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24. November 2020 um 14:55

Mohamad Daud: «Ich will endlich den Status F loswerden»

Der Verein map-F will mit dem Projekt «Leben als Vorläufige» die Schicksale von Menschen mit Status F sichtbar machen. Tsüri.ch darf vorab das Portrait über den Syrer Mohamad Daud, der als vorläufig Aufgenommener im Kanton Zürich lebt, publizieren.

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Mohamad Daud und einer seiner Söhne. Foto: zVg

Text: Moritz Wyder und Mohamad Daud von map-F

Vor fünf Jahren endete am Zürcher Hauptbahnhof seine Flucht, aber nicht seine Odyssee. 2015 kam Mohamad Daud mit seiner Familie in der Schweiz an. Sie flüchteten vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Es war ein gemischter erster Eindruck, den die damals vierköpfige Familie erhielt: Der Onkel holte sie am Hauptbahnhof ab, um sie willkommen zu heissen – und am nächsten Tag griff die Polizei die Eltern auf. Eine Reise mit vielen Stationen sollte sie erwarten: Die ersten beiden Nächte verbrachten sie im Gefängnis, anschliessend mehr als eine Woche im Empfangszentrum in Kreuzlingen. Es folgte ein Transfer nach Winterthur, wo sie sechs Wochen wohnten. Dann wurden sie wiederum umplatziert in die Gemeinde am Zürichsee, wo sie jetzt noch wohnen. Die Odyssee nahm damit erstmal ein Ende – aber nicht die Unsicherheit. Für die Dauer des Asylverfahrens erhielten sie einen N-Ausweis. «Aber was heisst das? Steht N für negativ? – ich wusste es nicht.» Und es war niemand da, der*die es hätte erklären können.

Duschen im Keller

Mohamad hat viele Bekannte in der Schweiz, die ebenfalls aus Rojava geflüchtet sind. Viele von ihnen erhielten den Ausweis B, das heisst, ihr Asylgesuch wurde angenommen und sie wurden als Flüchtlinge anerkannt. Um so grösser war deshalb der Schock und die Enttäuschung für ihn und seine Familie: Nach einem Jahr des Wartens erhielten sie den Status F. Mohamad spricht von einer grossen Belastung für die Familie. Die Kinder weinten oft und sagten, dass sie nicht nach Syrien zurück wollten – und F bedeutet, vielleicht zurück zu müssen.

Wir sind vom Krieg bis hierhergekommen. Warum sollen wir zurück? Dort ist Krieg! Menschen werden getötet!

Mohamad spricht davon, wie er viel Zeit darauf verwendet hat, sie zu trösten. Obwohl er selber keine Gewissheit hatte.

Von Anfang an waren einschneidende Einschränkungen die Folge seines Ausweises. Mohamad erzählt, wie er eine krebskranke Verwandte, die in Deutschland nahe der Grenze wohnt, nicht besuchen darf. «Die ORS (Anmerkung: Ors Service AG ist eine Firma, die im Auftrag von Gemeinden, Kantonen und Bund Betreuung und Unterbringung von Menschen im Asylwesen übernimmt) sagt, das ist verboten für F.» Ohne jegliche Begründung darf er mit seinem Ausweis keine SIM-Karte kaufen. Zusammen mit ihren Kindern wurden Mohamad und seine Frau in eine dreieinhalb Zimmerwohnung einquartiert. Das WC war im Korridor, «wie im Lager» – die Dusche im Keller. Beide Söhne hatten grosse Angst vor dem Duschen. Und insbesondere die 15-jährige Tochter störte sich sehr daran: Duschen im Keller, kein eigenes Zimmer und kein Rückzugsort, um zu lernen. Er erzählt wie sie oft weinte und dass das die ganze Familie belastete.

