«In Büchern wird oft gegessen, gekocht, gefastet, geschlemmt» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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21. April 2020 um 11:10

«In Büchern wird oft gegessen, gekocht, gefastet, geschlemmt»

Wer in diesen Zeiten geschlossener Beizen Inspiration fürs Kochen am heimischen Herd sucht, findet diese – und obendrein anregende Lektüre – im Buch «Ferrante, Frisch & Fenchelkraut». Was es mit ihrem literarischen Kochbuch auf sich hat, erklärt die Autorin, Journalistin, Bloggerin und Zürcher SP-Gemeinderätin Nicole Giger im Gespräch mit Nicole Soland.

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(Bild: zvg)

Wie sind Sie darauf gekommen, ein Kochbuch zu schreiben, in dem Bücher von AutorInnen von Max Frisch bis Elena Ferrante eine wichtige Rolle spielen?

Nicole Giger: Seit 2014 schreibe ich in meinem Blog magsfrisch.ch regelmässig über Literatur und Essen – zwei Welten, die je für sich sehr schön sind, aber auch viele Gemeinsamkeiten haben.

Inwiefern?

In Büchern wird oft gegessen, gekocht, gefastet, geschlemmt. Viele SchriftstellerInnen sind gute KöchInnen und/oder essen gern. Ich habe Literatur studiert und führe den erwähnten Blog. Insofern war es für mich naheliegend, diese beiden Welten miteinander zu verbinden. Zudem steuert die Literatur eine weitere Ebene zum vielschichtigen Thema Essen bei.

Sie machten Ihr Hobby zum Buch?

Als ich den Blog startete, tat ich das tatsächlich hobbymässig, einfach, weil es mir Spass machte. Es gab damals auch noch lange nicht so viele Foodblogs wie heute, und ich hätte nie gedacht, je mit meinem Blog auch nur einen einzigen Franken zu verdienen. Doch ich war mit Leidenschaft dabei, mit der Zeit erhielt ich Aufträge, und das Ganze entwickelte sich nach und nach zu einem ernsthaften zweiten Standbein.

Ihr Buch erscheint im renommierten AT-Verlag: Wie haben Sie das geschafft?

Der Verlag hat mich im Sommer 2018 angefragt, ob ich Lust hätte, ein Buch mit demselben Konzept wie den Blog zu machen. Da konnte ich natürlich nicht Nein sagen... (lacht).

Sie sind Germanistin – haben Sie auch eine Ausbildung als Köchin?

Nein, zum Kochen kam ich übers Essen: Ich habe zuerst gern gegessen, bevor ich gern gekocht habe... Oder anders gesagt: Irgendwann ging mir auf, dass es für jemanden, der so gern gut isst, doch recht praktisch wäre, selber kochen zu können. Also habe ich mich langsam ans Kochen herangetastet. Irgendwann war ich dann eine gute Köchin – ich denke, wenn man oft, sehr gern und mit Leidenschaft kocht, dann ergibt sich das mit der Zeit quasi automatisch. Was mich allerdings herausfordert, sind spezielle Situationen. Damit meine ich weniger Caterings für viele Personen, denn davon haben wir schon einige gemacht, sondern beispielsweise das Know-ow in Sachen Timing, das man braucht, wenn man in einem Restaurant für 60 Personen kocht und sichergehen will, dass alle das Essen gleichzeitig und warm bekommen.

Kommen wir zu «Ferrante, Frisch & Fenchelkraut»: Weshalb haben Sie genau die AutorInnen und genau die Rezepte ausgewählt, die sich im Buch finden?

Das hat sich so ergeben, es war ein Prozess. Einerseits halte ich, wenn ich etwas lese, Ausschau nach Zitaten oder Textstellen, die vom Essen handeln. Andererseits esse ich manchmal etwas, das Erinnerungen oder Gedanken hervorruft, die eine Geschichte hergeben könnten, oder ich esse und erlebe dabei etwas, von dem ich denke, es würde sich eine Geschichte darüber schreiben lassen. Daraufhin schaue ich in der Literatur nach, ob sich etwas Entsprechendes finden lässt. Die Huhn-Ei-Frage muss somit unbeantwortet bleiben: Es ist mal so, mal so.

Wie sieht es aus mit den Büchern – hatten Sie alle schon gelesen, als Sie sich entschieden, in Ihrem Buch darüber zu schreiben?

Auch was die Bücher betrifft, war die Herangehensweise unterschiedlich: Einige hatte ich bereits gelesen, andere las ich erst, nachdem ich mit der Arbeit an meinem Buch begonnen hatte und/oder weil ich dachte, es würde sich daraus eine Geschichte fürs Buch ergeben. Einige Bücher blieben denn auch voller Eselsohren zurück, die ich überall dort hinterlassen habe, wo im Buch gegessen wird...

