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9. Dezember 2016 um 12:48

Eine Frau erklärt, warum Männer nicht den ersten Schritt machen müssen

Wer soll beim Flirten den ersten Schritt machen? Ist das noch immer die Aufgabe des Mannes?

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Viele junge Frauen beantworten diese Fragen immer noch klar mit einem Ja. So auch in einer Strassenumfrage von 20 Minuten. Fast alle Interviewten erwarten von den Männern die ersten Annäherungsversuche. Jedoch können sie nicht erklären wieso: «Das ist halt einfach so», sagen drei der Befragten und schauen dabei etwas beschämt.

Die natürliche Rolle der Frau

Der hinzugezogene Jugendpsychologe Allan Guggenbühl (dass hier ausgerechnet ein Mann als Experte zu den Bedürfnissen von Frauen befragt wird, sei mal dahingestellt) holt sogleich zum freudschen Rundumschlag aus. Ganz nach der veralteten Lehrmeinung des Penisneids behauptet er süffisant, wie Frauen sich in der Vergangenheit «krampfhaft» männliche Verhaltensweisen aneigneten, um überhaupt von der Männerwelt ernst genommen zu werden. Diese Zeiten seien aber vorbei, da wir in unserer Gesellschaft ja längst die Gleichberechtigung erreicht hätten. «Deswegen können sie sich wieder wohl fühlen in ihrer Rolle als Frau», so Guggenbühl.

Diese entmündigende Aussage lässt nicht nur erschreckende Bilder einer in ein Dirndl gepresste, arische Übermutter vor meinem inneren Auge erscheinen, sie nimmt ebenfalls vorneweg, wie Männer sich gefälligst zu verhalten haben. «Typisch männliche» Attribute wie Aggressivität und Dominanz würden dem Mann zum Erfolg verhelfen, denn die nach Romantik lechzende Frau möchte schliesslich erobert werden.

Das Gros der Männer in meinem Umfeld quält sich aber mit diesen gesellschaftlichen Erwartungen. Oft sind sie zu scheu, um Frauen direkt anzusprechen. Durch Artikel wie diesen wird ihnen auch unmissverständlich mitgeteilt, dass Eier aus Stahl halt doch mehr wert sind als ihre eigenen Emotionen. Kompensation durch übertriebenes Machoverhalten kann durchaus durch diesen gesellschaftlichen Druck erklärt werden.

Sind wir Höhlenmenschen mit Smartphones?

Solche sexistischen Argumente werden schon seit Anbeginn der Zivilisation damit gerechtfertigt, dass Geschlechterrollen auch in der Natur vorkommen. Viele Spezies zeigen ein dominant aggressives Verhalten der Männchen bei der Paarung, wobei sich das Weibchen ihm unterwirft. Der Mensch als Säugetier steht gemäss dieser Theorie dem in nichts nach. Da wir Menschen uns aber als «überlegene Spezies» auf diesem Planeten aufführen wie im Selbstbedienungsladen und uns ständig selbst zu unserer Intelligenz beglückwünschen, wäre es doch angebracht, an dieser Stelle unseren naturgegebenen Verstand zu benutzen. Ich kriege die Krise wenn ich daran denke, dass wir kurz davor sind, künstliche Intelligenz zu erschaffen, gleichzeitig aber unsere Moralvorstellungen auf jenen von Höhlenmenschen basiert.

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Scheinbar trauen sich junge Menschen halt nicht mehr als die Balz-Kompetenz von Tieren zu. So modern und fortschrittlich unsere Gesellschaft auch ist, so archaisch und konservativ sind unsere Wertmassstäbe offenbar immer noch. Wir schaffen es einfach nicht, Jahrtausende alte Verhaltensmuster abzustreifen, die uns die vorangegangen Generationen der Patriarchen in die Köpfe gehämmert haben. Wie diese Umfrage beweist, können wir nicht einmal erklären, zu was sie gut sind. Stattdessen werden alle Fortschritte in der Geschlechtergleichstellung über Bord geworfen, indem sie von vermeintlichen Fachpersonen lapidar als nicht mehr relevant bezeichnet werden. Kein Wunder! Unsere Jugend war noch nie so «bünzlig» wie heute, wie auch dieser Artikel beschreibt. Zündeten unsere Mütter noch ihre BHs als Zeichen für die Überwindung des Patriarchats an, suchen Jugendliche heute Stabilität in Konservatismus, weil die Welt wieder mal ein bisschen aus den Fugen gerät. Same same, but different, but still same. Die Geschichte hätte uns eigentlich schlauer machen sollen.

Girls just wanna have FUNdamental human rights

Auch zum Feminismus hat Guggenbühl eine ganz eigene Meinung: «Die Idee des Feminismus war nie, dass Männer und Frauen gleich werden, sich gleich verhalten, identische Strategien anwenden.» Nein, aber die Grundidee des Feminismus ist, dass kein Geschlecht über das andere bestimmen kann. Wenn man aufhört zu sagen «Frauen müssen sich so und so verhalten und Männer so und so», dann hat man bereits einen grossen Schritt in die richtige Richtung getan. «Strategien» in der Partnersuche wären dann obsolet und wir fänden es wahrscheinlich einfacher jemandem zu sagen, dass man ihn oder sie gut findet, ohne kindische Spielchen zu spielen.

Guggenbühl versucht seine anfänglichen Aussagen zu relativieren, in dem er am Ende des Artikels den Spiess umdreht: Eigentlich würde ja die Frau den Mann kontrollieren. Mit subtilem Wimperngeklimper sendet sie ihm Signale, bis er, dumm von seinen ganzen Sexualhormonen, kapiert, was eigentlich vor sich geht (das ist mit Absicht überspitzt wiedergegeben, da ich mir beim besten Willen keine andere Szene ausmalen konnte).

Dieser verzweifelte Versuch, sein anfängliches mansplaining irgendwie politisch korrekt zu verpacken, scheitert aber kläglich. Dann kommt der Hammer: «Weil sie (die Frauen) das Thema Gleichberechtigung nicht beschäftigt, dürfen sie ohne schlechtes Gewissen weiblich sein, sie müssen niemandem etwas beweisen.» Das nächste Mal, wenn ich wieder mal so richtig Frau sein möchte, stelle ich mich an die Bar, grinse dümmlich vor mich hin und warte, bis mir ein verunsicherter Macho stotternd einen Heiratsantrag macht.

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