Zwischen Flugverbot und Plastikröhrli: Wie grün ist die Zürcher Kulturbranche? - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Isabel Brun

Redaktorin

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11. März 2022 um 10:00

Zwischen Flugverbot und Plastikröhrli: Wie grün ist die Zürcher Kulturbranche?

Seit den Massnahmen-Lockerungen Mitte Februar nimmt die Eventbranche wieder Fahrt auf. Das ist zwar gut für die einzelnen Betriebe, aber schlecht fürs Klima. Doch immer mehr Veranstalter:innen in Zürich versuchen, an das Netto-Null-Ziel der Stadt anzuknüpfen.

Ein Club oder Kulturbetrieb ist in der Regel nicht nachhaltig – zumindest nicht, wenn er geöffnet ist. (Foto: Elio Donauer)

Es ist ein Montag Anfang März 2022. Der Wind, der durch die Langstrasse fegt, ist eiskalt, weckt auch die müdesten Augen und doch wirkt alles verschlafen; die Ausgehmeile muss sich erst vom vergangenen Wochenende erholen. Rambazamba und Rum-Cola statt Quarantäne und Maskenpflicht: Die Zürcher Kulturbranche ist dabei, sich zurück zu kämpfen. In den meisten Clubs und Kulturbetrieben der Stadt herrscht beinahe wieder Normalzustand: mehrmals pro Woche Veranstaltungen, Künstler:innen, die aus dem Ausland eingeflogen werden und Hunderte Gäste, die die Tanzfläche oder den Theatersaal stürmen. Es scheint wieder Alltag eingekehrt zu sein. Ein Alltag, der ganz schön belastend für das Klima sein kann.

Das weiss auch Jonatan Niedrig vom Verband der Schweizer Musikclubs und Festivals, Petzi. Zusammen mit anderen Akteur:innen aus dem Kulturbereich gründete er deshalb vor zwei Jahren den Verein «Vert le Futur». Dieses Netzwerk habe neben Menschen aus der Kulturbranche auch Nachhaltigkeits-Expert:innen als Mitglieder, so Niedrig. Denn «Vert le Futur» soll neben «good-practice» aufzeigen auch den Austausch untereinander fördern. Und es damit einzelnen Venues, Festivals, aber auch Künstler:innen leichter machen, sich klimafreundlich zu verhalten. Darunter sind auch viele Ideen, die es im Ausland mit anderen Initiativen schon gebe, ist sich der Mitgründer sicher: «Wir erfinden das Rad nicht neu.»

Ein Teil des Gründer:innen-Teams von «Vert le futur» mit Jonatan Niedrig. (Foto: zVg)

Hoher Stromverbrauch, viele Flugreisen, wenig Plastikröhrli

Vorbilder existieren tatsächlich bereits: So hat beispielsweise die Feier-Metropole Berlin Anfang 2019 das Projekt «Clubtopia» ins Leben gerufen – mit Hinblick auf das Ziel der Stadt, bis 2050 klimaneutral zu sein. Die Initiative «soll den nachhaltigen Wandel der Berliner Clubszene voranbringen, indem sie Expert:innen der Nacht und Nachhaltigkeit vernetzt und zum konkreten klimafreundlichen Handeln in der Szene motiviert», heisst es in der Medienmitteilung. Die Kulturbranche könne eine wichtige «Impulsgeberin» für Veränderungen sein. Gemäss Berechnungen vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland verbraucht ein mittelgrosser Club an einem Wochenende etwa 1000 Kilowattstunden Strom – also so viel wie ein sparsamer Single-Haushalt in einem ganzen Jahr. Diese Bilanz soll durch Clubtopia verbessert werden.

«Die No-Flight-Policy ist auch eine kulturelle Zäsur und schmälert somit auch die Attraktivität des kulturellen Angebots.»

Alexander Bücheli, Bar und Club Kommission Zürich

Den Strombedarf durch eine angepasste Infrastruktur zu senken, sei jedoch nur ein Hebel, stellt der Gründer vom Schweizer Pendant klar: «Die viel grösseren Effekte erreicht man beim Booking und in der Gastronomie.» Gerade bei ersterem könne ein Betrieb extrem viel CO2 einsparen, sofern das den Verantwortlichen am Herzen liege. Denn: «Wenn ein Club einen Act nur für einen Abend aus dem Ausland einfliegen lässt, ist das alles andere als nachhaltig», so Niedrig, «da können die Betreiber:innen noch so auf Plastikröhrli verzichten.» Das sei zwar gut gemeint, aber kaum je mehr als eine dankbare «low-hanging fruit» und völlig vernachlässigbar, wenn man sich gleichzeitig beim Booking keine Mühe gäbe. 

«Zürich ist nicht Berlin»

Für wie viel CO2 die Kulturbranche in Zürich verantwortlich ist, dazu gibt es keine Zahlen. Fakt ist aber: Anders als Berlin will die bevölkerungsreichste Stadt der Schweiz bereits 2040 Netto-Null erreichen. Alexander Bücheli von der Bar und Clubkommission Zürich (BCKZ) schätzt die Klimabilanz in der hiesigen Szene aber relativ gut ein. Auch, weil viele Gäste mit den öffentlichen Verkehrsmittel oder mit dem Velo unterwegs seien: «Der Gästeaspekt macht einen grossen Teil der CO2-Emissionen aus, und die sind in Zürich um einiges kleiner als beispielsweise in Berlin, wo Menschen nur für ein Partywochenende anreisen», so Bücheli. In Bezug auf die auftretenden Künstlerinnen stammen gemäss Zahlen der BCK knapp 20 Prozent aus dem Ausland, diese werden noch lange nicht alle eingeflogen. Trotzdem begrüsse er das Projekt «Vert le futur». «Sicher ist auch die Veranstaltungsbranche in der Pflicht, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen.» Ein Wandel sei auch hier im Gange.  

