«Ich hatte eine Freundin, die ging nie ohne frischen Slip und Zahnbürste aus dem Haus!» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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7. März 2015 um 15:22

«Ich hatte eine Freundin, die ging nie ohne frischen Slip und Zahnbürste aus dem Haus!»

Zürich in den 70ern: Kreis 1



 

In unserer Serie «Tsüri vo i(h)ne» gehen wir durch die Stadtkreise 1-12, treffen spannende Menschen und lernen ihre Stadtgeschichten kennen.

Der Kreis 1 erstreckt sich vom Kunsthaus über das Bellevue und beidseits der Limmat durch die Altstadt bis zum Hauptbahnhof. Während hier vor etwa 40 Jahren die «Entzwinglianisierung» seinen Anfang nahm und die Jugend der Biederkeit der Väter den Kampf ansagte, befinden sich die heute angesagten Orte nicht mehr im Stadtzentrum.

Der Autor Laszlo Schneider hat mit zwei Zeitzeuginnen über die 70er-Jahre-Bohème im Café Odéon und die «Afterparties» an der Oberen Zäune gesprochen, die in den vielen Studenten-WGs stattfanden

Ich treffe A.B. und P.K. in B.s Geschäft am Neumarkt. Es trägt den Namen «Nomadenschätze» und hat sich auf den Verkauf von Teppichen, anderen Textilien und Schmuck vor allem aus der Türkei spezialisiert. K. betreibt seit über 30 Jahren eine psychoanalytische Praxis im Niederdorf. Beide kennen sich aus der Jugend und pflegen seit kurzer Zeit wieder engeren Kontakt. Wenn sie von «früher» erzählen, kommen sie regelrecht ins Schwärmen – die beiden Frauen sind nicht nur fast gleich alt; sie sind auch die Ausgeh-Kultur der 1970er-Jahre verbunden. Sie beschränktesich damals auf den Kreis 1 – genauer genommen auf das rechts-seitige Limmatufer zwischen Kunsthaus und Central, inklusive Ober- und Niederdorf. Die Gegend, die heute vor Allem für Touristen interessant ist, war für die junge Bohème- und Intellektuellen-Szene der Ausgangspunkt einer eigenen kleinen Revolution; «Zürich galt als sehr konservative und ‚bünzlige’ Stadt», erzählt B. Mit der Frauenrechts- und der 68er-Bewegung habe sich diese Haltung etwas gelockert. Der Psychoanalytiker und Kolumnist Peter Schneider, der 1983 aus dem Ruhrgebiet nach Zürich zog, erlebte die Limmatstadt bis Ende der 1980er-Jahre als eher beengend und nicht besonders weltoffen. «Nach 23 Uhr war Schluss – dann konnte man höchstens noch in die Striplokale gehen, oder in ein, zwei Clubs, die horrende Eintrittspreise forderten. Getränke brachte man selbst mit, weil im Odéon’ oder der Helvti der Preis sich dann verdoppelte», erzählt der Peter Schneider, der aus Zürich nie mehr weggezogen ist.

«Immer dieselben Gesichter» In den 70er-Jahren habe es nicht viel gegeben in Zürich, erzählt K. B. und betont, dass es, obgleich zwar jede Szene, z.B. die ‚Hell’s Angels’ ihr Lokal gehabt hätten, keine grosse Auswahl gegeben hätte. «Trotzdem war es eine tolle Zeit», versichern die beiden. Im Sommer habe man an der Riviera beim Bellevue auf der Treppe gesessen, billigen Wein getrunken und endlose Gespräche geführt. Beide beteuern aber, dass früher nicht alles besser gewesen sei – jede Generation habe ihre Orte, und eine Stadt verändere sich im Laufe der Zeit nun einmal.

