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30. Mai 2021 um 05:57

Bodycams für Polizist:innen: «Es besteht eine grosse Gefahr für Willkür»

Bodycams sollen in Zürich bald ein zusätzlicher Schutz für Polizist:innen liefern. Aber schützen sie auch gewaltbetroffene Personen? Simon Muster hat beim Juristen Tarek Naguib von der Allianz gegen Racial Profiling nachgefragt.

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Der Jurist Tarek Naguib von der Allianz gegen Racial Profiling. (Foto: P.S. Wochenzeitung)

Text: Simon Muster, P.S. Wochenzeitung

Geht es nach der Stadtpolizei und der zuständigen Parlamentskomission, tragen Polizist:innen neben Schusswaffe am Holster bald auch eine Minikamera auf der Brust. 34 der rund 1700 Polizeiangehörigen sollen neu mit sogenannten Bodycams ausgestattet werden, vorrangig an Brennpunkten wie der Ecke Langstrasse/ Militärstrasse.

Das erklärte Ziel? Gewalt und Drohungen an Polizeiangehörigen verhindern. Doch wie sieht es auf der anderen Seite des Gewaltmonopols aus? In den letzten Jahren war die Stadtpolizei wiederholt mit dem Vorwurf von Polizeigewalt und Racial Profiling konfrontiert, also der Praxis von Personenkontrollen auf der Grundlage von Hautfarbe oder zugeschriebene Ethnie. Insbesondere der Fall Mohamed Wa Baile schlug 2016 hohe Wellen (P.S. berichtete).

P.S.: Tarek Naguib, das erklärte Ziel der Bodycams in Zürich ist der Schutz von Polizeiangehörigen. In den USA hingegen liegt der Fokus auf den Betroffenen von Polizeigewalt. Können die vorgeschlagenen Bodycams in Zürich Betroffene vor rassistischer Polizeigewalt schützen?

Tarek Naguib: Die Bodycams in der Form, wie sie von der Stadtpolizei angedacht sind, sind ungeeignet, um Polizeigewalt und Rassismus zu verhindern. Da der Entscheid, eine Bodycam anzustellen faktisch bei der Polizei liegt, besteht eine grosse Gefahr der Willkür.

Wie meinen Sie das?

Zum einen haben die Polizist:innen die Informationsgewalt: Sie sind faktisch frei, ob und wie sie die kontrollierte Person darüber informieren, dass diese das Recht hat, eine Videoaufzeichnung zu verlangen. Und selbst wenn Betroffene fordern, dass die Bodycams eingeschaltet werden, liegt die Entscheidungsmacht letztlich bei den Polizist:innen. Da besteht ein grosses Missbrauchsrisiko. Wenn eine Überwachung der Polizeiarbeit willkürliche Anlässe und unverhältnismässige Kontrollen verhindern sollen, dann müsste sie durchgehend und bedingungslos eingesetzt werden, was aber aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zulässig und politisch nicht gewünscht ist.

Im Kern sind die Bodycams ein Disziplinierungs- und Überwachungsinstrument, das der Polizei ein zusätzliches Machtmittel in die Hand gibt.

Sprechen wir über einen konkreten Fall. Sie unterstützen im Rahmen der Allianz gegen Racial Profiling das strategische Verfahren von Mohamed Wa Baile. Herr Wa Baile beschuldigt die Stadtpolizei, dass sie ihn 2015 aufgrund seiner Hautfarbe einer Personenkontrolle unterzogen. Hätte eine Bodycam in diesem Fall etwas gebracht?

Nein. Die Kamera hätte ja bereits vor der Kontrolle aufnehmen und die ganze Situation abbilden müssen: Wer war sonst noch vor Ort? Wie hat sich Herr Wa Baile bewegt und wie war bewegt und wie war das Verhalten der Polizei? Zudem hätte auch der örtliche und zeitliche Kontext gefilmt werden müssen: Wer wurde davor und danach sonst noch kontrolliert? Das Problem war ja nicht nur, was während der Kontrolle passierte, sondern wie die Entscheidung zustande kam, dass Herr Wa Baile überhaupt kontrolliert wurde.

Die interessantere Frage wäre, ob bei rassistischer Polizeigewalt vollständige Bodycam-Aufzeichnungen in Kombination mit weiteren Zeugen vor Ort tatsächlich Beweise gegen die beschuldigten Polizist:innen liefern würde. Zum Beispiel im Fall von Wilson A. Der Schwarze Mann wäre 2009 bei einer rassistischen Polizeikontrolle fast ums Leben gekommen. Dennoch wurden die beteiligten Personen 2018 vom Bezirksgericht freigesprochen. Die zuständige Staatsanwältin sowie das Bezirks- und Obergericht lehnten eine unabhängige Untersuchung des Falls ab.

Wie weit verbreitet ist Racial Profiling bei der Stadtpolizei Zürich überhaupt?

Insgesamt muss man die Stadtpolizei im Zusammenhang mit Präventions- und Interventionsmassnahmen zu rassistischer Gewalt massiv kritisieren. Zwar gibt es keine belastbaren Zahlen, aber Interviews mit Betroffenen sowie Berichte von NGOs seit den 1990er-Jahren zeigen, dass Racial Profiling bei der Stadtpolizei Zürich ein massives Problem ist. Die Stadtpolizei streitet das Problem ab, ohne allerdings Beweise dafür zu liefern. Dabei wäre sie laut internationaler Rechtsprechung dazu verpflichtet.

Und genau hier könnten Bodycams sogar einen kontraproduktiven Effekt haben. So könnte eine Auswertung der Bodycamaufnahmen dafür verwendet werden, um das Problem, mit einer Scheinstatistik kleinzureden. Dies, weil man davon ausgehen muss, dass bei vielen unverhältnismässigen Polizeieinsätzen die Bodycams nicht eingestellt werden, während im Gegenzug die Polizei bei unverhältnismässigen Reaktion seitens der Kontrollierten sorgsam darauf achten wird, dass die Bodycams aufnehmen.

Was muss die Stadtpolizei aus Ihrer Sicht tun, um gegen rassistische Polizeigewalt vorzugehen?

Ein erster Schritt wäre, dass die Stadtpolizei Racial Profiling und rassistische Polizeigewalt als institutionelles Problem anerkennt. Die Polizei hat als Institution mit Gewaltmonopol eine besondere Verantwortung. Deshalb braucht es eine unabhängige Untersuchung der Prozesse, Kulturen und Abläufe innerhalb der Polizei auf rassistische und gewaltfördernde Effekte. Bisher hat kein Polizeikorps in der Schweiz eine solche empirische Studie durchgeführt.

Viel wichtiger jedoch: Auf zivilgesellschaftlicher und parlamentarischer Ebene muss ein Wechsel in der Sicherheitspolitik vorangetrieben werden. Unter der Perspektive «Defund the police» müssen künftig vermehrt Mittel weg von der intervenierenden Polizeiarbeit hin zu einem Ausbau der kulturellen und sozialen Quartierarbeit verlagert werden. Für Zürich würde das bedeuten, dass wir nicht immer mehr Polizist:innen in die Langstrasse schicken, sondern in die Quartiere investieren, um die sozialen Probleme vor Ort zu lösen.

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