Freie Zimmer für geflüchtete Ukrainer:innen: «Nicht so einfach umsetzbar» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Alice Britschgi

Praktikantin Redaktion

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5. März 2022 um 08:00

Freie Zimmer für geflüchtete Ukrainer:innen: «Nicht so einfach umsetzbar»

Wenn geflüchtete Ukrainer:innen in Zürich ankommen, brauchen sie eine Unterkunft. Laut der Stadt können sich Personen, die Wohnraum zur Verfügung stellen möchten, unter einer Ukraine-Hotline melden. Was sich nach einfacher Hilfe anhört, ist schwieriger als gedacht. Wir haben bei der AOZ nachgefragt, was jetzt hilft – und was nicht.

Viele Zürcher:innen wollen ihre Türen für Geflüchtete öffnen. (Bild: unsplash/spacejoy)

Wie die Stadt Zürich gestern Freitag in einer Medienmitteilung bekannt gab, rechnet sie in den nächsten Tagen mit steigenden Zahlen von geflüchteten Ukrainer:innen und bereitet sich entsprechend auf die «Unterbringung und Betreuung» der Menschen vor.

Zur Deckung des unmittelbaren Bedarfs würden prioritär bestehende Strukturen von Bund, Kanton und Stadt genutzt. In einem zweiten Schritt werde aber auch längerfristig nutzbarer Wohnraum benötigt. Zürcher:innen, die «entsprechenden Wohnraum» zur Verfügung stellen möchten, können sich unter der Ukraine-Hotline der Asylorganisation Zürich (AOZ) melden. 

Nicht so einfach

Doch was genau ist mit «entsprechendem Wohnraum» eigentlich gemeint? Kommt ein freies WG-Zimmer in Frage? Oder ein Gästezimmer? Was muss man bedenken? 

Schliesslich ist der Wohnraum in Zürich knapp. Das spürt auch die AOZ. Die Organisation ist immer auf der Suche nach Wohnungen und Häusern für die Unterbringung von geflüchteten Menschen – nicht nur jetzt. Dies bestätigt Martin Roth, Abteilungsleiter Kommunikation und gesellschaftliche Diversität der AOZ. Meldet sich ein:e potentielle:r Vermieter:in wird das Angebot geprüft und ein Mietvertrag ausgehandelt. Mieterin ist dann die AOZ als Fachorganisation.

Aufgrund des Kriegs in der Ukraine melden sich bei der AOZ zur Zeit mehr Leute, die Geflüchteten Wohnraum zur Verfügung stellen möchten. Dass jetzt so viele Menschen helfen wollen, findet Martin Roth bewundernswert. Doch er fügt an: «Bei vielen Anrufen wird schnell klar, dass die angestrebte Hilfe nicht so einfach umsetzbar ist.» Weshalb?

«Wir suchen keine WG-Zimmer»

Viele der Anrufer:innen würden geteilten Wohnraum anbieten. Roth hat dazu eine klare Haltung: «Wir brauchen Wohnraum. Wir suchen Häuser, Wohnungen, Hausteile, Zwischennutzungen – aber keine WG-Zimmer.» Aus den Jahren 2015 und 2016, in denen viele syrische Geflüchtete in Zürich ankamen, wisse man, dass eine Unterbringung in bestehende Haushalte wenig zielführend sei. In mehr als der Hälfte der Fälle funktioniere das nicht.

Zum einen sei eine strukturierte Organisation der Unterbringungen nicht machbar. Der Aufwand sei zu hoch. «Die AOZ kann die Verantwortung für das Matching nicht übernehmen – und zwar auf beiden Seiten», führt Roth aus. Zum anderen würden viele hilfsbereite Personen unterschätzen, was es heisst, geflüchtete und oftmals traumatisierte Menschen bei sich aufzunehmen. «Wir haben die Aufgabe, nachhaltige Lösungen zu schaffen, nicht solche, die nach drei Wochen wieder über den Haufen geworfen werden», erklärt Roth. Menschen, die aus Kriegssituationen kommen, stünden unter wahnsinnigem Stress. Oft komme es deshalb zu Situationen, die Menschen hier in ihrem geregelten Arbeitsalltag nicht bewältigen können.

Auch die Regelstrukturen des Asylwesens machen die Unterbringung von geflüchteten Menschen in Privathaushalten zuerst einmal nicht möglich. «Wir haben Strukturen, die darauf ausgerichtet sind, Geflüchtete aus der ganzen Welt in der Schweiz zu platzieren», sagt Roth. Alle Personen, die Asyl beantragen wollten, müssten diese Strukturen durchlaufen. 

Zuerst müsse ein Asylgesuch im Bundesasylzentrum eingereicht werden. Werde dieses anerkannt, würden die geflüchteten Menschen nach einem Schlüssel in Durchgangszentren verschiedener Kantone verteilt und schliesslich von den Kantonen in die Gemeinden. Erst da, bei der Verteilung auf die Gemeinden, komme der Moment, in dem es Wohnraum ausserhalb dieser Strukturen brauche.

Kann die Mehrheit nicht helfen?

Im Klartext heisst das: Die AOZ spricht Vermieter:innen und Hausbesitzer:innen an, die der Stadt längerfristig Wohnungen oder Häuser zur Unterbringung von Geflüchteten nach den Durchgangszentren vermieten können. Die meisten Zürcher:innen besitzen jedoch keine Häuser und Wohnungen. Kann die Mehrheit also nichts ausrichten? Helfen leere WG-Zimmer gar nicht?

Doch, sagt Roth.

Personen, die helfen wollen und ein freies Zimmer haben, rät Roth, sich privat zu organisieren. Man könne Leute in akuten Notsituationen aufnehmen, zum Beispiel vor dem Eintritt ins Asylzentrum. Am einfachsten sei es, wenn man jemanden kenne, der aus der Ukraine nach Zürich komme. Alternativ rät Roth, sich untereinander zu vernetzen. Informell könne so viel aufgefangen werden. Sobald es aber um einen längeren Aufenthalt in der Schweiz gehe, beginne zwingend irgendwann der normale Prozess des Asylverfahrens.

«Momentan kann sich von Stunde zu Stunde alles ändern.»

Martin Roth, Abteilungsleiter Kommunikation und gesellschaftliche Diversität der AOZ

Roth hält zudem fest: «Momentan kann sich von Stunde zu Stunde alles ändern.» Es sei nun wichtig, was der Bundesrat zum Status S entscheide. Vielleicht würden Direktplatzierungen durch Sonderregelungen plötzlich möglich und nötig werden. Die AOZ nehme die Daten von Anrufer:innen deshalb in jedem Fall auf. 

Auf die abschliessende Frage, ob das alles impliziere, dass es in den Bundesasyl- und Durchgangszentren genügend Plätze für die geflüchteten Ukrainer:innen gebe, antwortet Roth: «Hätte man mich noch vor drei Stunden gefragt, hätte ich gesagt, wir haben genügend Plätze in den Regelstrukturen. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher.» Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die Zeit der WG-Zimmer noch kommt.

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