«Für F ist das verboten»

Im Jahr 2018 kam die Gesetzesänderung, wonach Personen mit Status F keine Sozialhilfe, sondern nur noch Asylfürsorge erhielten. Für die siebenköpfige Familie hiess das: Statt 2'700 Franken hatten sie neu nur noch 1'990 Franken pro Monat für ihre alltäglichen Ausgaben zur Verfügung. Mohamad erzählt: «Seit dieser Änderung hatten wir nie Geld. Ich musste immer Geld ausleihen. Sobald ich das zurückbezahlte, hatten wir wieder kein Geld. Die Kinder konnten keine neuen Kleider haben, alles kommt aus dem Brockenhaus. Ich spare überall, aber wenn die Kinder einen Wunsch haben, muss ich ihnen doch sagen: Wir haben zu wenig. Sie verstehen das, aber es bleibt ihnen im Herz.» Die Armut belaste die Familie, beschreibt er. «Meine Tochter sagt, sobald sie die Sekundarschule fertig hat, will sie irgendeinen Job machen. Keine Lehre, sondern gleich arbeiten, um die Familie zu unterstützen. Ich sage ihr immer: Eine Ausbildung ist wichtiger für deine Zukunft.» Wann immer die Familie zur zuständigen ORS gelangte, war die Antwort die gleiche: «Ihr habt F, für F ist das verboten.»

Die Familie pflegt engen Kontakt zu ihren Verwandten in Syrien. Mohamads Eltern leben noch immer in Aleppo. «Meine Kinder sehen, was dort im Krieg ständig passiert. Die älteren Kinder haben den Krieg und die Flucht selber erlebt. Und sie haben Angst davor, zurück zu müssen. Deshalb will ich unbedingt den Status F los werden.»

«Alles ist anders in der neuen Wohnung»

Seit gut einem Jahr hat sich viel verändert. Mohamad erzählt von seiner Arbeit in einem Spital in der Nähe. Er hat dort ein Praktikum absolviert und hat seit letztem Dezember eine Festanstellung in der Küche und im Service für Patient*innen. Das ist ein harter Job, insbesondere zu Beginn der Pandemie. Aber gleichzeitig ging damit sein Wunsch in Erfüllung. Arbeiten, um weg zu kommen von der Asylfürsorge. Seit letztem Frühling ist die Familie nun finanziell unabhängig von der Gemeinde. Das ermöglichte den Umzug in die jetzige Wohnung. Der Familienvater ist sichtlich erleichtert über die neue Situation: «Meine Tochter hat ein eigenes Zimmer, schläft gut, lernt gut. Alles ist anders in der neuen Wohnung.» Der Status schränkt Mohamad noch immer ein. Er hat Bekannte mit Status F, die erhalten weniger Geld als Kolleg*innen, welche die gleiche Arbeit machen, aber einen C-Ausweis haben. Und doch: Der Job gibt eine Perspektive, endlich aus der Sackgasse F herauszukommen.

Wenn sich Mohamad für die Zukunft etwas wünscht von der Schweiz, dann «den Status F abschaffen! F heisst Stress, F heisst Trauer. F heisst, dass meine Kinder leiden. Im Spital bekomme ich weniger Geld, ins Ausland darf ich nicht.»

«Leben als Vorläufige»
Das Ziel des Projekts «Leben als Vorläufige» von map-F ist es, eine Sammlung von selbstbestimmten Darstellungen von vorläufig aufgenommenen Personen mit Status F zu publizieren. Was heisst es, Jahrzehnte in der Schweiz zu leben, und doch nur vorläufig akzeptiert zu sein? Wie beeinflussen gesetzliche Restriktionen den Alltag von Betroffenen? Map-F sammelt per Crowdfunding 12 000 Franken für die Realisation.
Hier kannst du das Crowdfunding unterstützen.

Der Verein map-F will mit regelmässigen Monitoringberichten zur Situation vorläufig aufgenommener Personen die Behörden und die breite Öffentlichkeit sensibilisieren. Mit einer Anlaufstelle unterstützt und berät der Verein Betroffene in ihrer Lebenssituation.

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