strafrechtlich relevant.

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Bild: Elio Donauer

Am vergangenen Wochenende wurde in Zürich demonstriert gegen – ja gegen was denn eigentlich? Auf dem Sechseläutenplatz tummelten sich unterschiedliche Menschen, deren Anliegen ein breites Spektrum abdeckten. Was sind die Ziele der selbst ernannten «Corona-Rebellen» und wie organisieren sie sich?

Auf dem Messaging-Dienst Telegram finden sich mehrere öffentliche Chats, in denen sich die Demonstrierenden und Gleichgesinnte zusammenschliessen. In der Deutschweiz organisieren sie sich in einem Chat namens «Corona Rebellen Offiziell», dem knapp 2000 Mitglieder angehören. Ergänzt wird dieser durch regionale Chats wie beispielsweise dem «Aktionsraum ZH». Die Heterogenität der Demonstrant*innen vom vergangenen Samstag widerspiegelt sich auch in diesen Chats. Aus den täglich hunderten Nachrichten kristallisiert sich keine klare Richtung oder Ideologie heraus.

Dem Vorwurf, dass einige Nachrichten dem rechten Spektrum angehören, wird im Chat mit folgenden Parolen entgegen gehalten: «Wir sind nicht links! Wir sind nicht rechts! Wir sind Patrioten! Wir kämpfen für unsere Freiheit! Wir wollen Weltfrieden!». Viele Mitglieder erwecken mit ihren Nachrichten den Eindruck, auf eine friedliche Art für ihre Grundrechte und ihre Freiheit oder gegen das System einstehen zu wollen.

Sind diese Chats somit friedlich und harmlos?

Trotzdem werden viele Nachrichten gepostet, die mit Verschwörungstheorien durchsetzt sind. Deren Absender*innen befassen sich mit «Bill Gates und dessen Zwangsimpfungen» und bis hin zur «Abschaffung Deutschlands durch Merkel».

Die «Mainstream-Massenmedien», die voller Propaganda seien, werden ebenfalls heftig kritisiert. Sie seien Schuld an einer Gesellschaft «voller schlafender Schafe». Die Rebell*innen rufen dazu auf, die kommerziellen Medien zu hinterfragen, sich alternativ zu informieren und somit «aufzuwachen». Dass die Schweiz auf der Rangliste der Pressefreiheit weit oben steht steht, spielt hier keine Rolle. Dass die Quellen der alternativen Medien wie «kenFM» oder «Uncut News» sehr fragwürdig sind, ebenfalls. Neben der Kritik an den Massenmedien wird auch Kritik an der Regierung geübt: «All Bundesräte are bastards» wird kurzzeitig als Slogan gefeiert.

Antisemitische Inhalte sind keine Seltenheit

Oftmals werden diskriminierende und antisemitische Inhalte diskutiert. Im nationalen Chat wird darüber abgestimmt, ob der Holocaust fake ist, begleitet von Nachrichten wie «The Holocaust is obviously a hoax. Stick your religion up your ass.» Oder es wird behauptet, dass der Holocaust zwar stattgefunden habe, die Geschichte aber manipuliert und die Zahl der Toten um einiges geringer sei. Bei einigen Personen in der Gruppe kommt daraufhin Protest auf und die Angst, dass Medien die Gruppe per se mit Antisemitismus in Verbindung bringen würden. Daraufhin wird das Wort «Hitler» auf die Zensurliste des Chats genommen.

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Bild: Screenshot

Im regionalen Chat «Aktionsraum ZH» fallen derweil Aussagen wie «Dölfi? (=Hitler) der war aber links und nicht rechts» oder «Warum sollten wir Grenzen durchbrechen? Bist du nicht froh hat dein Magen eine Grenze zum Herzen und die Galle eine Grenze zur Lunge. Oder möchtest du einen Einheitsbrei in deinem Körper. Oder möchtest du die Vielfalt der Kulturen mangels einer Grenze zu einem Einhaitsbrei mischen. Willst du das wirklich?» oder «Der Bundesrat möchte uns nur einsperren damit Sie mehr flüchtlinge in die Schweiz bringen können. Unser Land wird in 2 Jahren nicht mehr als reine Schweiz zu erkenne sein wenn wir nichts dagegen anstellen ! KMN!» (Anm. d. Red.: KMN wurde zum halboffiziellen Slogan der Aktionsgruppe Zürich und steht für Kontrollfreie Mitsprache Nachtragend. KMN ist eigentlich eine Hip-Hop-Crew aus Dresden. Der Slogan war wahrscheinlich ein Scherz eines Trolls, wurde aber mit grosser Begeisterung aufgenommen.)

