Wohnungsnot: Was eine Kostenmiete bewirken kann - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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2. Mai 2023 um 12:30

Kostenmiete könnte Vermieter-Wunschkonzert stoppen

Wird Wohnen in Zürich definitiv unerschwinglich für alle mit «normalsterblichen» Löhnen? Eine Übersicht.

Zwischen Luxusgut und Grundrecht: Wohnen in Zürich. (Foto: Isabel Brun)

Die Höhe der Mietpreise kennt seit Jahren nur eine Richtung, nach oben: Woran liegt das?

Gemäss der Studie «Entwicklung und Renditen auf dem Mietwohnungsmarkt 2006 – 20» vom Februar 2022, die das Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass) im Auftrag des Mieterinnen- und Mieterverbands Schweiz erstellt hat, müsste das nicht sein: «Das heute geltende Mietrecht basiert auf der Kostenmiete, d.h. der Vermieter soll mit den Einnahmen aus der Vermietung von Wohnungen seine Kosten decken und eine angemessene Verzinsung des investierten Eigenkapitals erzielen können. Ein Vermieter soll aber mit der Vermietung von Wohnraum keinen übersetzten Ertrag erzielen können. Artikel 269 des Obligationenrechts (OR) definiert, dass ein Mietzins missbräuchlich ist, wenn er auf einem übersetzten Ertrag oder einem offensichtlich übersetzten Kaufpreis beruht.»

Das kann doch nicht sein: Für Kostenmiete sind unter anderem Genossenschaften bekannt, während die Privaten Marktmieten verlangen?

Das geltende Mietrecht basiert effektiv auf der Kostenmiete, doch es beinhaltet eben auch Marktelemente. In Artikel 269a des Obligationenrechts wird ein Katalog von Tatbeständen aufgeführt, nach denen ein Mietzins «in der Regel nicht missbräuchlich» ist. So ist ein Ertrag etwa nicht «übersetzt», wenn die Miete sich im Rahmen dessen bewegt, was als «orts- und quartierüblich» gilt oder «durch Kostensteigerungen oder Mehrleistungen des Vermieters begründet» ist. Die Autor:innen betonen denn auch, ihre Studie beschränke sich «auf die Berechnung der Kostenfaktoren, wir sprechen deshalb nicht von ‹mietrechtlich erlaubtem› Mietzins, sondern vom ‹theoretischen Mietzins aufgrund der Entwicklung der Kostenfaktoren›».

Die Differenz zwischen dem tatsächlichen Mietzins und dem theoretischen «Mietzins aufgrund der Kostenentwicklung» komme folgenden Personengruppen zugute: «Den aktuellen Vermietern von bestehenden Wohnungen; den Verkäufern von Mietliegenschaften (frühere Vermieter) durch realisierte Gewinne beim Verkauf; den Eigentümern von Land, das in der entsprechenden Periode zur Überbauung mit Mietwohnungen verkauft wurde.»

Bis zu dem Betrag, der noch als «orts- und quartierüblich» durchgehen kann, wird also bei jedem Mieter:innenwechsel aufgeschlagen?

Das machen natürlich nicht alle Vermieter:innen grundsätzlich so. Fest steht allerdings, dass es für die Mieter:innen rasch ins Geld gehen kann, wenn die Marktelemente durchschlagen. In der Sendung ‹Kassensturz› des Schweizer Fernsehens vom 18. April wurde der Fall eines Mieters präsentiert, der eine totalsanierte Dreieinhalbzimmerwohnung an einer verkehrsberuhigten Strasse in Zürich fand – für 2850 Franken netto. Das schien ihm doch etwas viel, weshalb er den Anfangsmietzins anfocht. Der Vormieter hatte übrigens 1100 Franken bezahlt. Der Fall endete vor Mietgericht damit, dass der neue Mieter 500 Franken weniger zahlen muss als ursprünglich verlangt.

