Die Kirche des Kapitalismus: The Real Wolf of Wall Street in der Samsung Hall - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Benjamin von Wyl

Journalist

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16. Mai 2017 um 07:00

Die Kirche des Kapitalismus: The Real Wolf of Wall Street in der Samsung Hall

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Es ist sehr unüblich für uns, an einem Samstagmorgen um 08.30 am Bahnhof Stettbach anzukommen. Dann passierten wir auch noch die Stadtgrenze nach Dübendorf, was aber nicht wirklich unüblicher ist. Wir stellen uns in die Schlange des Economy-Eingangs der Samsung Hall – dem neuen «Daheim» (Selbstbezeichnung) der ICF-Kirche. Während Jesus die Händler aus dem Tempel gejagt hat, freut sich jesus.ch, dass die Popkirche ein gebrandetes Heimetli hat. Wir sind einen Tag zu früh für eine Celebration, Samstag heute. Doch die Menschen strömen. Vor allem Männer waren bereit zwischen 379 und 3000 Franken für ein Ticket zu bezahlen.

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Typ abgelehnter Bachelorbewerber, Typ Versicherungsvertreter, Typ BWL-Student, Typ Matthias Ackeret (Matthias Ackeret, der von Tele Blocher). Und Matthias Ackeret. Alle wollen sie zum Real Wolf of Wall Street, zu Jordan Belfort. Dem Menschen, über den Scorsese einen Film gemacht hat. Auf dem Ticket ist Jordan Belfort und leicht versetzt dahinter Leonardo di Caprio abgebildet. Nur Oberkörper, so dass man nicht überprüfen kann, ob Belfort absichtlich grösser als di Caprio gemacht wurde. Belfort ist – das werden wir gleich sehen – eher kompakt: bullig, aber nicht sehr gross.

Ein Stiernacken drängelt sich vor. Er ist doppelt so breit wie wir zusammen und acht Mal so breit wie unsere erste Bekanntschaft hier, ein nett-interessierter Start-up-Unternehmer, der individuelle Baumhäuser online vertreibt. Der Stiernacken kommentiert seine Vordrängel-Aktion nicht; er ignoriert uns. Wir stehen am Eingang zu einer Kirche von Samsungs Gnaden. Bereit für eine Exkursion in den 80er-Raubtierkapitalismus. Bereit für Sozialdarwinismus. Bereit für einen Tag «Das Recht des Stärkeren».

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Vor dem Saal erwarten uns drei Models in Pagenuniformen der Qualitätsstufe Fasnachtkostüm. Mit denen kann man sich fotografieren lassen. Wir verzichten, viele andere tun dies nicht. Im Saal drin erwarten uns LSD-Mandalas, Strobo – direkt in die Augen und seichter Drum'n'Bass. Es dauert bis Jordan Belfort da ist.

Und als Jordan Belfort da ist, ist man dann fast ein bisschen enttäuscht. Hat man noch die Kopfhörer für die Simultanübersetzung in den Ohren, unterscheidet sich sein Schwadronieren wirklich nicht von einer Dauerwerbesendung. Aber den zahlenden Gästen scheint es zu gefallen, rechts von uns notiert sich einer «den Käufer überzeugen JA! Zu sagen». Danke vielmals, was man von der täglichen Selbstvermarktung auf Facebook lernt, ist tiefgründiger.

Belfort mixt Allgemeinplätze wie «You can't put passion into someone» mit autobiografischem Masturbieren, vergleicht sich mit Keith Richards – «but I am sober for 20 years now», erzählt Passagen seines Lebens mittels Ausschnitten aus dem Scorsese-Film und kokettiert mit seinem Vaterkomplex («My father, he fucking hates sales people!»). Ausserdem nennt er seine ex-Mitarbeitenden und seine ex-Frau gerne beschränkt: «A bunch of bozos!» «Not the brightest bulb in the box...» Wir sind wirklich ein bitzli enttäuscht. Wir haben ein grässliches Menschenbild erwartet – und auch bekommen: «I strongly believe that being a better salesperson means being a more effective human being.» Aber wir erwarteten auch ein bisschen mehr Gerissenheit, ein bisschen mehr Show, ein bisschen mehr System – oder Aggression. Absurd, dass Tausende, die das Ziel haben, ohne Rücksicht auf andere reich zu werden, sauviel zahlen, um dann mit genau der Masche abgespeist zu werden, mit der sie eigentlich andere ausnutzen wollen. Absurd auch, dass in einer Zeit, in der sich die Medien der Welt damit beschäftigen Trump'schen Bullshit-Talk ohne Inhalt als Bullshit-Talk zu enttarnen, so viele auf Bullshit-Talk abfahren. Beim Rumfragen in der Pause sagt niemand, dass er sein Geld verschwendet hat. Denn wenn er sein Geld verschwendet hätte, wäre er ja dumm. Und dumm darf man ja nicht sein; wir sind ja in den Macho-Eighties.

