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14. Januar 2023 um 15:25

Regierungsratswahlen: Eine, die anpacken kann – Das Portrait von Jaqueline Fehr

SP-Regierungsrätin und Justizdirektorin Jacqueline Fehr stellt sich zur Wiederwahl. Hinter ihr liegen acht turbulente, aber auch erfolgreiche Jahre als Regierungsrätin.

Jaqueline Fehr, SP (Foto: P.S.)

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Als Jacqueline Fehr 2015 in den Regierungsrat gewählt wurde, musste sie noch heimlich nach Effretikon reisen, um mit ihrem Vorgänger, Justizdirektor Martin Graf, die Amtsübergabe zu planen. Wer welche Direktion erhielt, entschied der Regierungsrat nämlich in einer geheimen Sitzung – Wochen bevor die Entscheidung öffentlich gemacht wurde. Diese Geheimniskrämerei passte Fehr nicht. Kurz nach Antritt ihrer zweiten Amtszeit weihte sie die Öffentlichkeit in einem ‹Tagesanzeiger›-Interview in das Geheimnis ein. Sie kritisierte die Regierungstradition als «unprofessionell», da RegierungsrätInnen ihre Mitarbeitenden täuschen müssten und sich nur schwer auf ihr Amt vorbereiten könnten.  Viele im Kantons- und Regierungsrat teilten ihr Anliegen, waren jedoch unzufrieden über den Alleingang an die Öffentlichkeit. Dennoch beurteilt Fehr die Zusammenarbeit im Regierungsrat mehrheitlich als gut. «Wir haben sehr offene Diskussionen miteinander und meistens gelingt es uns, nach aussen einheitlich aufzutreten», sagte sie im Gespräch mit dem P.S. 

Dass Fehr sich nicht scheut, mit ihrer Meinung ein paar KollegInnen zu verärgern, zeigte sich auch während der Pandemie. Im Sommer 2020 stellte sie auf ihrem Blog, damals noch «Fehr denkt quer» genannt, die Maskenpflicht infrage und forderte mehr persönliche Verantwortung. Mit diesen Ansichten stellte sich gegen die Linie ihrer eigenen Partei. Ende Jahr gestand sie ein, gewisse Situationen falsch eingeschätzt zu habe. Entschuldigen musste sich die Justizdirektorin auch, als sie dem Alba-Festival 2021 kurzfristig die Bewilligung entzog – mit der Begründung, die Impfquote der albanischen Gemeinschaft sei zu tief. Die VeranstalterInnen warfen Fehr Diskriminierung vor, insbesondere weil die 3G-Regel gegolten hätte und andere Veranstaltungen durchgeführt werden durften. Die eidgenössische Kommission gegen Rassismus bestätigte den Diskriminierungsvorwurf.  

 Doch Fehr konnte auch mit ihrer Corona-Politik verbuchen: «Ich bin sehr froh, dass wir das Grundeinkommen für Kulturschaffende wenigstens für drei Monate anwenden konnten», meint Fehr. Mit dem Grundeinkommen wollte Fehr eine Alternative zum Erwerbsersatz des Bundes anbieten. Denn ein halbes Jahr nach Pandemiebeginn hatten viele Kulturschaffende keine Veranstaltungen mehr geplant, deren Ausfall sie sich hätten ersetzen lassen können. Somit lohnte sich der hohe administrative Aufwand für viele nicht und einige gingen leer aus. Das Grundeinkommen sollte allen bedürftigen Kulturschaffenden unkompliziert über die Runde helfen. Fehr hätte das Projekt gern längerfristig weitergeführt: «Kulturschaffende brauchen eine bessere Finanzierung, auch nach dem Lockdown.» 

Modernisierte Untersuchungshaft

Trotz der vielen Hindernisse schätze Fehr, dass sie auf kantonaler Ebene Projekte wie diese verwirklichen kann, die auf Bundesebene nicht möglich gewesen wären: «Im Kanton Zürich haben wir viel Handlungsspielraum», meint Fehr. Dies sei einer der Gründe, weshalb sie sich gegen eine zweite Bundesratskandidatur entschieden habe. «Im Bundesrat ist man sehr viel weiter weg vom Geschehen. Man braucht viel Zeit für Parlament und Lobbyarbeit.» In Zürich könne sie hingegen direkt mit den Fachleuten in den Ämtern zusammenarbeiten und sich laufend an die neuen Entwicklungen anpassen. Ähnlich klingt es, wenn Fehr über ihr Amt spricht: «Als Direktorin der Justiz und des Inneren stehe ich mitten im Leben.» Diese Lebensnähe bringe auch Schwierigkeiten mit sich – sowohl menschlicher wie auch politischer Natur.

 Eine Schwierigkeit dürfte der Fall «Brian» sein, für den sie als Justizministerin die Verantwortung übernommen hat. Der Skandal um die Inhaftierung des jungen Mannes hatte vermutlich schon ihrem Vorgänger, dem Grünen Martin Graf, Wählerstimmen gekostet und hat auch Fehr einige Negativschlagzeilen beschert. Von 2018 bis 2021 verbrachte Brian mehr als zwei Jahre in Einzelhaft, bis der UNO-Sonderberichterstatter und die Nationale Kommission zur Verhütung der Folter die Situation als inakzeptabel bezeichneten. Erst im Frühjahr 2022 wurde Brian in normale Untersuchungshaft versetzt. Brians Verteidigung reichte Ende 2021 eine Strafanzeige im Namen ihres Klienten ein. Angeklagt wurden Verantwortliche wie Ausübende. An einer Pressekonferenz gefragt, ob auch Jacqueline Fehr Teil der Untersuchung sei, meinte Rechtsanwalt Bernard Rambert: «Natürlich geht es bis zur Politik.»

 Um die Haftbedingungen von Untersuchungshäftlingen zu verbessern, hat Fehr in Zusammenarbeit mit dem Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung einiges umgekrempelt. Statt eine Stunde dürfen sich Häftlinge jetzt bis zu acht Stunden ausserhalb der Zellen aufhalten. Besuch dürfen sie auch an Wochenenden und Abenden empfangen und zum Bildermalen steht ein Kreativraum zur Verfügung. Wegweisend ist für Fehr auch die Umbenennung des ehemaligen Amts für Justizvollzug in «Justizvollzug und Wiedereingliederung». «Die Wiedereingliederung soll betont werden, weil sich für die allermeisten die Gefängnistüren nicht nur schliessen, sondern auch wieder öffnen», begründet Fehr ihre Entscheidung. Aber nicht nur für die TäterInnen trägt Fehr als Justizdirektorin Verantwortung. Eine ihre Hauptaufgaben ist es, sich um besonders schutzbedürftige Personen zu kümmern. Im April 2021 hat der Regierungsrat Massnahmen verabschiedet, um Frauen besser vor häuslicher Gewalt zu schützen. Unter anderem wurde die Finanzierung für die Frauenhäuser erhöht, neue Weiterbildungsmöglichkeiten für Fachpersonen geschaffen und die Präventionskampagne «Stopp Gewalt gegen Frauen» lanciert. «Wir dürfen im Kampf gegen die häusliche Gewalt nicht lockerlassen», meint Fehr. 

Dass die Justizdirektorin anpacken kann, wird wohl niemand bestreiten. An den StimmbürgerInnen liegt es zu entscheiden, ob sie auch gut finden, was sie anpackt. 

Regierungsratswahlen 2023

Mit dieser Porträtreihe stellen wir bis Anfang Februar die bisherigen und die neuantretenden RegierungsratskandidatInnen vor. Den Anfang macht SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr. Erschienen im P.S. vom 11.11.2022.

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