Laut Kassensturz wird der Anfangsmietzins übrigens in jenen Kantonen, in denen die Vermieterin per Formular bekanntgeben muss, wie viel der Vormieter zahlte, häufiger angefochten. Diese Formularpflicht gilt aber ausser im Kanton Zürich aktuell nur in den Kantonen Basel-Stadt, Genf, Luzern und Zug sowie teilweise in Neuenburg und der Waadt. Schweizweit werden bloss 0,2 Prozent der Anfangsmieten angefochten. Im selben Beitrag deutet Hans Egloff, Präsident des Hauseigentümerverbands (HEV), dies als Ausdruck davon, dass «die Mieterzufriedenheit hoch» sei – und mit den Anfechtungen würden ja offensichtlich die paar «schwarzen Schafe» erfasst, die es halt überall gebe.

«In den Genossenschaftswohnungen leben heute schon keineswegs nur Linke.»

Nicole Soland

Zusammengefasst: Erhöhen die Vermieter:innen die Miete über das tolerierte Mass hinaus, liegt es an den neuen Mieter:innen, sie zurückzupfeifen. Nur: Funktioniert das auch?

Dazu schrieb Michael Töngi, Nationalrat der Grünen und Vizepräsident des Schweizerischen Mieterinnen- und Miterverbands im P.S. vom 24. Februar, es fehle «vor allem an der Kontrolle»: «Unser Mietrecht schiebt die ganze Verantwortung auf die Mieter:innen ab.» Weiter hält er fest, «Jahr für Jahr sanken die Kosten der Vermieter:innen und steigen die Mietzinse gleichzeitig – so ordentlich die Vorgaben für die Mietzinsgestaltung sind, so wenig wurden sie angewandt». Deshalb fordert der Mieterinnen- und Mieterverband eine amtliche Kontrolle der Mietzinse. Ob das gelingt, steht in den Sternen, denn bereits droht neues Ungemach.

Inwiefern?

Die Bürgerlichen im Parlament zu Bern fordern das Gegenteil, nämlich eine «Aushöhlung» des Mietrechts, wie es Michael Töngi im erwähnten Artikel formuliert. Worum es konkret geht, ist auch nachzulesen im Artikel des Rechtsanwalts David Leuthold im P.S. vom 31. März: «Aktuelle Revisionsvorhaben streben im Zusammenhang mit der Untervermietung und der Kündigung der Wohnung wegen Eigenbedarfs eine Schwächung der Rechte von Mietern an.»

Was heisst das konkret?

Privatrechtliche Akteure seien grundsätzlich weder beaufsichtigt noch an die Verfassung gebunden, schickt David Leuthold seinen Ausführungen voraus: «Unter Geltung der Privatautonomie ist ihnen erlaubt, was das Gesetz nicht verbietet.» Die Annahme, dass sich private Rechtssubjekte auf Augenhöhe begegneten, «existiert in vielen Rechtsgebieten allerdings nur in der Vorstellung des Gesetzgebers», hält er fest: «Oder wer hat jemals mit seiner Bank oder seinem Mobilfunkanbieter über den Vertragsinhalt verhandelt?» Die Vorzüge der Privatautonomie kämen somit in erster Linie dem Vermieter zugute: «Da die Wohnung für Mieter eben keine austauschbare Leistung ist, sondern eine Grundlage der Existenz, wird dieses Problem auch nicht durch den Markt geregelt.» Sein Fazit lautet denn auch, «das Mietrecht bedarf, wenn überhaupt, einer Verbesserung des Mieterschutzes».

Immerhin gibt es noch gemeinnützigen Wohnraum, beispielsweise von Genossenschaften: Die zumindest wenden die «echte» Kostenmiete an.