«Es ist immer auch eine Frage des Wollens, und sicher auch mit einem grösseren Aufwand verbunden, wenn man klimafreundlich buchen möchte»

Jonatan Niedrig, Geschäftsleiter Petzi

Denn mittlerweile sehen auch viele Zürcher Clubs und Kulturbetriebe ein, dass ein gewisser Handlungsbedarf besteht. In den meisten von uns angefragten Betrieben wird gemäss eigenen Aussagen regelmässig darüber diskutiert, wie der CO2-Fussabdruck reduziert werden kann. Mehrweg- statt Einwegbecher, Glas- statt PET-Flaschen, reparieren und recyceln statt wegschmeissen lautet die Devise. Das Konzerthaus X-TRA beispielsweise führt ein Nachhaltigkeitskonzept und der Club Kauz organisierte bereits in der Vergangenheit Podien zu Umweltschutz im Nachtleben. Und auch beim Thema Strom sind Veränderungen zu beobachten: Während das Eventlokal Sender seinen Verbrauch im Vergleich zu seinem Vorgänger um 30 Prozent reduzieren konnte, setzt das Opernhaus Zürich seit 2019 auf Solarpanels. 

Attraktivität versus No-Flight-Policy

Innerhalb der Betriebe scheint also bereits jetzt viel gemacht zu werden, um das Klima zu schonen. Doch wie sehr hängt die Frucht, die Jonatan Niedrig von «Vert le futur» beschrieben hat? Ziel des Opernhauses sei es, Flugreisen einzuschränken, schreibt dessen Mediensprecherin auf Anfrage. Vom X-TRA heisst es, man unterstütze es, dass Bands und DJs als Ausgleich für ihre Touren CO2-Zertifikate kaufen. Kauz-Geschäftsleiter Roman Wespe erklärt, der Kauz biete den Künstler:innen immer an, mit dem Zug zu kommen, «die Mehrkosten übernimmt der Club konsequent. Ausserdem kompensieren wir den CO2-Ausstoss, der durch die Flüge entsteht.» Als kleiner Betrieb und der damit verbundenen geringen Gagen sei es jedoch nicht möglich, gänzlich darauf zu verzichten. Wirtschaftlich gesehen scheint eine No-Flight-Policy also ein Manko zu sein. 

Auch in der Roten Fabrik hätte man gerne Solarpanels. Die Entscheidung dafür liege aber bei der Vermieterin, also der Stadt. (Foto: Michael Schallschmidt)

«Ein Club ist ein Unternehmen ohne Subventionen», erklärt Alexander Bücheli von der BCKZ, «am Schluss ist es also auch eine unternehmerische Frage, ob man darauf verzichtet eine:n Künstler:in anzufliegen.» Bekannte ausländische DJs, Bands würden nunmal mehr Gäste anziehen und somit trotz den damit verbundenen Kosten auch höhere Einnahmen generieren, sagt Bücheli. Er nennt aber noch ein weiteres Problem: «Die No-Flight-Policy ist auch eine kulturelle Zäsur und schmälert somit auch die Attraktivität des kulturellen Angebots.» Deshalb sei das für ihn keine praktikable Lösung. 

Wann wird die Ausnahme zur Regel?

Jonatan Niedrig sieht zwar ebenfalls ein, dass ein Zielkonflikt besteht. Luft nach oben gebe es beim Booking trotzdem: «Es ist immer auch eine Frage des Wollens, und sicher auch mit einem grösseren Aufwand verbunden, wenn man klimafreundlich buchen möchte», sagt Niedrig. Man müsse sich – genauso wie auch bei der Diversität eines Lineups – im Vorfeld mehr Gedanken machen, sorgfältiger recherchieren, sich mit anderen Clubs austauschen. Doch nachhaltiges Booking sei eigentlich im Interesse aller. «Auch die Künstler:innen haben etwas davon, wenn sie nicht für einen einzigen Auftritt aus den USA nach Europa fliegen müssen.»

Bei Bands ist das Touren bereits gang und gäbe. In der Konzertbranche ist es üblich, auf das ständige Hin- und Herreisen zu verzichten – zu teuer wären die Reisen für drei oder mehr Personen. Die No-Flight-Policy scheint also vor allem bei Clubs, in denen häufig Einzelpersonen gebucht werden, ein Thema zu sein. Eines, worüber zwar diskutiert wird, das aber niemand so richtig auf Papier bringen will. 

Ausnahmen gibt es dann aber doch: Beispielsweise das Rhizom-Festival in der Roten Fabrik. «In unserem Nachhaltigkeitskonzept gibt es eine strikte No-Flight-Policy. Das heisst kein:e Künstler:in, der:die am Rhizom auftritt, ist mit dem Flugzeug angereist», führt Isabelle von Walterskirchen aus. Zusammen mit anderen ist sie für das Booking verantwortlich. Diese Richtlinie würde jedoch nicht für alle Shows in der Roten Fabrik gelten. Dort versuche man mit anderen Hebeln, den CO2-Ausstoss zu minimieren.

«Dass das Nachtleben und die Kultur als Teil der menschlichen Existenz nicht ohne Auswirkungen auf die Umwelt ist, ist nicht von der Hand zu weisen», sagt Jonatan Niedrig von «Vert le Futur». Entscheidend sei aber, dass man darüber redet, was sich verbessern lässt, sich reflektiert und andere zum Mitmachen ermutigt. «Die Verantwortung tragen wir alle: Als Gast, Künstler:in, Club oder Kulturbetrieb.»

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