Sexuelle Belästigung im Alltag. Der Eiertanz als Frau im Zürcher Sommer - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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9. August 2016 um 18:25

Sexuelle Belästigung im Alltag. Der Eiertanz als Frau im Zürcher Sommer




Eine Frau geht die Strasse lang. Ein Mann pfeift ihr nach. Das kommt öfters vor, als man denkt. Wie das wirklich auf Frauen wirkt und weshalb man sich das Pfeifen besser verkneifen sollte, erzählt Tsüri-Autorin Caroline Petritsch im Kommentar.

Jedes Jahr aufs Neue wird meine Lieblingsjahreszeit überschattet von einem Phänomen, das paradoxerweise total im Gegensatz zu unserer vermeintlich sozialen und humanen Gesellschaft steht. Wenn die schwüle Zürcher Sommerhitze uns veranlasst, lockere Oberteile, kurze Hosen und knappere Röcke anzuziehen, wird jede Frau wieder zum Freiwild für sexuelle Belästigung auf der Strasse. Nicht, dass es im Winter viel gesitteter zugehen würde, jedoch scheint die nackte, verschwitzte Haut der Frauen, viele Männer zu noch ekligerem Verhalten anzuregen.

Für die meisten Frauen ist sexuelle Belästigung (im Englischen auch als catcalling bekannt) Alltag. Dabei spielt es keine Rolle, zu welcher Tages- oder Nachtzeit man unterwegs ist oder an welchem Ort man verkehrt. Da sich mein Büro nur fünf Minuten von meinem Zuhause befindet, gehe ich die Strecke jeden Morgen zu Fuss. Schon nach den ersten Metern werde ich von einem älteren Herrn angesprochen: «Hey, wo gehst du hin? Darf ich ein Stück mit dir gehen?». Da ich nicht zu der schlagfertigen Sorte Mensch gehöre und mir die besten Argumente immer erst später unter der Dusche einfallen, ziehe ich beschämt und lautlos von dannen. Wenn ich dann den Fussgängerstreifen beim Coop an der Langstrasse passiere, spüre ich die durchdringenden Blicke zweier Bauarbeiter und trotz Kopfhörer entgeht mir nicht, wie sie mir Anzüglichkeiten hinterherzischen.

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Gewöhnlicher könnte so ein Morgen im Sommer gar nicht ablaufen. Dasselbe Spiel geht weiter, wenn ich mittags beim Take-Away etwas holen gehe, oder nach meinem Feierabend noch schnell ein paar Einkäufe erledigen möchte. Der dickbauchige Weissweintrinker vor dem Rex Populi kann genau so wenig auf seinem Maul sitzen wie der eingeölte Muskelmann in seinem protzigen BMW. Mal ist es nur ein Starren, mal ertönen Schnalzlaute, wenn ich mich auf Hörweite befinde, oder es wird beim Vorbeifahren kräftig auf die Hupe gedrückt, so dass ich mich vor Schreck fast einnässe. Am Ende des Tages schliesse ich dann erschöpft die Wohnungstür hinter mir und versuche das Ganze so schnell wie möglich zu vergessen.

Das Problem des Verdrängens

Wir Frauen sind darauf konditioniert, Anmache und Zurufe auf der Strasse zu ignorieren. Und da es auch ständig passiert, haben wir es ganz tief in uns als Normalität verbucht. Doch warum eigentlich? Ist es nicht so, dass ein derartiger Eingriff in unsere Privatsphäre eine absolute Frechheit ist? Warum reden Frauen nicht darüber und tolerieren diese öffentliche Erniedrigung?

Natürlich wäre es ganz schön frustrierend und zeitraubend (und teilweise auch gefährlich?), jeden seiner Belästiger zu konfrontieren. Zumal es kaum zu einem befriedigenden Resultat führen würde und wahrscheinlich nur noch dümmere Sprüche zur Folge hätte. Hier drängt sich auch die Frage auf, warum Männer überhaupt so etwas tun? Bin ich doch noch keinem schmachtend um den Hals gefallen, weil er mir «grad echli Schöppe!» zugerufen hat.




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Ich hole jetzt mal ganz weit aus und behaupte, dass die immer noch herrschende Ungleichheit der Geschlechter und eine patriarchalische Objektivierung der Frau das Grundproblem sein könnte. Ja! Hier habt ihr diesen unliebsamen «Feminist*innenkram». Was könnte denn sonst der Grund sein? Ich habe noch nie davon gehört, dass ein Mann auf der Strasse alle zwei Meter von Frauen plumpe Anmachsprüche, oder Bemerkungen über seinen Körper ertragen musste. Ich kaufe Männer auch nicht ab, dass sie einfach nur nett sein möchten. Das wurde mir nämlich mal vorgehalten, als ich einen Typ konfrontierte, der mir auf eine schmierige Art und Weise «Hallo!» gesagt hat. Warum bist du denn nicht nett zu diesem alten Opi, der gerade vor mir an dir vorbeigelaufen ist? Hältst du mich wirklich für so naiv, dass ich nicht erkennen kann, was du mit deinem «Hallo!» meinst? Und sowieso, wir sind hier in Zürich und nicht in Bichelsee-Balterswil, wo es zum guten Ton gehört, sich auf der Strasse zu begrüssen.  

