Wolfman im Interview: «Wir sind einfach Bauchmenschen» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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22. Mai 2017 um 09:43

Wolfman im Interview: «Wir sind einfach Bauchmenschen»

Wenn Wolfman im Dynamo spielt, drängt sich eine Menschenmenge vor dem Eingang. Grund genug, mit den beiden Köpfen zu sprechen.

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Wir sitzen im Backstage und soeben hat die Support-Band ihr Konzert begonnen. Es wummert ein bisschen, aber das macht nichts. Kate und Angelo, die beiden Köpfe von Wolfman, sitzen gemütlich auf dem schwarzen Ledersofa, es wird geraucht.

Das letzte Mal, als wir uns begegnet sind, war im Neubad in Luzern im November 2016. Was hat sich seither getan?

Angelo: Wir haben jetzt dann bald eine neue EP am Start, welche wir beide produziert haben. Das Mini-Album sollte dieses Wochenende fertiggestellt werden.

Spielt ihr darauf zu zweit oder zu viert?

Kate: Komponieren tun wir sowieso immer nur zu zweit. Hans-Jakob, welcher normalerweise bei uns am Synthi spielt, kommt dann noch dazu und gibt als Co-Produzent Feedback. Wie es dieses Mal wird, wissen wir noch nicht, wir sind noch nicht ganz fertig.

Heute Abend spielt ihr ja nur zu zweit. Markus (Drummer) und Hans-Jakob (Synth) sind nicht am Start. Ist das eine Art Transformation? Ist Vollmond und der Wolf mutiert gerade?

Kate: Das ist ein schönes Bild. Ich weiss nicht genau. Wir haben einfach an einem Punkt gemerkt, dass wir etwas Neues ausprobieren möchten, damit es nicht statisch bleibt. Mit der Band hatten wir eine verdammt gute Zeit und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass wir wieder in dieser Formation spielen werden. Wir fanden einmal, es könnte was Spannendes daraus entstehen, wenn wir Wolfman zu zweit machen. So könnten wir auch Clubs bespielen und wären flexibler. Mit Band ist man nicht so flexibel, man kann nicht so schnell reagieren und man ist gebunden: Es braucht einen Proberaum und die Organisation der Proben ist viel aufwendiger. Die Idee war: Schaffen wir es, das Ganze abzuspecken und dann womöglich modular andere Leute dazu zu nehmen? Wir wollten sehen, was mit unserer Musik passiert. Es war auch ein Anspruch an uns: Was können wir zu zweit aus diesem Wolfman-Ding überhaupt machen?

Angelo: Es wurde klar, dass wir die Songs neu aufsetzen müssen, so eine Art live-remixing. Und das war extrem spannend. Nach zwei Jahren hast du’s dann irgendwann mal gesehen, da willst du die Songs auch mal anders spielen. Wir haben auch alte Songs hervorgenommen, die wir schon so lange nicht gespielt haben, und haben sie neu aufgesetzt. Und jetzt finden wir sie wieder geil. Es ist Recycling vom eigenen Material.

Was dürfen wir heute Abend erwarten?

Kate: Kein DJ-Set. Oft meinen die Leute, wenn man elektronische Musik live spielt, sei das ein DJ-Set, aber stimmt so nicht, das wäre das falsche Wort.

Angelo: Es ist eigentlich recht analog, wir haben verdammt viel Material auf der Bühne, viele Gerätli. Wir haben unsere Baselines in den Sequenzer reingehauen und arbeiten mit Drum-Patterns. Solche Sachen halt. Es ist aber immer noch sehr live! Es ist zwar eher technoid-elektronisch, auch von der Ästhetik her, aber es ist immer noch sehr flexibel.

Kate: Bei unseren ersten Auftritten hielten wir es recht simpel. Mittlerweile ist es so, dass wir das Set im Griff haben und Angelo zu dazu live Gitarre spielen kann. Ich weiss zwar nicht, wie er das macht, ich glaube manchmal, er hat vier Hände!

Angelo: Ich bin huere am ineschaffe....

Kate: Ich bin einfach schön am Synthi und es bizli am Singen.

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© Christian Chaney - VertigoPix.ch

Wie verhält man sich auf der Bühne?

Kate: Bei mir kommt das sehr auf meine Tagesform an. Bin ich weniger nervös, bewege ich mich automatisch weniger und bin ruhiger auf der Bühne, weil ich nicht das Gefühl habe, ich müsse jetzt etwas kompensieren. Ich tanze aber schon sehr gern zu unserer Musik, immer so, wie ich es gerade fühle.

Ein Blick reicht und die Verunsicherung ist da!

Kate

Angelo: Wir sind halt mega buchig, wir haben oft gar keinen Plan. Wir haben es auch gar nie geschafft, eine Bühnenshow einzustudieren. Wir hatten nie ein spezifisches Programm, und möchten das auch nicht. Wir machen einfach Musik. Wir sind beide nicht so krasse Musiker und haben auch keine Musikausbildung absolviert. Wir sind einfach Bauchmenschen. Es kommt, wie’s kommt. Manchmal tanzen wir, manchmal nicht. Und manchmal haben wir’s auch scheisse zusammen, und dann wieder verdammt gut. Wir sind einfach nicht so professionell, nicht so durchorchestriert.

Kate: Ja, die Professionalität fehlt.

Die Professionalität fehlt? Ist das nicht eine Frage der Definition?