Ja, und was dies effektiv bringt, zeigt eine im November 2022 veröffentlichte, von Statistik Stadt Zürich neu konzipierte Mietpreiserhebung, die unter anderem individuelle Preisbandbreiten für Stadtquartiere und Stadtkreise zur Verfügung stellt. In der Medienmitteilung heisst es, dass der Median der Nettomietpreise pro Wohnung bei 1787 Franken für vier, 1470 Franken für drei und 1336 Franken für zwei Zimmer liegt – über alle Wohnungen in der Stadt betrachtet. Die eine Hälfte aller Wohnungen ist somit billiger und die andere teurer als dieser Betrag.

Nimmt man jedoch nur die nicht-gemeinnützigen Wohnungen, lauten die entsprechenden Zahlen 2171, 1713 und 1466 Franken: «Für gemeinnützige Bauträgerschaften gilt das Prinzip der Kostenmiete, weshalb ihre Mieten günstiger sind als diejenigen der übrigen Mietwohnungen. Der mittlere Preisunterschied gegenüber Wohnungen anderer Bauträgerschaften beträgt gemäss Erhebung rund 40 Prozent; vergleicht man die Quadratmeterpreise, liegt er etwas tiefer. Neubauwohnungen kosten im privaten Bereich durchschnittlich 40 bis 60 Prozent mehr als eine Durchschnittswohnung, im gemeinnützigen Bereich sind es 20 bis 35 Prozent.»

Das ist ein beachtlicher Unterschied. Allerdings kommen Wohnungen von gemeinnützigen Bauträgerschaften, glaubt man den Bürgerlichen im Zürcher Gemeinderat, nur einer kleinen, privilegierten linken Klientel zugute.

In der NZZ vom 11. November 2022 wird in einem Artikel zu dieser Mietpreiserhebung der Direktor des Hauseigentümerverbands Zürich, Albert Leiser, wie folgt zitiert: «Genossenschaften erhalten das Land oftmals sehr günstig im Baurecht, während Private dafür Marktpreise zahlen, die drei- bis viermal so hoch sind.» Bei vergleichbaren Landpreisen lägen auch die Preise nicht weit auseinander: «Es ist ganz klar: Eine Genossenschaft ist nicht besser als ein Privater. Sie hat oft einfach günstigeres Land.»

Nur: Diese Genossenschaften haben nicht «einfach günstigeres Land», sondern das Land, auf dem sie ihre Wohnsiedlungen erstellen, gehört ihnen gar nicht. Die Stadt Zürich überlässt es ihnen im Baurecht für 62 Jahre mit Option auf Verlängerung um zweimal 15 Jahre, und sie zahlen ihr dafür einen Baurechtszins, wie auf der Webseite des Zürcher Finanzdepartements nachzulesen ist. Dort sind auch die «Grundsätze gemeinnützige Baurechtsabgaben» nachzulesen. Dazu gehören Mieten auf Basis der Selbstkosten nach dem Modell der Kostenmiete und Belegungsvorschriften. Die Bauträger müssen rund einen Drittel der Wohnungen im subventionierten Wohnungsbau errichten, und es gibt Auflagen bezüglich Ökologie und Energie, Kunst und Bau.

Auf der Website des Finanzdepartements steht übrigens auch noch dies: «Angebote von Baurechtsabgaben durch die Stadt Zürich werden in der Regel auf der Internetplattform homegate.ch ausgeschrieben.» Es könnten sich also durchaus auch Private um ein Baurecht bewerben – so sie denn bereit wären, die Auflagen zu akzeptieren. Ob dann auch eine andere Klientel dort wohnen würde, ist allerdings zu bezweifeln: In den Genossenschaftswohnungen leben heute schon keineswegs nur Linke. Und mehr Wohnungen braucht es so oder so.

Gemäss einem Artikel in der NZZ am Sonntag vom 16. April geht es mit dem Bauen von Wohnungen wegen einer «Flut von Einsprachen und Auflagen» nicht vorwärts.

