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Von Rahel Bains

Redaktionsleiterin

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15. Juni 2021 um 10:29

«Schau dir deine Vulva an und schäm dich nicht dafür»

50 Jahre nach der Frauenbewegung gibt es nun diese Generation, die alles wissen will – und die es auch gewohnt ist, alles herauszufinden. Wir haben mit Zürcherinnen gesprochen, die mittels Kunst die gesellschaftliche Tabuisierung der Vulva verändern wollen.

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Die Girl Gang Viva la Vulva Zürich. Bild: zvg

In ihrem feministischen Comic «Der Ursprung der Welt» schreibt die schwedische Comiczeichnerin und Radiomoderatorin Liv Strömquist vom Problem, dass man das, was man als «das weibliche Geschlechtsorgan» bezeichnet, in unserer Kultur unsichtbar macht und mit Scham verbindet. Dass man es für unangemessen hält, darüber zu sprechen, es schlechthin negiert, verschweigt, peinlich findet – und dass es noch nicht einmal einen ordentlichen Namen hat. Zürcher Künstlerinnen wollen das ändern und zwar mit queerfeministischer Kunst.

Sie treten dabei in die Fussstapfen von Frauen wie zum Beispiel Juliana Notari, die Anfang Jahr in einem brasilianischen Kunstpark nahe der Küstenstadt Recife eine 33 Meter grosse, rot leuchtende Land-Art-Vulva ausgehoben hat. Fast ein ganzes Jahr wurde daran gearbeitet, wie sie kurz nach der Fertigstellung ihres Kunstwerks auf ihrer Facebook-Seite schrieb. Zuerst wurden die Formen in den Berg geschlagen, dann mit Beton ausgekleidet und zum Schluss bemalt. Das «Diva» getaufte Kunstwerk soll «die Beziehung zwischen Natur und Kultur in unserer phallozentrischen und anthropozentrischen westlichen Gesellschaft» infrage stellen.

Eine, die seit 20 Jahren daran arbeitet, die Vulva wieder ins kollektive Bewusstsein zu bringen, ist die Aktivistin und Kulturwissenschaftlerin Laura Méritt. In ihrer Berliner Dachwohnung hat sie einen der ersten feministischen Sexshops in Europa eröffnet, wo jeden Freitag «Freudensalons» stattfinden, die sexpositive feministische Themen behandeln. Seit zehn Jahren führt sie zudem den «Mösenmonat März» durch, um mehr Sichtbarkeit für das weibliche Genital zu schaffen. Auch die Basler Fotografin Tjefa Wegener möchte den Blick auf den weiblichen Körper verändern und zwar indem sie Vulven dekoriert und fotografiert. Und während die Zürcher Künstlerin und Porny Days-Mitgründerin Talaya Schmid mit einer Technik namens Tufting Vulven-Teppiche herstellt, macht Rapperin Big Zis mit ihrem Song «Funky Cool Vagina» Systemkritik tanzbar.

Viva la Vulva – Wie alles begann

Vulva – noch vor ein paar Jahren hörte man dieses Wort kaum. Die Vulva, das äusserlich sichtbare Genital, umfasst Venushügel, Schamlippen und den äusseren Teil der Klitoris. Die Vagina hingegen verbindet die Vulva mit dem Muttermund und der Gebärmutter. Wer in «Sex and the City» gesehen hat, wie die damals über 30-jährige Charlotte ihre Vulva zum ersten Mal betrachtet und dabei vor Verblüffung fast vom Stuhl fällt, weiss, dass es früher keine Selbstverständlichkeit war, dass Frauen Kenntnis davon haben wie es bei ihnen «da unten» aussieht. Doch die Neunziger sind längst vorbei – und dass sich Befassen mit dem eigenen Körper keine Seltenheit mehr. Junge Frauen begutachten heute etwa in organisierten Vulva-Watchings den Intimbereich der anderen Teilnehmerinnen und in Frauenkreisen wird Vulva-Meditation oder gar Vulva-Räucherung betrieben.

Beim feministischen Kollektiv Viva la Vulva Zürich hat alles mit einem selbst genähten Tampontäschchen aus Filz und aufgemalter Vulva begonnen. Da waren die vier Freundinnen Fran Fischer (31), Michelle Brian (30), Chres Brian (30) und Isa Lindner (27), die sich gegenseitig Vulva-Geschenke machten. Die an einer Silvesterparty die Wände mit handgefertigten Vulva-Girlanden schmückten. Die zusammen nach Hamburg reisten und sich dabei ausmalten, was sie alles mit Vulva-Kunst erschaffen könnten – und dann plötzlich alles politisch wurde. Im Januar 2019 ging das Kollektiv auf Instagram live. «Es ging und geht auch heute nicht ums Geld verdienen sondern viel mehr darum, dass unsere Message in der Welt gestreut wird», erzählen die Zürcherinnen.

Man könnte die Thematik eigentlich schon sehr früh enttabuisieren, wenn man Kinder und ihre Eltern früh aufklären würde.

Viva la Vulva

Mittlerweile ist Letztere klar definiert: Mit ihrer Vulva-Kunst, Workshops und Accessoires wollen sie die Selbstakzeptanz fördern, über Tabus sprechen und Body Positivity schaffen. Zehn Prozent des Erlöses gehen an Organisationen, die sich gegen die Beschneidung von Genitalien von Mädchen und Frauen einsetzen. «Zusammen wollen wir die Sprache und die gesellschaftliche Tabuisierung über die Vulva verändern», so die vier Frauen, die «Vulven und Liebi in die Welt spreaden» und dies auch der jüngeren Generation weitergeben möchten.

