Fatima Moumouni: «Die Weltlage verlangt einem viel ab» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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18. Januar 2024 um 05:00

«Wie wird man Spoken Word Künstlerin?» «Ich habe keine Ahnung»

Die Kunst von Fatima Moumouni ist immer politisch. Warum ihr die Abgestumpftheit vieler Menschen zu schaffen macht und wie ein neues Stück entsteht, erzählt die Spoken Word Künstlerin im Gespräch.

«Wir dürfen die Welt nicht aus den Augen verlieren», sagt Fatima Moumouni. (Foto: Tsüri.ch / Simon Jacoby)

Simon Jacoby: Bald bist du wieder mit deinem Bühnenpartner Laurin Buser und dem neuen Stück «COLD» auf der Bühne der Gessnerallee zu sehen. Was erwartet uns?

Fatima Moumouni: «COLD» ist weniger Cabaret und mehr Spoken Word als das vorherige Stück namens «Gold». Damals haben wir noch versucht, im Publikum eine gemeinsame Basis zu schaffen, um zusammen über alle möglichen Diskriminierungsformen zu sprechen und unsere Witze darauf aufzubauen. Bei «COLD» vermitteln wir weniger, aber haben eine Spoken Word Show auf die Beine gestellt, die näher am Theater ist: Nachdem wir in den letzten Jahren drei Theaterstücke geschrieben haben, hat uns interessiert, wie wir unsere eigene Bühnenshow in Sachen Szenografie, Licht- und Sounddesign erweitern können. Es geht um Abgestumpftheit und die Frage, wie sich mit der Welt verbinden, ohne zu verglühen. Auch dies ist ein hochpolitisches Thema. 

Was verstehst du unter Abgestumpftheit?

Ich habe gemerkt, dass ich immer wieder eine Person meiner Familie im Kopf habe: Ein weisser, wohlsituierter Mann mittleren Alters, der mich regelmässig anruft und mir erzählt: «Ich schaue keine Nachrichten mehr». Mich persönlich nervt diese Selbstbezogenheit dann, wenn es darum geht, sich nicht darum zu kümmern, dass das kein dauerhafter Zustand ist. Gleichzeitig ist das Abstumpfen aber ein Problem, das auch Aktivist:innen passieren kann. Jeder Mensch muss sich gewissermassen darum kümmern, weder zu verbrennen noch zu unterkühlen an der Welt. Natürlich verlangt einem die Weltlage viel ab und manchmal kann einem das zu viel sein. Aber die Frage ist dann, was davon ist eigentlich ein Privileg? Denn es ist ein Privileg, sich nicht um die Welt kümmern zu müssen oder nicht von der Welt beeinträchtigt zu werden. 

In den Medien sind Kriege, Katastrophen, menschliches Leid omnipräsent. Ich finde es verständlich, dass es schwer fällt, sich da mit der Welt zu verbinden. 

Es ist sehr wichtig, sich um seine eigene Gesundheit zu kümmern. Aber dabei ist die Frage immer wieder spannend, wann etwas Selfcare und wann bequeme Ignoranz ist. Wenn sich jemand einfach nicht für das interessiert, was auf der Welt abgeht, dann ist das etwas anderes, als wenn sich jemand bewusst vor all den schlimmen Ereignissen schützt. Bis sie uns selbst betreffen, sind all diese Katastrophen im Alltag recht einfach zu abstrahieren. 

Findest du denn, wir müssen uns alle globalen Probleme zu eigen machen?

Nein. Aber wenn ich glaube, dass alles um mich herum nichts mit mir zu tun hat, ist das eine Illusion. Aus einer privilegierten Schweizer Position heraus ist das relativ bequem. Auch wir leben nicht auf einer Insel und dürfen die Welt nicht aus den Augen verlieren!

Die Aufführungen eines solchen Stücks sind ja jeweils nur der Gipfel, die ganze Vorarbeit ist für das Publikum nicht sichtbar. Kannst du die Entstehungsgeschichte skizzieren?

Zuerst ist die Idee, dann folgt das Schreiben. Laurin und ich arbeiten inzwischen seit 10 Jahren zusammen, das ist sehr schön. Witzigerweise vergisst man aber immer wieder, dass Schreiben oft nicht geil ist. Wenn einem nichts einfällt oder die Deadline näher rückt, hat das nichts mehr mit dem musenhaften Schreiben zu tun. Es muss aber trotzdem weitergehen.

Wie gehst du dann vor? Hast du ein inhaltliches Ziel vor Augen oder peilst du die ewige Reimkette an, wie du es mal der NZZ am Sonntag gesagt hast?

Beides. Bei «COLD» hatten wir natürlich ein inhaltliches Ziel und wir wollten das Ergebnis unserer Überlegungen in etwas verpacken, das wir ästhetisch schön finden. So, dass es nicht einfach ein trockenes Wiedergeben von pseudophilosophischen Unternehmungen ist. Bei «COLD» gab es immer wieder Momente, in denen wir dachten, fuck, jetzt ist es zu unpolitisch oder jetzt ist es zu ernst oder hier haben wir etwas vergessen. Wirklich schwierig war auch, als mitten im Abschlussprozess des Textes der 7. Oktober, der brutale Überfall der Hamas, Israels brutaler militärischer Angriff auf Gaza sowie die darauffolgende humanitäre Katastrophe und der polarisierte politische Diskurs drumherum kam. Laurin ist jüdisch, ich bin muslimisch. Am Thema Abstumpfung zu arbeiten und dann nach Hause zu gehen und auf Instagram zu sehen, was passiert, das war mega absurd. Für uns war klar, dass diese Aktualität irgendwie in unseren Text einfliessen muss. 