Ein Eisbein, wie man es zu Goethes und Schillers Zeiten zubereitete, wäre wohl nicht gerade der Hit auf Instagram…

Was auffällt, ist die relative Kürze der Ausschnitte aus den Büchern, über die Sie schreiben: Es wirkt, als hätten Sie sich bewusst einzelne Szenen herausgepickt, genau so, wie man sich beim Kochen einzelne spezielle Zutaten zusammensucht.

Das ist so – es ging mir ja auch nicht in erster Linie darum, etwas genau so nachzukochen, wie ein Schriftsteller ein Menu beschreibt, sondern darum, zu einer eigenen Interpretation zu gelangen und diese wiederzugeben. Ich nehme mir die Freiheit, selber kreativ zu sein und auch etwas in eine Geschichte hinein zu interpretieren. Deshalb schätze ich Szenen, in denen etwas nur angedeutet wird. Dennoch habe ich auch Rezepte im Buch, die ziemlich genau dem Vorgefundenen entsprechen. Meine Brennesselsuppe ist bis auf den Blumenkohl, um den ich sie ergänze, genau gleich wie Franz Hohlers «Sultusupp». Aber es gibt sehr viele Rezepte, für die ich eine Idee aus einem Buch nahm und dann eine Speise dazu erfand. Das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass ich meine Kreationen gern fotografiere und die Bilder dann auf Instagram veröffentliche: Ein Eisbein, wie man es zu Goethes und Schillers Zeiten zubereitete, wäre wohl nicht gerade der Hit auf Instagram... Entsprechend lasse ich mich auch nicht direkt davon inspirieren, dass Schiller faule Äpfel liebte, sondern kreiere mein eigenes Apfelrezept.

Das Fotografieren haben Sie sich ebenfalls selber beigebracht?

Ja, das hat sich im Zusammenhang mit dem Blog-Schreiben ergeben. Ich fing 2014 bei Null an, und auch hier stand der Spass an der Sache und die Lust, dazuzulernen, an erster Stelle. Unterdessen bin ich auch als Food-Fotografin tätig. Wenn ich jedoch heute Bilder aus der ersten Zeit anschaue, finde ich sie ganz scheusslich... (lacht).

Sie können demnach heute vom Schreiben, Kochen und Fotografieren leben?

Ein kleines Standbein ist die Politik, ein weiteres die Tätigkeit als freie Journalistin. Zudem habe ich mit zwei Kolleginnen Anfang Jahr eine Agentur gegründet für alles, was mit Essen zu tun hat: für Text, Bild und Video. In den Bereichen Blog, Agentur und Journalismus zu arbeiten ist sehr abwechslungsreich, aber man muss schon stets Augen und Ohren offen halten und dranbleiben, damit es auch finanziell aufgeht.

In einer Zeit, in der alle Beizen geschlossen sind, müsste ihr Geschäft eigentlich blühen.

Die Leute kochen zwar mehr, was schön und spannend ist für jemanden, der auf diesem Gebiet tätig ist. Viele Menschen sind zurzeit mehr im Internet und auf Blogs unterwegs als sonst; auch mein Blog wird häufiger angeklickt als früher. Allerdings achte ich gar nicht so sehr auf die Klicks; ich muss nicht jeden Tag etwas publizieren, nur um die Klickzahlen hochzuhalten. Und: Die Klicks sind das eine, die Auftragslage ist das andere – und die ist nicht gerade berauschend... Dass ich dennoch gut über die Runden komme, hat aber auch damit zu tun, dass ich eher bescheiden lebe: Ich muss mich überhaupt nicht einschränken, brauche aber auch keine Luxusprodukte – und ich muss nicht allein leben, was ebenfalls Geld spart.

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So sieht das Cover aus.

Denken Sie, dass die Leute nach der Corona-Krise öfter selber kochen und weniger Junk-Food konsumieren werden als heute?

Das wäre schön, doch da bin ich skeptisch. Wenn man selber kocht, kann man sich wahrscheinlich schlecht vorstellen, wie viele Leute gar nicht kochen... Ich habe einen Eindruck davon bekommen, weil ich als Freiwillige ab und zu für Menschen eingekauft habe, die wegen Corona zuhause bleiben mussten. Was da so alles auf den Einkaufszetteln stand, was man bloss in die Mikrowelle oder in den Ofen schieben muss... das hat mir zu denken gegeben. So weit her scheint es mit dem Selberkochen doch nicht zu sein.

Einfach irgendwohin jetten, um ein Rezept abzuzügeln und ein paar Fotos zu machen, käme mir nie in den Sinn.

In Ihrem Buch kochen Sie nicht nur viel, sondern Sie schreiben oft von Reisen und dabei meist in der «wir»-Form: Wer ist «wir»?

Auf Reisen gehe ich stets mit meinem Freund. Er isst zum Glück auch sehr gerne und interessiert sich dafür, wie man andernorts kocht und isst.

