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Von Anna Rosenwasser

Journalistin

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16. April 2020 um 04:00

Anna Rosenwasser über Liebe während der Krise: «Anziehung ist sowas Gutes»

Die Pandemie hat die Weltwirtschaft zum Erliegen gebracht. Wir merken, dass ohne uns nichts geht. Gelingt es uns, ein neues Kapitel aufzuschlagen, sobald das öffentliche Leben weitergeht? Verschiedene Autor*innen analysieren die Situation und geben konkrete Tipps, wie jede*r einzelne von uns dazu beitragen kann. Heute mit Anna Rosenwasser von der Lesbenorganisation Schweiz.

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Bild: zvg

Es gibt so viele Formen von Liebe – und in der wochenlangen Isolation haben wir gemerkt, wie unterschiedlich diese Formen sein können: Die Art, wie du deine beste Freundin vermisst, fühlt sich anders an als das Vermissen deines Mamis. Facetime mit deinem Ex von vor vielen Jahren ist was anderes als die Aufregung die du spürst, wenn dir dein neuer Tinder-Crush schreibt. Was du empfindest, wenn dein Mitbewohner eine geile Pizza für dich auftischt, ist eine andere Form von Liebe wie die gegenüber deines (jetzt noch anhänglicheren) Büsis.

Wer dir während dieser Pandemie gefehlt hat, warum dir diese Person gefehlt hat und wie sich das anfühlte – all das hat dich gelehrt, dass Anziehung vielfältig ist. Nicht immer kann man sie einordnen, und das muss auch nicht immer sein. Solange sie schön ist, darf sie bleiben.

Auch was Familie bedeutet, wurde uns ganz einschneidend klar: sich Sorgen machen um den eigenen Vater, zum ersten Mal skypen mit dem eigenen Bruder – aber auch plötzlich eine noch nie dagewesene Verbundenheit beim gemeinsamen Webcam-Apéro mit Freund*innen fühlen.

Wo fängt Familie an, wo hört sie auf? Jedenfalls nicht bei der Blutsverwandtschaft. Das traditionelle Bild der Kernfamilie, mit leiblichem Mami, leiblichem Papi und zweieinhalb Kindern: Dieses alte Ideal ist nur noch eine von mannigfaltigen Möglichkeiten, Familie zu haben.

Ich wünsche mir eine Welt nach Corona, in der wir diese Erkenntnisse zu Anziehung und Familie in der Politik, unserem Schulsystem, unserem Gesundheitswesen und unserem Alltag integrieren. Ich wünsche mir, dass queere Menschen überall sein können: Egal ob im Parlament als geoutete Trans-Politiker*in oder als Homo-Paar in unserer Verwandtschaft.

Anna Rosenwasser
Anna Rosenwasser ist Co-Geschäftsleiterin der Lesbenorganisation Schweiz (LOS) und Journalistin. Sie wohnt im Kreis 5 und vermisst in Zürich vor allem Katzen.

Während wir alle wochenlang Zeit zum nachdenken hatten, spürten wir erst Angst – und dann Hoffnung: Hoffnung, dass wir unser Leben dann am besten leben können, wenn wir uns selbst sind.

Wenn du auch daran glaubst, kannst du Einfluss nehmen, indem du folgende Anliegen von queeren Menschen kennst und dich für sie einsetzt:

  • Engagiere dich dafür, dass queere Identitäten in allen Schulen schon früh thematisiert werden: Zum Beispiel dadurch, dass in Märchen zwei Prinzessinnen heiraten und im Unterricht ganz unterschiedliche Familien vorkommen.
    Oder Schüler*innen im Chemie- und Bio-Unterricht lernen, dass unsere Chromosomen nicht bloss zwei Geschlechter kennen; oder in den Sprachfächern auch Trans-Literatur gelesen wird.
    Schüler*innen lernen so schon früh, wie vielfältig Geschlecht und Anziehung sind. Niemand sollte Angst haben müssen, sich zu outen. Wenn sich ein Schüler als schwul outet, sollte es eine Party geben. Wenn sich eine Trans-Schülerin mit einem neuen Vornamen vorstellt, kann die Klasse Happy Birthday singen.
  • Öffne, falls noch nicht geschehen, dein Weltbild: Nimm die Erkenntnis, dass Liebe viele verschiedene Gesichter hat, aus der Isolation raus in die Freiheit. Begrüsse von Herzen die Ehe für alle – erkenne an, dass viele Leute, von hetero bis homo, auch gar nie heiraten wollen. Denn Liebe sieht je nach Wesen anders aus. Mal ist es Pizza. Mal ein Büsi. Und mal ein weisser Schleier.
  • Vertrete die politische Position, dass alle Menschen die gleichen Möglichkeiten haben sollten, Familien zu gründen. Wer Kinder adoptieren oder via Samenspende zeugen will, soll das dürfen – unabhängig davon, wen man liebt oder ob man überhaupt vergeben ist. Alleinerziehende Eltern existieren nämlich ebenso wie Familien, in denen mehr als zwei Erwachsene das Kind grossziehen.
  • Nimm Anteil daran, dass im Gesundheitssystem queere Menschen genauso willkommen sind wie alle anderen. Medizinische Fachkräfte haben surreal viel geleistet während der Krise. Dank Anerkennung und hoffentlich bald auch ausreichender Entlohnung in allen Bereichen der Care-Arbeit, sollten die Ressourcen da sein, um sich um sämtliche Teile der Bevölkerung zu kümmern. Jeder Arzt sollte wissen, wie er mit einem Trans-Patienten umzugehen hat und Gynäkologinnen ihren lesbischen Patientinnen die richtigen Fragen stellen.
Wenn das alles vorbei ist
In der Rubrik «Wenn das alles vorbei ist», teilen Autor*innen aus verschiedenen Fachgebieten ihre Sicht auf die Welt während und nach Corona und geben konkrete Tipps, wie jede*r einzelne von uns dazu beitragen kann, sie ein Stück besser zu machen.

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