Spoken Word Künstlerin zu sein klingt nach viel Arbeit – ist es ein lukrativer Job?

Natürlich nicht per se. Aber ich lebe von dem, was ich mache und empfinde dies als grosses Privileg. Gerade im internationalen Vergleich, aber nicht nur dort, müssen viele meiner Berufskolleg:innen wählen zwischen einem anständigen Leben, in dem man alle Sachen hat, die man braucht und einem Leben am Existenzminimum. 

Ständig prekär leben und dafür machen können, was man gerne macht.

Genau, viele der Spoken Word Künstler:innen machen ihren Job nicht als Hobby, sondern weil sie es wichtig finden. Sie wollen über Trans-Rechte aufklären oder ihrer Regierung sagen, was falsch läuft oder eine Community schaffen. Die Dringlichkeit von Kunst vergisst man immer wieder. 

Sind Kunst und Kultur immer politisch?

Ja, für mich ist alles politisch. Auch die Entscheidung, nicht politisch zu sein, ist hochpolitisch! Meine Auftritte sind durch meine Identität eh schon immer politisch: Warum hat es da keine andere Frau? Warum hat es keine andere schwarze Person? Warum freut sich die Veranstaltung so, dass sie mich herzeigen kann? Was bedeutet es, einen muslimischen Namen zu haben und antimuslimischem Rassismus ausgeliefert zu sein? Was bedeutet es, sich nicht verstecken zu können? Was bedeutet es, Raum zu schaffen für andere Leute, die weniger privilegiert sind als ich?

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Inwiefern bist du in diesem Zusammenhang privilegiert?

Mit meinem deutschen Pass kann ich zwar ausgeschafft werden, aber nur bis Lörrach, das wäre zwar nicht geil für mich, aber auch da kann man leben. Zudem habe ich an der Uni studiert und kann sowohl normales als auch Beamtendeutsch, das hilft natürlich. Und ich bin light-skinned, ich habe eine weisse Mutter. Das sind meine Privilegien, die es mir ermöglicht haben, sehr flüssig mit weissen Strukturen und Institutionen umzugehen und auch anders behandelt zu werden.

Sind das die Themen, die deiner Arbeit die Dringlichkeit geben? 

Das wichtigste Ziel ist natürlich die ewige Reimkette (lacht). Aber ja, die Dringlichkeit kommt vom Bedürfnis, mit Leuten in ein Gespräch zu treten. So, wie ich es interessant finde, über bestimmte Themen zu sprechen. 

Du hast mal Wirtschaft studiert und bist dann scharf abgebogen. Wie wird man eigentlich Spoken Word Künstlerin? 

Ich habe keine Ahnung. Ich bin drangeblieben und habe irgendwann gemerkt, dass ich mich entscheiden muss, ob ich das wirklich so fest machen will. Welche Konsequenzen hat das für mein Leben? Für Brot schreiben zu müssen, kann auch beängstigend sein; man ist darauf angewiesen, was das Hirn produziert. Was, wenn nichts mehr kommt? Oder was, wenn es gar nicht so gut ist? Oder was, wenn sie entdecken, dass du gar nichts kannst? Du bist ja die ganze Zeit in einer Auseinandersetzung mit dir selbst. Das ist unangenehm, denn ich will nicht die ganze Zeit über mich nachdenken.

Offenbar funktioniert es aber, du lebst davon. 

Ja, inzwischen habe ich das Vertrauen und das Glück, dass immer wieder etwas reinkommt. Ich muss auch nicht mehr alle Anfragen annehmen, nur weil ich gefragt werde. Wenn es mich nicht interessiert, dann mache ich es nicht. Aber gerade aus einer marginalisierten Position heraus ist es auch nicht selbstverständlich, dass man sich in einen Beruf begibt, der so viele Unsicherheiten mit sich bringt.

«COLD» Laurin Buser & Fatima Moumouni ©Laurin Buser/Fatima Moumouni, Bild: Nils Klaus

«COLD» Laurin Buser & Fatima Moumouni ©Laurin Buser/Fatima Moumouni, Bild: Nils Klaus

Du bist häufig gleichzeitig an mehreren Projekten am Arbeiten, wie gelingt da die Abgrenzung mit der Freizeit? 

Ich finde es gar nicht so einfach, Raum für Erholung zu schaffen. Gerade wenn es Deadlines gibt oder die Premiere naht, dann kannst du eigentlich fast nicht sagen, ich brauche jetzt Freizeit. Es ist halt kein 9-to-5-Job mit klaren Arbeitszeiten und Ferien. Man entscheidet sich, viel zu opfern für etwas, das finanziell nicht unbedingt funktionieren muss. Ich habe es im Griff, auch dank meines sehr guten Umfelds. Das ist sehr, sehr wertvoll und unglaublich schön. 

Wie ist das, wenn man selber oft auf der Bühne steht und abends arbeitet: Gehst du an Veranstaltungen von anderen? 

Nein, nicht so viel wie ich gern würde, das stört mich richtig. Gerade bei Konzerten, die ich gern sehen würde, aber dann selber spielen muss… Aber es ist schon toll, in einer Stadt zu leben, wo sich so viele Leute Gedanken machen, wie ich und meine Mitmenschen den Abend füllen können. Viele dieser Angebote sind es wert, hinzugehen und sie damit zu unterstützen. Denn Kultur muss man auch einnehmen. Sie gehört nicht nur den «alten, weissen Männern», die alles so haben wollen, wie es schon immer war.

  1. Alle Infos zur Show findest du hier.
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