Klappe zu, Affe tot

Oft wird den Frauen gesagt, sie sollen sich nicht so aufregen. Faule Anmachsprüche wären doch als Kompliment gemeint. Oh, vielen Dank, aber eigentlich interessiert mich deine Meinung einen feuchten Fliegenfurz. Ich möchte weder von einem wildfremden Mann, noch von irgendjemandem auf der Strasse hören, was er oder sie über mich denkt. Und ja, wir regen uns auf! Wenn wir uns nicht ab und zu aufregen würden, müssten wir unsere Ehemänner immer noch um Erlaubnis bitten, arbeiten gehen zu dürfen. Diese Relativierung und Rechtfertigung männlichen Arschlochverhaltens zeigt, dass unsere Gesellschaft Frauen immer noch auf eine zweite Stufe nach den Männern stellt. Anstatt Respekt und Achtung als Menschen, bekommen wir Frauen einen Maulkorb verpasst und es wird uns vorgesetzt, dass es in anderen Ländern doch noch viel schlimmer zu und her gehen würde.

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Als mich ein Typ mal fast überfahren hat (ich überquerte den Fussgängerstreifen und beim lustigen Standgasgeben ist ihm der Gang wieder eingesprungen), habe ich es meinem Mami erzählt. Sie meinte dann lapidar: «Sei doch froh! Ich bin schon so alt, bei mir macht das keiner mehr.» Sorry liebes Mami, aber da hast du für einmal Unrecht gehabt. Ich möchte nicht auf meinen Körper reduziert werden, sondern es ist mir wichtig, was ich in der Birne habe. Und da ich wirklich nicht aufreizend durch die Gegend tänzle, gebe ich persönlich auch keinen Anlass zu sexueller Belästigung. Und wenn schon! Frauen selbst die Schuld an Belästigung zu geben, ist wohl das Fieseste, was es gibt. Eine Frau kann sich anziehen, wie sie es für richtig hält. Das gibt einem Mann noch lange nicht das Recht, sie zu bedrängen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass selbst eine halbnackte Prostituierte ständig dämliche Sprüche hören möchte. Gib ihr gefälligst deine Kohle, aber behandle sie als Mensch und mit Respekt! Sicherlich existieren auch Ausnahmen. Frauen, die sich absichtlich aufreizend geben und in seichten Anmachen Bestätigung suchen. Nach meiner Erfahrung bilden sie aber eher die Ausnahme und können nicht der Grund für das Verhalten einiger Männer sein.

Solange wir Frauen den Kopf einziehen und unseren Mund halten, wird sich an dieser Situation auch nichts ändern. Vielen Männern ist ausserdem gar nicht bewusst, was wir Frauen Tag für Tag durchmachen. Diesem unerhörten Tabu muss endlich Rechnung getragen werden und wir sollten uns nicht auf den Lorbeeren der Erfolge in der Gleichstellung von Mann und Frau ausruhen. Sexismus und Ungleichheit ist real, obwohl es im Gesetz anders steht. Auch in unserem lieben Zürich, wo wir uns oft als so tolerant brüsten.

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Sollten wir Frauen uns in einem Moment mal stark und sicher genug fühlen, dann müssen wir unsere Belästiger konfrontieren. Wir müssen sie möglichst sachlich aufklären, warum wir nicht von ihnen angemacht werden möchten. Wir sollten ihnen ins Bewusstsein rufen, dass sie es selber unerträglich fänden, wenn fremde Männer auf der Strasse zu ihren Töchtern, Frauen, Schwestern oder Cousinen ein bisschen «nett» sind. Wir müssen versuchen, ihnen zu erklären, dass man sich als Frau dabei billig, verängstigt und erniedrigt vorkommt. Wir finden es auch nicht geil, obwohl wir gerade keinen festen Partner / keine feste Parterin haben. Ausserdem sind wir weder sexuell frustriert, noch müssen wir wieder einmal so richtig durchgenommen werden.

Wenn wir dann auf Unverständnis und Gelächter stossen, ist das nicht so schlimm. Hauptsache wir fangen an, uns zu wehren und bestärken die Männer in unserem Umfeld, welche Frauen mit Respekt behandeln.

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