Kai Landwehr von myclimate über Ölheizungen, Schönfärberei und inspirierende Stimmen im Klimaschutz. - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Elio Donauer

Co-Geschäftsleitung & Projektleiter Civic Media

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1. Juni 2022 um 15:00

«Medien können aufzeigen, wie eine dekarbonisierte Gesellschaft aussieht»

Myclimate entwickelt Klimaschutzprojekte und ist führender Anbieter von CO2-Kompensationen. Mit ihrem Know-How wird myclimate den Klima Watchdog von Tsüri.ch unterstützen. Das Crowdfunding dazu läuft noch bis Freitag. Im Gespräch mit Tsüri.ch erklärt Kai Landwehr von myclimate wie das denn überhaupt funktioniert mit dem Weg zu Netto-Null.

Kai Landwehr an seinem Arbeitsplatz bei myclimate

Elio Donauer: Was waren deine Gedanken, nachdem du das Abstimmungsresultat zu Netto-Null 2040 in Zürich gesehen hast.

Kai Landwehr: Ich finde es nicht so überraschend, dass man sich in Zürich dafür ausgesprochen hat,  weil Zürich ja auch schon in der Vergangenheit eher progressiv abgestimmt hat. Aber der Entscheid ist dennoch sehr erfreulich, weil dadurch verbindliche Ziele in einem geografisch gut absteckbaren Rahmen gesetzt wurden. Die Zürcher Bevölkerung hat dieses Ziel demokratisch noch einmal gestärkt. Jetzt aber ist Arbeit angesagt. Die Ziele müssen auch erreicht werden und das ist häufig der schwierige Punkt.


Was sind denn die wichtigsten Entscheide die Zürich tätigen muss, um Netto-Null zu erreichen?

Es gibt immer kurzfristige, mittelfristige und langfristige Massnahmen. Wie überall entstehen auch in Zürich sehr viele Emissionen im Bereich Mobilität und Verkehr. Da kann man planerisch Verbesserungen erreichen. Der öffentliche Nahverkehr ist in Zürich super, aber es lässt sich sicherlich noch einiges mehr tun. Ein Dauerthema dieser Stadt ist die Infrastruktur für Velofahrer:innen. Mit so einer Entscheidung im Rücken kann man sich diesem Bereich noch einmal fokussiert widmen. 

Zürich hat aber auch durch die ortsansässigen Unternehmen ein riesiges Potential. Mit Programmen wie dem Öko-Kompass versucht die Stadt dieses schon seit Jahren zu wecken. Dies ist sehr sinnvoll, sollte aber gestärkt und ausgebaut werden. 

Ein ganz wichtiger Faktor sind weiter auch die städteplanerischen und städtebaulichen Gesichtspunkte. Eine Stadt ist ein Mikrokosmos mit vielen unterschiedlichen Bereichen und Anspruchsgruppen. Diese müssen jetzt nach und nach oder beziehungsweise eher zeitgleich angegangen werden.

Zur Person

Kai Landwehr ist Mediensprecher bei myclimate. Der studierte Historiker arbeitet seit fast 10 Jahren bei der Organisation. Vor seiner Tätigkeit für myclimate war er in der Kommunikation in der Sportartikelindustrie tätig. myclimate ist führender Anbieter für CO2-Kompensation und Klimaschutzberatung.

Welcher ist der grösste Hebel, den Zürich hat im Bezug auf Netto-Null?

Wenn man Zürich als Stadt anschaut müsste man klar sagen: Weg mit allen Ölheizungen. Im Gebäudebereich liegen schweizweit riesige Potenziale. Ob und wie die Stadt hier Kompetenzen hat, ein solches Verbot durchzusetzen, ist dann aber wieder eine andere Frage. Mehr Gestaltungsspielraum hat das Stadtparlament sicher im städtischen Verkehr und Mobilitätsmanagement. Daran wird zwar schon seit Jahren gearbeitet, aber es gibt noch immer viel zu tun. Es sind wahrscheinlich keine Massnahmen vorhanden, die nicht schon bekannt wären und nicht schon zum Beispiel vom Umweltdepartement offen kommuniziert worden sind.

Die wichtigsten Massnahmen sind somit also bekannt. Wer aber kontrolliert, ob die Stadt tatsächlich klimaneutral wird? Wie wird das gemessen?