Konkret wird der CEO des Bau- und Immobilienunternehmens Halter AG danach gefragt, ob die Möglichkeiten, höher und dichter zu bauen, in Zürich funktionierten. Er antwortet, seine Firma denke nicht daran, sich auf einen öffentlichen Gestaltungsplan einzulassen: «Bei einem öffentlichen Gestaltungsplan in Zürich reden alle mit. Die Liste an Auflagen ist schier endlos.» Die Verfahren zögen sich viel zu lange hin, und die Erfolgschancen seien gering.

«Mehr Markt dürfte jetzt und in Zukunft kaum mehr bezahlbare Mietwohnungen bringen.»

Nicole Soland

Funktioniert das Instrument «Gestaltungsplan» nicht?

Die Frage geht an Lucas Bally, Leiter Kommunikation im Hochbaudepartement. Seiner Antwort schickt er erst mal eine Präzisierung voraus: «Öffentliche Gestaltungspläne werden von der Gemeinde selbst erarbeitet und betreffen in der Regel Grundstücke im Eigentum der öffentlichen Hand. Im Gegensatz dazu werden private Gestaltungspläne durch private Grundeigentümer unter Begleitung der Stadt erarbeitet.»

Im Artikel in der NZZ am Sonntag muss somit ein privater Gestaltungsplan gemeint sein. Weiter teilt Lucas Bally mit, aus Sicht der Stadt lasse sich feststellen, dass das Gestaltungsplanverfahren «durchaus funktioniert und Anwendung findet». Vielerorts sei zudem eine Verdichtung gegenüber dem baulichen Bestand auch ohne Sondernutzungsplanung möglich, «weil die bestehende Bau- und Zonenordnung teilweise grosse Ausnutzungsreserven beinhaltet». Was die Verfahrensdauer betrifft, seien die politischen und rechtlichen Kompetenzen im kantonalen Planungs- und Baugesetz festgelegt: «Auf die entsprechenden Zuständigkeiten und Fristen haben wir keinen direkten Einfluss. Und es sind in aller Regel genau diese Verfahren, die viel Zeit in Anspruch nehmen», gibt er zu bedenken: «Die internen Prozesse, auf die wir Einfluss nehmen können, werden fortlaufend optimiert.»

Ob mit oder ohne Gestaltungsplan: Wenn zurzeit Häuser um- oder neu gebaut werden, wird oft gleichzeitig aufgestockt. Bringt dies tatsächlich Wohnraum für mehr Menschen – oder bloss teure Attikawohnungen und gestiegene Mieten im ganzen Haus?

«Die Auswertung von Zusammenhängen von Bauten und Wohnungen, Bestand und realisierter Sanierungen oder Ersatzneubauten, Miethöhen und Bewohnerschaft ist äusserst aufwendig und komplex», hält Lucas Bally dazu fest. Statistik Stadt Zürich habe 2016 zu diesem Fragenkomplex umfassende Auswertungen gemacht. Im Grundsatz zeige sich aber, dass Ersatzneubauten mehr zusätzliche Wohnungen generierten als Instandsetzungen mit Erweiterungen, und dass auch mehr Menschen dort wohnten, erklärt er mit Verweis auf den Webartikel «Bauliche Entwicklung und Verdichtung – Stadt Zürich» (stadt-zuerich.ch). «Wurden in dieser Analyse im Jahr 2016 vor allem Wohnbaugenossenschaften und die öffentliche Hand identifiziert, die in der Untersuchungsperiode Ersatzneubauten erstellten, entscheiden sich auch die privaten Gesellschaften in neuster Zeit vermehrt für Ersatzneubauten», fügt er an.

Und wie lautet das Fazit?

Mehr Markt dürfte jetzt und in Zukunft kaum mehr bezahlbare Mietwohnungen bringen, und gleichzeitig nimmt die Zahl jener Menschen stetig ab, die sich den Kauf einer Wohnung zumindest theoretisch leisten könnten. Ohne Änderungen auf gesetzlicher Ebene – oder genauer: ohne Durchsetzung dessen, was bereits im Obligationenrecht steht, nämlich der Kostenmiete –, wird es nicht gehen.

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