Die Kirche als Popkultur: So zieht ICF mit Entertainment in den Bann - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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18. Januar 2015 um 14:28

Die Kirche als Popkultur: So zieht ICF mit Entertainment in den Bann

Die Freikirche ICF gibt sich offen und modern, obwohl ihre Botschaften sehr konservativ sind.

«Welcome» heisst es überall auf Fahnen sobald wir in die Nähe der Yonex Halle bei den Viadukt Bögen kommen. Ein einsamer Supporter der ICF wartet bereits beim Aufgang des Bahnhof Hardbrücke und weist den Weg. Vor dem Eingang gibt es Raclette. Die Türe wird freundlich aufgehalten und mindestens drei warme Begrüssungen geleiten uns hinein. An der Welcome Bar (mit Alkohol) vorbei geht es in die grosse Halle. Modernste Veranstaltungstechnik, verwaltet durch eine der grössten Schweizer Firmen auf diesem Gebiet (Habegger AG), vermittelt das Gefühl einer grossen Kulturveranstaltung. Und da spielt tatsächlich eine Band. Sieben Pop-Musiker besingen einen bestuhlten Saal mit mehreren hundert Besucherinnen: «Jesus, du bist willkommen. Wegen dir sind wir hier. Wir erwarten neue Visionen, Jesus!» Nach eigenen Angaben hat das ICF an ihren «Sunday Celebrations» über 2500 Besucher wöchentlich (Stand: Januar 2015). Alle stehen und die meisten singen mit der Karaoke Anleitung auf dem Grossbildschirm der Bühne in Englisch mit. Einige schliessen die Augen, halten die offenen Hände in die Luft und wippen langsam hin und her.