«Das ist ein Fützli»: Die Sache mit der Sprache

Denn oftmals scheitere es bereits bei der Sprache. So zum Beispiel am Tattoo Fest «Santa Rosa», an dem man den Vulva-Stand der vier Frauen schon von Weitem glitzern sah. Ein Vater kam mit seiner kleinen Tochter, die auf eine schimmernde Vulva-Zeichnung zeigte und fragte, «was das» denn sei. Als er mit «das ist ein Fützli» antwortete, wurde allen erneut bewusst: «Man könnte die Thematik eigentlich schon sehr früh enttabuisieren, wenn man Kinder und ihre Eltern früh aufklären würde.»

Sie selber haben in ihrer Kindheit ebenfalls keinen wirklich progressiven Umgang in Bezug auf die richtige Benennung ihrer Geschlechtsteile erlebt: «Bisi», «Schnäggli», «Müscheli» waren die Kosenamen dafür. «Lustig, dass es die Erwachsenen sind, die verklemmt sind. Kinder wären es nicht.» Die Schamlippen haben sie indes schon mal umgetauft, in Schmeichel- oder Vulvalippen. Die selbsternannte Girl Gang ist überzeugt davon, dass Feminismus nicht per se nur Frauensache ist, sondern alle etwas angeht. «Wir müssen diesen Kampf nicht alleine führen, auch Cis-Männer sollen und können feministisch aktiv werden», finden sie und bedauern gleichzeitig, dass es für viele Männer noch immer negativ behaftet sei, als feministisch zu gelten.

Ende Mai führten die Aktivistinnen im «Coming Soon» an der Rolandstrasse die erste Viva la Vulva Woche durch, während dieser sich Zürcher:innen mittels Workshops und Pop up-Kunst eingehend mit dem Thema Vulva und Feminismus auseinandersetzen konnten – und das auch visuell. So durften die Besucher:innen auf einem Plakat mit mehreren aufgemalten Vulven jene, die der ihren am ähnlichsten war, mit einem Steinchen verzieren. «Wenn du dort stehst und nicht weisst, wo du dein Steinchen aufkleben sollst, ist es Zeit zu sagen: Schau dir deine Vulva an und schäm dich nicht dafür», so die Frauen.

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Rebecca Vollenweider während der Viva la Vulva Woche. Bild: Elio Donauer

Mutter-Tochter-Gespann macht Vulvas aus Glas

Ebenfalls an der Viva la Vulva Woche ausgestellt hat Rebecca Vollenweider. Gemeinsam mit ihrer Mutter Erika Vollenweider, einer Künstlerin, die mit Glasfusing eine der ältesten Techniken der Glasschmelzung betreibt, kreiert die 26-Jährige seit vergangenem Dezember Vulven aus Glas. Rebecca mag die Form der Vulva, beschreibt diese als «empowering». Sie ist es deshalb auch, welche die Kunstwerke zeichnet, während ihre Mutter danach die einzelnen verschiedenfarbigen Glasscheiben zuschneidet, aufeinanderschichtet und während 24 Stunden mit viel Sorgfalt im Ofen erhitzt.

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Bild: Elio Donauer

Im Moment laufen die Verkäufe lediglich über Instagram, doch das mit Erfolg. Nicht nur Schweizer:innen möchten die filigranen Kunstwerke verschenken oder sich selbst in die Wohnung hängen, auch Menschen aus Berlin, Hamburg, Wien, Frankreich, Südafrika oder Schweden geben Bestellungen auf. «Ich weiss nicht nicht wo das enden wird, wir sind offen für alles», so die Psychologiestudentin, die sich über ihre internationale Kundschaft freut: «Es erstaunt mich, wie viele unserer Vulvas bereits im Umlauf sind. Das Schöne daran: Sie haben für alle eine andere Symbolik.» Die Stücke seien abstrakt, man könne darin sehen was man wolle. «Alle haben verschiedene Formen, manche haben längere, manche kürzere Lippen. Eine Freundin von mir nennt ihre Zitrone, weil sie so schön gelb am Fenster hängt.»

Den Aufschwung queerfeministischer Kunst verfolgt die Zürcherin schon lange mit Interesse: «Es ist eine Szene, die sich stetig weiterentwickelt und schlussendlich auch politisch ist.» Dabei gehe es nicht nur um Kunst, sondern auch um unsere Körper, um das sich ausdrücken dürfen. Auf die Frage, ob sie das Gefühl hat, dass ihre Generation die erste ist seit langem, die sich intensiv mit dieser Thematik befasst und damit das anatomische Wissen der feministischen Bewegung der Siebzigerjahre langsam in der Mitte der Gesellschaft ankommt, sagt sie: «Ja, wir hinterfragen vieles. Die meisten von uns haben die Kapazität, über die Unterdrückung der weiblichen Lust zu sprechen und aufzuzeigen, wie viel Stigmatisierung noch immer da ist.»

Auch die Aktivistin Méritt sagt in einem Gespräch mit der «Zeit», dass sich nun genügend Druck aufgebaut habe, ähnlich wie in einem Dampfkessel. Das Internet sei ein Katalysator dafür. Nach 50 Jahren Frauenbewegung gäbe es nun diese Generation, die alles wissen wolle – und die es auch gewohnt sei, alles herauszufinden.

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