Das Odéon war einer der Hotspots der Zürcher Studentenszene. Hier traf man sich und tauschte sich aus, allerdings nur bis spätestens Mitternacht, dann machte das Lokal, das früher doppelt so gross war und auch noch die heutige Odéon-Apotheke umfasste, zu.  «Beim Odéon war besonders praktisch, dass man zur einen Tür hinein und – wenn man niemanden kannte oder niemand Interessantes da war – zur anderen wieder rausflüchten konnte. » Aber eigentlich seien all diese Kneipen «Aufriss-Läden» gewesen, sagt B., man sei schon immer mit der uneigentlichen Absicht hingegangen, jemanden abzuschleppen.  «Irgendwann wurde das aber auch langweilig», meint K. «Im Odéon strichen immer dieselben Gestalten rum»– die einen mochte man, die anderen nicht so sehr. Ausserdem herrschte da ein Knutschverbot, die damals älteren Kellner rügten Pärchen, die sich in einer Ecke beim Küssen erwischen liessen.

Das Odeon, die Halbwelt Das Odéon ist eines der legendärsten Zürcher Lokale und besteht mittlerweile schon seit über 100 Jahren. Auch damals galt es als Ort der Künstler und Intellektuellen; diesen Status hatte das Café, einem Salon ähnlich, auch in den 1970er Jahren: «Im Odeon verkehrte schon immer die «Demi-Monde», die Halbwelt. Hier traf sich eine bunte Mixtur aus (möchtegern) Intellektuellen, Künstlern und Stadtoriginalen, es war auch einer der ersten Treffpunkte der Schwulenszene», erzählt B. «Ausserdem hatte es bis Mitternacht geöffnet». Auf die Frage, was man denn da den ganzen Abend so machte, grinsen sich die beiden Frauen an. «Sehr vill luege», sind sie sich einig. «Und wenn man Glück hatte, ging man nicht alleine nach Hause», fügt B. an. Wenn das Odéon zumachte, gab es noch das Fanti, die Fantasio-Bar, einen der wenigen Nachtclubs, oder die Splendid-Bar, die auch noch heute besteht. Hier traf man viele bekannte Gesichter, viele von ihnen kennen wir heute als Stadtoriginale. Nostalgie und Aktualität und frische Slips K. erzählt von der Jukebox im Splendid, während B. vom günstigen Essen im Bluetige Tuume schwärmt. «Man darf aber auf keinen Fall zu sehr in die Nostalgie abrutschen», mahnt sie. Es seien halt einfach andere Zeiten gewesen: «Wir hätten es aber auch geschätzt, wenn das Angebot damals etwas grösser gewesen wäre. Allerdings hatte dies auch durchaus seinen eigenen Reiz».
«Es lag immer sehr viel Erotik in der Luft»
K. kann sich gar nicht mehr so genau an früher erinnern: «Erst wenn ich Leute treffe, die damals mit mir rumgehangen sind, kommen mir bestimmte Dinge wieder in den Sinn». Ein Gefühl, dass ihr aber blieb, war ein gewisses «Prickeln in der Luft», eine «Aufbruchsstimmung» und B. fügt an: «Wir dachten: wir haben’s erlickt! Wir sind die neue Generation! » Zu dieser Zeit konnte man noch nicht genau erahnen, welche Bedeutung die 68er-Generation für den weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts haben sollte. B. nippt an ihrem Kaffee, während K. kurz eine Zigarettenpause einlegt. Nach einigen Zügen stürmt sie aber wieder zurück in den Laden und fügt an: «Es herrschte einfach eine euphorische Grundstimmung! » B. lacht: «Es lag aber auch immer sehr viel Erotik in der Luft – nicht zuletzt durch die vielen Prostituierten, die das Bild der Bars und Kneipen komplettierten» und fügt eine Anekdote an: «Ich hatte eine Freundin, die ging nie ohne frischen Slip und Zahnbürste aus dem Haus!»

«Ja guet, so isch das det halt gsi! » – mit diesem Satz beschliesst B. das Gespräch, K. empfängt in zehn Minuten den nächsten Patienten und muss sie unbedingt wieder «eis go rauche»– Zigaretten kosteten 1972 übrigens rund zwei Franken.

Titelbild: Flickr

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