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22. November 2017 um 08:53

Stereo Luchs: «Der Friesenberg hat Liebe verdient»

Stereo Luchs ist der Mann der Stunde: Der Zürcher Mundartkünstler scheint mit seinem Dancehall-Album «Lince», den Nerv der Zeit zu treffen. Tsüri.ch hat ihn getroffen, um über Themen wie Majordeals, Reimstrukturen und den Friesenberg zu sprechen.

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Es ist sein Moment. Vier Jahre nach seinem letzten Album ist Stereo Luchs' Album «Lince» am 10. November über Universal Music erschienen und begeistert Fans wie Kritiker gleichermassen. Die Plattentaufe im Exil war innerhalb einer Woche ausverkauft. Es mag am allgemeinen Dancehall-Hype liegen – man kratzt am Nerv der Zeit. Es kann aber auch daran liegen, dass Stereo Luchs seit zehn Jahren kontinuierlich seine Fanbase aufbaut und trotz Major im Rücken glaubhaft authentisch geblieben ist.

Du bist jetzt 36 Jahre alt und hast erst dein zweites Album veröffentlicht. Man könnte sagen, du bist spät dran, aber andererseits hättest du vor zehn Jahren wahrscheinlich nicht dasselbe Netzwerk gehabt wie heute. Wie siehst du das?

Ja, das ist auf jeden Fall so. Für die breite Öffentlichkeit muss es gewirkt haben, als hätte ich kaum etwas gemacht in den letzten Jahren. Ich war aber immer am Auflegen, habe mit «Temple of Speed» viele Rapper kennen gelernt und allgemein viele Kontakte geknüpft. Ich war immer da, nur nicht mit einem grossen Release.

Arbeitest du noch daneben oder setzt du voll auf die Musik?

Ich habe immer Teilzeit gearbeitet, weil das eine entspannte Mischung war und ich auch immer coole Jobs machen konnte. Das hat ein paar Jahre lang sehr gut gepasst für mich. In den letzten ein bis zwei Jahren war ich mit der Situation aber immer unzufriedener und hatte das Gefühl, in beiden Teilen etwas stehen zu bleiben. Mit dem neuen Album ist für mich dann der Entscheid gefallen, der Musik mehr Priorität zu geben.

Schon bei deinem letzten Album hätte die Möglichkeit bestanden, mit einem Majorlabel zusammen zu arbeiten. Das hast du damals nicht gemacht. Warum hast du es für dieses Album getan?

Beim ersten Album war ich sehr viel unsicherer, weil ich weniger Erfahrungen im Geschäft hatte. Es war mein Erstlingswerk und ich wollte im kleinen Rahmen austesten, was mit dem Stereo-Luchs-Projekt möglich ist. Das habe ich ein paar Jahre gemacht mit meinem Label «Pegel Pegel!».

Jetzt bist du auf einem Majorlabel, dein neues Album vertreibst du aber weiter auch über deinen «Pegel Pegel!»-Label. War dir das wichtig?

Es war mir wichtig, dass jemand, der meine letzten Releases dort bestellt hat, die Platte auch weiterhin bei uns direkt kaufen kann – oder sie in seinem Lieblings Plattenladen. Dieser Handmade-Vibe und das Lokale muss bestehen bleiben.

Ist ein Majordeal wichtig, um den nächsten grossen Schritt als Musiker zu machen?

Man kann heute einen Release gut als Indie durchziehen, wenn man selber das passende Team hat. Ich werde das sicher auch weiterhin tun, da habe ich mir die Freiheiten offen gehalten. Im Entstehungsprozess haben wir bis hin zum Master alles selber gemacht, genau so wie wir Bock hatten. Mit dem fertigen Album bin ich dann zu Universal. Das Label hilft mir vor allem beim Termine vereinbaren, Anfragen bearbeiten und beim Booking. Indie klingt manchmal sexier, als es in Wahrheit ist – in erster Linie ist es saumässig viel Arbeit.

Quelle: Instagram/@puppastereo

Ist es als Schweizer Musiker wichtig im Radio zu laufen?

In der Schweiz ist das sehr stark so, habe ich das Gefühl. Besonders im Rap schien es mir, als würden pro Saison nur ein bis zwei Rapper wirklich gespielt. Mehr konnte oder wollte man der Hörerschaft nicht zumuten. Aber vielleicht ändert sich das mit der Zeit. Ein Pronto hat beispielsweise 16-/17-jährige Fans, welche niemals Radio hören und die eher über Streaming und Whatsapp-Gruppen zur Musik kommen. Da ist es dann eher wichtig, gute Shows zu spielen und entsprechend Merchandise zu verkaufen. Das Radio braucht es dazu nicht mehr unbedingt.