Die multimediale Kirche
Nach dem Lied folgt kräftiger Applaus und ein Moderator betritt die Bühne. Es wird klar, dass wir uns tatsächlich an einer Entertainment Veranstaltung befinden. Der Moderator zeigt uns einen von einem Nachwuchstalent verfilmten Psalm und kündigt anschliessend den eigentlichen Star des Abends an: den Leiter der ICF – Leo Bigger. Der Pastor aus Buchs SG übernahm vom Intiator Heinz Strupler vor 19 Jahren die «International Christian Fellowship» – eine konfessionsübergreifende Freikirche, die mit neuen Mitteln versucht modern und altersgerecht zu sein. In ihrer 25-jährigen Geschichte ist die ICF stark gewachsen und konnte mit Spenden immer wieder neue Standorte eröffnen und dabei ihre Veranstaltungen und immer mehr auch den Online-Auftritt verbessern. Heute ist die ICF sowas wie eine multimediale Kirche: Perfekt organisiert werden die Inhalte über Twitter, Facebook, Instagram, Youtube und Online-TV verbreitet. An der Celebration wird alles live auf eine Grossleinwand gestreamt: modern und poppig. Die Botschaften: Sehr konservativ. Zusammen mit seiner Frau Susanne organisiert Leo Bigger Veranstaltungen, um den «Glauben Jesus» zu verbreiten. Für den «internationalen» Flair führten sie die Gottesdienste zu Beginn auf Englisch durch. Bald merkten sie, dass nur Schweizer ihre Veranstaltungen besuchen wollen und wechselten dementsprechend auf Schweizerdeutsch. Anglizismen sind jedoch fester Bestandteil der ICF-Sprache. Erst in den vergangenen Jahren entwickelte sich eine Nachfrage für andere Sprachen: Spanisch und Englisch wurden ins Programm aufgenommen. Das schnelle Wachstum in Struktur und Publikum erforderte immer wieder Wechsel der Location für die Celebrations. Das ICF war in Zürich schon im Volkshaus, beim Güterbahnhof und nun regelmässig in der Maag Halle zu Gast. Auch das Hotel Limmat wäre fast zum ICF-Haus geworden. Doch ein anderer Veranstalter, das Palais X-tra, fand Einzug. An diesem Abend findet der «Vision Sunday» wegen der Photo 15 ausnahmsweise in der Yonex Halle statt.
«Lass eus gmeinsam d’Jungfrau bestiige!» – Leo Bigger, Leiter der ICF
«Prepare to be amazed!»
Leo Bigger spricht frei am Mikrofon und lenkt die Aufmerksamkeit ganz auf sich. Rhetorisch setzt er keine neuen Massstäbe. Aber er ist zugänglich und spricht eine Sprache, die für einen Pastor eher ungewohnt ist. Er sagt auch gern mal «Ohni Scheiss!» und bezeichnet Zürich als den «Vatikan vo ICF». Seine Gespräche mit Gott und sein Engagement mit der ICF in der Schweiz und auch international steht im Vordergrund. «Lass eus gmeinsam d’Jungfrau bestiige!» Ein Video über den Aufstieg auf den Berg Jungfrau zeigt symbolisch den Weg des Glaubens und wird von einer tiefen englischen Stimme begleitet, die direkt aus einem Hollywood Film-Trailer stammen könnte: «Prepare to be amazed!» Im Folgenden fasst Leo Bigger in einem Satz das Leid der Welt zusammen, beklagt die Ungleichheit des Reichtums und den Krieg in Syrien und Irak. Demnächst soll mit grossem Vorhaben in Südostasien missioniert werden. «Es gitt ide Natur nur Wachstum oder Rückschritt. Es gitt ide Natur kein Stillstand.» Ein etwas bitterer neoliberaler Beigeschmack mischt sich immer mehr in die zelebrierenden Reden. «E Chille wo Lüüt mitem Ferrari anefahred, find ich sexy» witzelt der Entertainer auf der Bühne. Zustimmendes Lachen erklingt aus dem Publikum. Der zelebrierende Geist schafft gute Stimmung bei den jugendlichen bis erwachsenen Anhängern, die der Selbstinszenierung aufmerksam folgen.
Mehrere hundert Gläubige im Gebet
Der Anti-Porno-Kurs
Der junge Mann neben uns besucht die ICF-Celebrations seit 14 Jahren. Er scheint ein guter Fang für unsere Klischeefragen zu sein: Sex vor der Ehe? «Eigentlich keine gute Idee, aber es halten sich nicht alle daran.» Homosexualität? «Wir glauben schon, dass Mann und Frau zusammen gehören.» Geld spenden? «Die ersten acht Jahre bei ICF habe ich gar nichts bezahlt. Inzwischen überweise ich jeweils einen Teil meines Lohnes. Ganz freiwillig. Es wurde nie Druck ausgeübt. Klar wurden wir zum Spenden aufgefordert, irgendwie muss das ja finanziert werden.» Pornografie? «Wurde nicht so direkt angesprochen. Aber wer ein Problem hat, kann sich bei der Kirche melden.» Tatsächlich bietet ICF einen sechswöchigen Anti-Porno-Kurs an. Ein anderer junger Mann hat – wie viele weitere auch – seine eigene Bibel mitgebracht: Eine grosse Studienbibel mit Gold an den Papierrändern.
Der Pastor setzt an zum Gebet: Mit lauter und einfühlsamer Stimme spricht er in den Saal, die Gläubigen hören gebannt zu: «Jesus, da simmer, Jesus da simmer. Äs git kein andere Name als Jesus. Jesus dir ghört die ‹Church›, äs isch nur äs Logo, aber s'Logo ghört nöd eus.» Langsam setzt die Popband wieder ein, langsam und leise. «Du bisch dä Jesus, wo mir ä Vision gäh hät. Jesus, du bisch alles wo ich han, du bisch dä ort wo ich anegang.» Bigger wird lauter und eindringlicher, die Musik ebenso. Langsam erheben sich die Gläubigen aus ihren Stühlen, schliessen die Augen, strecken die Arme gen Himmel und stimmen ein in den Popsong, das eigentlich ein Gebet ist.
 «Werfed das Geld ine mit Freud.»
Der Leiter ruft zur Kollekte auf. «Glaube muss sich in Tate bewiise. Werfed das Geld ine mit Freud.» darauf gleich zweimal: «Spontan und asatzlos.» Die Behälter für Spenden werden in jeder Reihe von Helfern in ICF-Shirts verteilt. Auf der Leinwand wird angepriesen, dass die Spende auch per SMS erfolgen könne. Das Geld soll vor allem gesammelt werden, um eine neue permanente Heimat für die ICF zu schaffen – bereits im Herbst 2016 soll es soweit sein. Zum Schluss folgt die nette Aufforderung beim Zusammenstuhlen zu helfen und ein Hinweis, dass nun abgesehen vom Beisammensein an der Bar vorne bei der Bühne auch noch gemeinsam gebetet werden kann. Nach dem Schlussapplaus packt das Publikum zufrieden seine Sachen und bewegt sich zum Ausgang.
Im Gegensatz zu christlichen Altgläubigen, bei denen Schuld und Sühne immer wieder im Vordergrund stehen, setzt Leo Bigger vorbildlich auf positive Botschaften und empfängt mit Freundlichkeit und Offenheit seine Anhänger und andere Interessierte. ICF sucht den Glauben der Leute in Form von zelebrierender Popkultur, um der Religion den Weg zurück in die Gesellschaft zu ebnen – und hat dabei Erfolg.
Text & Bild: Noah Bohnert & Simon Jacoby

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