Beim Durchblättern des Buches und vor allem beim Betrachten der vielen schönen Fotos registriert man nebenbei, dass Sie offensichtlich schon überall in die Kochtöpfe geguckt haben, in Indien, im Iran, in Albanien und Finnland, in Italien, in Japan... Kurz: Man könnte sich glatt in Gesellschaft einer verwöhnten Göre wähnen, die für ein Rezept mal eben um die Welt jettet.

Dem ist keineswegs so! Die Reisen, von denen ich im Buch berichte, fanden in den letzten rund acht Jahren statt, und mein Freund und ich planten sie so, wie man eben private Ferien plant. Ich habe keine dieser Reisen mit dem Hintergedanken angetreten, dass ich ein Buch machen könnte und dafür Material sammeln müsste. Lediglich nach Neapel fuhren wir zu einer Zeit, als ich bereits wusste, dass ich das Buch schreiben würde. Aber auch dort bewegte ich mich deswegen nicht anders als in früheren Ferien. Es mag abgedroschen tönen, ist aber so: Die Auseinandersetzung mit einer lokalen Küche bietet einem effektiv Einblicke in Land und Leute, die man sonst nicht hätte. Bevor wir beispielsweise in den Iran fuhren, habe ich ein paar Speisen auf Farsi gelernt, damit wir nicht immer nur Fleischspiesse essen mussten... Das hat sich auf jeden Fall gelohnt und uns schöne Begegnungen beschert. Was sich in meinem Buch wiederfindet, ist denn auch ein Sammelsurium von Eindrücken und Erlebnissen, von denen viele stattgefunden haben, bevor ich überhaupt meinen Blog startete, geschweige denn das Buchprojekt. Einfach irgendwohin jetten, um ein Rezept abzuzügeln und ein paar Fotos zu machen, käme mir nie in den Sinn.

Sie haben demnach ein gutes Gedächtnis und/oder Notizbuch?

Einerseits schreibe ich über Erlebnisse, die mir aus irgend einem Grund im Gedächtnis geblieben sind, und andererseits kommt einem beim Betrachten der Fotos, die man auf Reisen schiesst, vieles wieder in den Sinn. Auch der Geschmack bestimmter Speisen lässt sich gewissermassen konservieren; isst man diese Speise später wieder, erinnert man sich daran, wann, wo, mit wem man sie das erste Mal genossen hat. Zudem mache ich mir auf meinen Reisen stets Notizen, bewahre auch mal einen Prospekt, eine Fahrkarte oder ähnliches auf, und auch dieses Material hilft später der Erinnerung wieder auf die Sprünge.

Ist es noch nie vorgekommen, dass Ihnen ein Food-Magazin oder Buchverlag eine Reise bezahlt hat, damit Sie in einer bestimmten Gegend auf Rezeptsuche gehen konnten?

Leider nein... Ich würde es mir aber auch sehr gut überlegen, für wen ich was machen würde; ich habe meine Prinzipien. Andererseits muss ich natürlich von meiner Arbeit leben können.

Einige Mode-Bloggerinnen bekommen Kleider und Make-Up offeriert – kochen Sie in gesponserten Töpfen?

Kooperationen mache ich relativ oft, aber gegen Geld, nicht gegen Naturalien und nur, wenn ich sowohl hinter dem Produkt als auch hinter der Firma stehen kann. Wegen Corona gibt es zurzeit Ausnahmen: Unsere Agentur unterstützt mit Food-Fotos eine Initiative jener Restaurants, die aus aktuellem Anlass auf Take-Away umgestellt haben, und nimmt dafür kein Geld beziehungsweise überlässt es diesen lokalen Unternehmen, zu entscheiden, ob und wieviel sie bezahlen können. Auch für die Initiative «Crowd-Container» habe ich schon gratis gearbeitet, weil ich die Idee dahinter gut finde und sie unterstützen wollte. Aber für ‹normale› Firmen wie die Migros, Alnatura oder Betty Bossi arbeite ich nur gegen Geld.

Kommen wir zum Schluss: Ihr Buch ist kein klassisches Kochbuch – man kann nicht schnell schauen, was es an Hauptspeisen, Salaten oder Desserts enthält. Wie haben Sie das beim Verlag durchgebracht?

Wir haben uns zu Beginn viele Gedanken gemacht, wie man das Buch strukturieren könnte. Doch es ist nun mal kein klassisches Kochbuch, und vor allem wollte ich nicht die Texte den Rezepten unterordnen, was unweigerlich passiert wäre, wenn wir die klassische Form eines Rezeptbuchs gewählt hätten. Das Buch hat im übrigen auch keinen Anfang und kein Ende – man kann es irgendwo aufschlagen, drin blättern, hier und dort ein Rezept ausprobieren. Deshalb stimmt es für mich so, wie es jetzt ist, und der Verlag war einverstanden.

Giger, Nicole: Ferrante, Frisch und Fenchelkraut. Ich koche mich durch die Weltliteratur. Rezepte und Geschichten. AT Verlag, Aarau und München 2019, 320 Seiten, 36.90 Franken.

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