Nach der Pause spricht JT Foxx. JT Foxx kennt ihr nicht. Aber JT Foxx präsentiert gefühlte 40 Magazine mit JT Foxx auf dem Cover. «This article in an African magazine is about how I changed that continent!» JT Foxx präsentiert JT Foxx-Unterstützervideos von Al Pacino, Sylvester Stallone, 50 Cent und: «This one is for you ladies! I am the first person to make John Travolta sing Grease in 17 years.» Ausserdem im Angebot: Apple-Gründer Steve Wozniak habe gesagt, JT Foxx sei die Person, die Steve Jobs am nächsten käme. Auch schön: «I touched Donald Trump's hair!» Wie ein Waschbär habe es sich angefühlt.

JT Foxx sagt, dass er alle versteht, die reich werden wollen, aber seit er reich sei, sei ihm Geld egal. Stattdessen geht es jetzt auch ums «Legacy»: «This is me speaking in front of 50 000 poor South African children!» Und ein Enkel von Nelson Mandela habe ihm gesagt, dass Nelson Mandela stolz auf ihn wäre. Was JT Foxx natürlich sehr rührt, denn «you have to know: My father never told me, that he is proud of me!» Mann, Mann, Mann, Männer sind so erbärmlich und müssen wirklich überwunden werden. Die Männer im Kopf jedenfalls.

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JT Foxx Tätigkeit besteht darin, Leute aus verschiedenen Sparten so zu beraten, dass sie reich werden. «I am the world's most successful wealth manager!» Und weil er ja so ein guter Mensch ist (Legacy und so), holt er Schweizer*innen und Deutsche auf die Bühne, die erzählen, wie sehr ihnen JT Foxx geholfen hat. Das ist nun wirklich 1:1 die Freikirchen-Masche: Bekenntnisse auf der Bühne. Aber statt Himmelreich durch Messias besteht das Samsung Hall-Samstagsangebot aus Wohlstand durch JT Foxx. Nachdem die JT Foxx-Jünger ihre Statements abgegeben haben, zeigt sich JT Foxx Grösse aber erst im vollen Ausmass. Und auch das Dauerwerbesendung-Teleshoppingformat erfüllt sich erst jetzt wirklich: ein einmaliges Angebot! Die ersten 100, die jetzt auf die Bühne kommen und direkt mit Karte zahlen, erhalten einen zweitägigen Workshop mit JT und vier weiteren Coaches (vier!!!) für nur 997 CHF (nicht 1000! nicht 999! Sondern: 997 CHF!). Ein einmaliges Angebot! Sogar Ehefrau und Kinder könne man mitbringen! Die Leute strömen auf die Bühne. Dauerstrobo! 50 Cent! Und eventuell hat man ja für's Ticket hier eh schon drei Mal so viel bezahlt, also why not? Get Rich or Die tryin'. So einfach macht man in einer halben Stunde einen Umsatz von knapp 100’000 Franken.

In der zweiten Pause fragen wir jemanden, ob man sich als Verkäufertyp nicht verarscht fühlt, wenn diese Standardphrasen und -tricks an einem selbst angewendet werden. «Nein! Das gehört dazu. Das ist das Business.» Der nächste, den wir ansprechen, entpuppt sich als gläubiger Christ. Wir kennen ihn von Corris ähnlichen Verkaufsständen am Limmatplatz. Dass er die Menschen überzeugend zutexten kann, hat er bereits bewiesen. Er hat sich fünf, sechs Seiten Notizen gemacht, glaubt, dass alles, was gesagt wird, auch funktioniert, aber befindet sich offensichtlich in einem inneren Kampf: «Irgendwie ist es schon evil, wenn du ohne Fundament und Werte den Leuten einfach alles, alles, alles verkaufst!» Er empfiehlt uns eine Stelle im 1. Brief des Paulus an Timotheus, aber will leider nichts dazu sagen, ob eine Veranstaltung wie diese in einer Kirche stattfinden sollte. Denn das ist die Samsung Hall ja. Laut ICF. Die The Real Wolf of Wall Street-Party fand dann, ob aus Rücksicht auf religiöse Gefühle oder nicht, im X-Tra statt.

Wir spazieren wieder über die Stadtgrenze, fahren mit der S-Bahn bis zum Bahnhof Hardbrücke, essen im Gaul einen regional produzierten Burger, plaudern währenddessen über staatliche Kulturförderung, bevor wir uns an einer Atelierparty mit Prosecco auffüllen – back in the comfort zone. Auch die ist im Kapitalismus, aber in einem mit mehr Umarmungen.

Redaktionelle Mitarbeit (und Händchen halten während dem Event): Simon Jacoby

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