Es ist sicherlich die Aufgabe der Stadt beziehungsweise des Umweltdepartements,  eine Bilanz zu machen. Wenn man klimaneutral werden will, muss man zuerst die Ist-Situation kennen und wissen, wie hoch denn überhaupt der CO2-Ausstoss der Stadt Zürich ist. Man darf sich eine solche Messung allerdings nicht so vorstellen, dass irgendwelche Sensoren aufgestellt werden. Man definiert vielmehr Emissionsquellen, also vor allem Energienutzung und überwacht deren Veränderung. Dazu multipliziert  man dann den Faktor für CO2-Emissionen und erhält so den Wert für die eigene Bilanz. In Folge muss jährlich bemessen werden, was sich verändert hat und welche Konsequenzen mögliche Veränderungen haben werden. 

Das ist erstmals die Aufgabe der Stadt selber, aber eben mit einer Kontrolle von mindestens einer Drittpartei – da gibt es verschiedene qualifizierte Dienstleister – und natürlich der städtischen Öffentlichkeit.



Crowdfunding: Klima Watchdog


Wir Zürcher:innen haben entschieden: Bis 2040 soll unsere Stadt Netto-Null schaffen. Das heisst, wir müssen pro Person jährlich 3,1 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Wie soll das gehen? Und willst du auch wissen, welche Massnahme uns dem Ziel wie viel näher bringt? Mit dem Klima Watchdog schaffen wir transparente und frei zugängliche Informationen zum Weg zu Netto-Null. Unterstütze jetzt das Crowdfunding auf WeMakeIt.


Diese Dienstleister arbeiten auf Auftragsbasis. Eine unabhängige Kontrollstelle gibt es aber nicht?

Eine unabhängige, allgemein befugte Kontrollstelle für CO2-Bemessung und -Kontrolle der Erreichung der Reduktionsziele gibt es nicht. Das unterstreicht die Rolle der Öffentlichkeit. Die Wähler:innen müssen die Politik in die Pflicht nehmen, damit diese nicht nur Ziele kommuniziert, sondern sondern auch die Zielerreichung kontrolliert. Dazu braucht es schlussendlich Dienstleister:innen oder Expert:innen, welche die Daten analysieren, verifizieren und auch verständlich aufbereiten können. 

Inwiefern schätzst du den Einfluss von Medien im Bezug auf Klimaschutz und Netto-Null ein?

Dieser Einfluss ist ganz wichtig. Die Multiplikatoreneffekte von Medien, aber auch von Personen des öffentlichen Lebens gehen über die Informationsebene hinaus. Es geht auch darum, zu inspirieren. Wenn immer nur pessimistisch berichtet wird und der Klimawandel als unüberwindbares Riesenproblem dargestellt wird, ist es schwierig, die Leute ins Boot zu holen. Wenn man aber aufzeigt, was die Ziele sind, dass diese Ziele auch erreichbar sind und welche Schritte man dafür unternehmen muss, dann kann man eine viel inspirierendere Perspektive zeigen. 

Hier haben die Medien eine wichtige Rolle und zwar nicht im Sinne einer Schönfärberei, sondern tatsächlich eben, indem man versucht, aufzuzeigen, was so eine Dekarbonisierung der Gesellschaft bedeutet. Denn dies ist in seiner Konsequenz ja kein schlechtes Zukunftsszenario. Mit so einer faktenbasierten, aber eben inspirierenden Berichterstattung kann man den Leuten auch ein wenig die Angst nehmen und gar die Lust steigern, sich zu engagieren.

Warum braucht es den Klima Watchdog und warum unterstützt myclimate diesen?

Es braucht kritische, fundierte, intelligente, aber eben auch inspirierende Stimmen die zeigen, dass Klimaschutz und Netto-Null auch wirklich möglich sind. Klimaschutz ist ein Thema, das in der Vergangenheit mal medial auftauchte und dann auch wieder verschwand. Häufig wurde es auch sehr alarmistisch betrachtet. 

Wenn man wie beim Klima Watchdog jetzt einen konstanten Feed liefert und in diesem ganz viele, auch ermutigende Aspekte beleuchtet, holt man die Leute mit an Bord. Mit myclimate versuchen wir seit 20 Jahren, eben nicht nur konkrete Lösungen anzubieten, sondern auch ein Bewusstsein zu schaffen und Wissen zu vermitteln. Darum unterstützen wir den Klima Watchdog. Wenn Klimaschutz nur die Sache von einigen wenigen Leuten ist oder nur auf der Entscheidungsebene bleibt, aber nicht auf die Ebene der Macher runtergeht, dann wird dieser vermutlich nicht erfolgreich sein.

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