Unter anderem wurde auch aus dem deutschen Telegramkanal «Unzensiert», in dem immer wieder rechtsextreme, rassistische und antisemitische Nachrichten und Karikaturen zu finden sind, Inhalte in den schweizerischen Infochat weitergeleitet. Die Admins dieses Kanals sind nicht ersichtlich, die Admins der anderen Chats jedoch schon. Viele verwenden nicht ihren echten Namen, gewisse können jedoch durch versendete Inhalte in den sozialen Medien identifiziert werden.

Eine der Administrator*innen im nationalen Chat ist eine im Kanton Zürich wohnhafte Familienfrau. Sie behauptet, der Holocaust habe viel weniger Opfer gefordert und die Geschichte sei manipuliert. Zudem ist sie höchstwahrscheinlich eine Anhängerin der Verschwörungstheorie QAnon. Diese hat ihren Ursprung in den USA und beschuldigt Personen des öffentlichen Lebens, US-Demokrat*innen und jüdische Zirkel, Teil eines Geheimbundes zu sein, welcher Kinder entführt, foltert und in Kellern und Tunnelsystemen gefangen hält. Präsident Trump habe solche Kinder schon befreit und müsse zudem gegen einen «deep state» ankämpfen, behaupten die Anhänger.

Rechtsextreme Admins?

Neu zum Admin erkoren wurde in diesem Chat auch Ignaz Bearth, gemäss Wikipedia ein «rechtsextremer Politiker» und Gründer der ehemaligen Kleinpartei Direktdemokratischen Partei Schweiz. Er ruft im Chat zwar zu einem offenen, friedlichen Protest auf, doch verkehrte Bearth schon in einem rechtsextremen Umfeld und war stark in der Pediga-Bewegung (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) aktiv.

Ein weiterer auffälliger Admin ist derjenige eines kleineren Chats namens «Projekt: NEUE WELT» mit etwa 120 Mitgliedern. Das Ziel Letzterer scheint eine friedliche Welt zu sein, in der weniger gearbeitet werden muss und somit mehr Zeit zur Verfügung steht, um zum Beispiel sein Essen selber anzubauen und generell bewusster zu leben. Doch fällt auch dieser Chat durch antisemitische Inhalte auf. Folgendes Bild wurde in den Chat geschickt – woraufhin kein grosser Protest entflammte.

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Bild: Screenshot

Auch die bereits erwähnte Nachricht des Admins, mit der er auf eine Zwangsimpfungs-Nachricht antwortet, ist schwer antisemitisch geprägt: «Auf der ganzen Welt. Das habe ich schon davor gewusst das so etwas kommt. So läuft der Elite ein Plan zu NWO. Die Zionisten halten uns als Fieh Zuchtsklaven. Und zerstören unser ganzes Immunsystem. Es läuft ein rießen Krieg gegen Bewusstsein der Menschen.»

Laut Marc Surber, Mediensprecher der Stadtpolizei Zürich, seien Telegram-Chats teils öffentlich, teils privat. Personen, die dort antisemitische oder rassistische Äusserungen verbreiten, könnten theoretisch strafrechtlich verfolgt werden, sollte gegen sie Anzeige erstattet werden oder die Polizei entsprechende Hinweise erhalten. Man betreibe aber grundsätzlich keine «Internet-Patrouille». Ob gegen die oben beschriebenen Personen Ermittlungen im Gange sind, wollte Surber nicht bestätigen. Angesprochen auf die angekündigten Demonstrationen vom kommenden Wochenende weist er auf das noch immer geltende Versammlungsverbot hin: «Gegen Personen die sich dem entgegensetzen, werden wir entsprechende Massnahmen ergreifen», so Surber.

Die Stapo geriet diesen Monat indes mehrmals in Kritik. Am 1. Mai wurden jegliche Demo-Versuche im Keim erstickt, während am letzten Samstag die Corona-Demonstrierenden für längere Zeit toleriert wurden. Die Stadtpolizei hat inzwischen Fehler eingeräumt.

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