Vor zehn Jahren hattest du auf dem «Style Generator»-Album von Phenomden deinen Einstand in der Szene. Damals erschien der Song «Download Business» auf dem du das illegale Downloaden anprangerst und davor warnst, dass die Musiker auf diese Weise verarmen. Heute läuft alles legal über Streamingplattformen. Hat sich das Musikerdasein zum Besseren gewendet?

Es hat sich so viel geändert in den letzten zehn Jahren mit der Digitalisierung, dass mein Song «Download Business» heute keinen Sinn mehr macht – das ist eigentlich cool. Finanziell sind die goldigen Zeiten im Musikgeschäft zwar vorbei und es ist Kacke, wie wenig der Künstler beispielsweise bei Spotify verdient. Aber: Es ist eine coole Plattform, auf der ich als Künstler selbst meine Seite verwalten kann. Die Leute können meine Musik dort unaufdringlich hören, während man früher zuerst die CD verkaufen musste, bevor der Kunde die Musik hören konnte. Diese Hürde ist jetzt weg. In diesem Sinne hat es sich mit dem Streaming zum Guten gewendet. Das Problem ist einzig, dass der Schweizer Markt zu klein ist, um von den Streams zu leben. Der Kuchen war aber auch schon vor zehn Jahren zu klein.

Du hast zwar bei «Temple of Speed» mitgemacht und weitere Kollaborationen mit Rappern gehabt. Ich muss aber zugeben, dass ich dich bei der Planung dieser Züri-Rap-Reihe zuerst gar nicht auf dem Schirm hatte. Verstehst du das?

Für mich war es nie so weit hergeholt, ich bin ja in den 90ern aufgewachsen und habe als Jugendlicher in Zürich zuerst Rap gehört und nicht Bob Marley. Rap ist für mich nicht so weit entfernt vom Reggae. Die Rhythmen sind vielleicht ein wenig anders, aber im Endeffekt schreibe ich darauf 16er-Verse und die Reime reimen sich – genau wie im Rap.

Stereo Luchs (r.) zusammen mit Trettmann, Quelle: Instagram/@puppastereo

Du wirst zurzeit viel mit dem deutschen Dancehall-Künstler Trettmann verglichen, der ja auch auf deinem Album vertreten ist. Wenn ich eure Musik höre, fällt mir insbesondere auf, dass ihr beide sehr viel Wert auf gute Reime legt.

Dancehall ist eigentlich sehr lyrisch in der Originalform. Der Durchschnittshörer in Jamaika ist sehr kompetent – sei es die Mama zu Hause oder der Verkäufer an der Ecke. Mit lahmen Lyrics kommt ein Artist dort nicht weit. Mir persönlich ist es einfach wichtig, nicht Haus auf Maus zu reimen und in meinen Texten echt zu bleiben.

Hast du beim Texten manchmal das Problem, zu verkopft oder zu technisch an die Sache heran zu gehen? Dass du einen guten Reim hast, der aber thematisch gar nicht mehr zum Text passt?

Tatsächlich stelle ich mir diese Frage ziemlich oft und habe mich in dieser Hinsicht sicher auch schon schuldig gemacht. Ich achte aber mittlerweile sehr darauf, dass auch mal ein geiler Doppel- oder Triplereim wegfällt, wenn er nicht zum Inhalt passt. Schlussendlich braucht es nicht einmal unbedingt immer einen Reim: Wenn die Hauptaussage stimmt, ist das viel wichtiger.

Holst du dir bei deiner Musik viel Feedback von aussen oder machst du es jeweils mit dir selbst aus

Beides. Manchmal hilft es einfach nur, sich einen Text am nächsten Morgen nochmals anzuschauen, statt ihn am selben Abend schon aufzunehmen. Manchmal zeige ich ihn auch Personen meines Vetrauens. Es scheint mir generell wichtig, seine Musik mit anderen Leuten zu besprechen. Wenn man seine Musik anderen Leuten zeigt und dir jemand sagt, dass er dir den Text beispielsweise nicht abnimmt, wirst du viel direkter entlarvt, als wenn man es nur mit sich selbst ausmacht.

Schreibst du auch mit Leuten zusammen?

Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass der Künstler seine Texte selbst schreiben sollte. Ich bin aber auch mit halbfertigen Texten nach Berlin und habe sie zusammen mit Fizzle von Kitschkrieg fertig geschrieben. Ich habe sie ihm übersetzt und wir haben teilweise lange darüber geredet, wo ich mit den Texten genau hinwill. Da wurde viel gestrichen, immer und immer wieder. Man sollte viel mehr auf diese Weise zusammenarbeiten.

Im Song «Bellevue» singst du vom «Balgrist». Als Zürcher weiss man: Dort ist das Burghölzli, die psychiatrische Klinik. War es dir wichtig, solche Zürcher Insider in deine Musik einzubauen?

Ich schreibe direkte Texte, keine abstrakten poetischen Songs. Es ist direkt aus meinem Leben, die Texte sind deshalb direkt davon beeinflusst, wo ich lebe. Die Musik soll aber nicht nur in Zürich funktionieren. Als Jugendlicher habe ich beispielsweise «Bambule» von den Absoluten Beginnern gehört und total gefeiert, dass die ihren eigenen Hamburger Slang hatten. Ich musste zuerst herausfinden, was «ahnen» oder «Eimsbush» überhaupt bedeutet, aber es war interessant. Es waren nicht diese deutschen Standardwörter. Natürlich darf der Text nicht zu kryptisch sein, aber mir macht es Spass hie und da Wörter und Begriffe einzubauen, welche sich vielleicht nicht jedem gleich erschliessen.

An der Bounce-Cypher bist du mit dem Lokalpatriotismus sogar noch einen Schritt weitergegangen und hast die Fahne für den Friesenberg hochgehalten. Da warst du wahrscheinlich der erste, meinst du nicht?

Es ging relativ lange, bis ich überhaupt zu dieser Cypher eingeladen wurde. Ich wollte da unbedingt die Chance nutzen und den Leuten zeigen, wer dieser Stereo Luchs ist und wo ich herkomme. Es gibt Songs über den Kreis 4 und 5, Phenomden hat den Song «Wiedike» gemacht. Natürlich gehört der Friesenberg auch zu Wiedikon, aber ich wollte mein Quartier nochmals extra hervorheben. Ich finde, der Friesenberg hat diese Liebe verdient. Jeder den ich kenne, der dort aufgewachsen ist oder mal da gewohnt hat, hat dieses Quartier gern.

Auf deinem letzten Album hattest du den Song «Was isch los», in dem du Zürich sehr kritisch betrachtet hast. Auf deinem neuen Song gibt es den Song «Ziitreis». Vermisst du etwas am Zürich von früher?

Im «Was isch los»-Kontext vermisse ich das alte Zürich schon, das einem noch mehr erlaubt hat, das lockerer war. Gerade was die Kultur angeht: Wenn man im Trendquartier Wohnungen für 1.5 Millionen verkauft und der Club dort dann schliessen muss deswegen, ist das doch Scheisse. Aber auf dem aktuellen «Ziitreis» geht es mehr um persönliche Erfahrungen. Da geht es mehr darum, der Vergangenheit nicht nachzutrauern, sondern im Jetzt zu leben. Ich bin auch kein Student mehr, der in einer WG wohnt. Meine Kollegen wohnen nicht mehr in besetzten Häusern, sondern in schönen Wohnungen. Man schaut in den Spiegel und gehört selbst nicht mehr zur Subkultur. Man wird halt etwas gesetzter im Alter, aber das ist okay.

Du hast früher studiert und bist dann Architekt geworden. Nun wohnst du in den Hardhochhäusern. Wird man nicht irgendwann selbst automatisch Teil der oft kritisierten Gentrifizierung?

Man muss sich auf jeden Fall selbst immer mit ins Boot nehmen und nicht einfach mit dem Finger auf die bösen Yuppies zeigen. Ich selbst bin immer ein bisschen durch die Maschen geflogen. Ich habe zwar Architektur studiert, aber nie als Architekt gearbeitet. Ich hatte nie einen Vollzeitjob und hatte nie viel Geld. Im Idealbild meiner Stadt muss es aber für alle Platz haben, vor allem auch für Leute, welche schlecht bezahlten Jobs nachgehen und mit wenig Geld durchkommen müssen. Am Ende des Tages bin ich aber in Zürich aufgewachsen und möchte hier auch noch eine Weile bleiben.

Quelle Titelbild: Mirjam Wirz

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