Kate: Doch. Was ich sagen wollte: Wir können mittlerweile auf die Bühne gehen und haben vollstes Vertrauen, dass es gut kommt – egal, was sonst bei uns abgeht. Es kommt immer mal wieder vor, dass einer schlecht gelaunt ist und deswegen im Loch ist. Aber wir wissen, dass es auf der Bühne funktioniert. Das heisst noch lange nicht, dass wir deswegen wüssten, wie das Konzert wird. Da ist das Publikum enorm wichtig. Wir hatten schon Gigs, wo wir uns sehr wohl fühlten, obwohl das Publikum relativ ruhig war. Wir wurden dadurch automatisch auch ruhiger. Gleichzeitig haben wir eine Gruppe von Freunden, welche an unseren Konzerten abartig abgehen. Wenn die voll abtanzen, dann tanzen auch wir! Das Publikum ist wie ein Spiegel.

Angelo: Das Geheimnis von Wolfman ist abhängig davon, wie wir es zusammen haben. In der Retrospektive wird das immer klarer: Wenn wir beide eine gute Zeit zusammen hatten, war es automatisch auch auf der Bühne verdammt geil. Wir beeinflussen uns gegenseitig so stark und sind manchmal auch verunsichert deswegen.

Die Stimmung hängt sehr fest von uns ab. Das kann gefährlich sein...

Angelo

Kate: Ein Blick reicht und die Verunsicherung ist da! Wir mussten z.B. auch schon Zeichen abmachen, damit klar ist: Wenn ich ihn komisch anschaue, meine ich damit, dass ich nicht weiss, ob ich meine Sache richtig mache bzw.: fuck mann, ich weiss nüm was mache. Wir sind beide so anfällig, diese Blicke falsch zu deuten.

Also ein nonverbaler Dialog auf der Bühne...

Kate: ... der schwierig einzuordnen ist.

Angelo: Es ist wirklich so, dass Kate ihre Gefühle zum Ausdruck bringt auf der Bühne. Ich lass mich dann auch gerne mitziehen.

Kate: Ich gehe zum Beispiel voll ab, wenn Angelo ein Gitarrensolo spielt, das so richtig ausartet! Wenn er sich dann verliert und es beginnt geil zu finden, dann gibt’s kein Halten mehr... det nimmts mi fasch. Es sind diese Momente, wo er vergisst, dass er diese Gitarrensoli eigentlich cheesy findet. Er findet sie nämlich oft verdammt cheesy.

Angelo: Ich habe mich mit dem aber schon versöhnt. Ich spiele so kitschig wie noch nie!

Gab’s auch schon scheiss Gigs?

Angelo: Ja, sicher!

Was braucht’s dafür?

Angelo: Ich hatte mal eine Zeit, in der ich sehr launisch und depressiv gestimmt war. Und das waren ziemlich schlimme Gigs. Für mich und gleichzeitig auch für die anderen von der Band. Ich meine, Kate und ich sind die Band. Wie gesagt: wenn wir es scheisse haben, dann haben es auch der Drummer und der Bassist scheisse. Die Stimmung hängt sehr fest von uns ab. Das kann gefährlich sein...

Kate: Deshalb ist es so wichtig, dass wir beide wissen, wie es um den anderen steht. Wenn es Angelo beschissen geht, kann ich übernehmen und quasi kompensieren. Umgekehrt natürlich auch. Einfach ist das nicht: In dieser schwierigen Zeit von Angelo zum Beispiel hat er teilweise einfach nicht mehr gesungen. Und dann musste ich das ganze Ding tragen. Das merkt das Publikum zwar nicht unbedingt, aber man beginnt dann auf Nummer sicher zu spielen...

Angelo: Man bringt es dann einfach hinter sich. Keine Freude, nichts.

Wie wichtig sind euch eure Texte? Wie seht ihr das Verhältnis von Text und Sound bei eurer Musik?

Kate: Das ist wiederum extrem abhängig davon, wie wir uns gerade fühlen. Die meisten Texte schreibe eigentlich ich, aber Angelo ist immer auch beteiligt am Prozess. Umgekehrt produziert er nichts, was ich nicht schon vorher zu hören bekomme. Es ist ein ständiger Prozess, ein ständiges Hin und Her. Zum Teil gibt es Texte, die mir sehr auf dem Herzen liegen, und die knall ich dann einfach hin. Ich erkläre Angelo anschliessend, was ich damit sagen möchte. Er macht dann ein paar Vorschläge, wie man vielleicht die Aussage besser versteht. Dann gibt es aber auch Texte, die einfach mehr Stimmungstexte sind, die einfach zum Sound passen. Dann sind es vielleicht fast eher Fragmente als in sich schlüssige, ganzheitliche Geschichten. Viel eher sind es dann Gefühlsaussagen, bei denen man findet: Ok, das passt jetzt, ich verstehe vielleicht nicht ganz, was du damit sagen willst, aber es passt. Dann ist es gut.

Angelo: Ich bin vielleicht eher so rhythmisch, so der Müsterli-Typ. Ich nerve dich dann manchmal damit (zu Kate). Aber das ist eben schon wichtig: Wann kommen Konsonanten, wann die Vokale? Der Sound, wann ist’s eher weich, wann muss es knacken und zischen... Ich finde eben, dass wir in dieser Hinsicht ein sehr gutes Team sind.

Euer Album habt ihr Modern Age getauft. Was meint ihr genau damit?

Kate: Es ist zynisch gemeint. Während dieser Zeit, habe ich mich intensiv damit auseinandergesetzt, wie unsere ach so zivilisierte Gesellschaft andere Lebewesen – Menschen und Tiere! – unterjocht. Und zwar aufs Härteste, so wie noch nie zuvor.

Angelo: Wir sind ein bisschen wie Nazis, nicht?

Kate: Ja, das könnte man vielleicht sagen... wenn auch dieser Vergleich den unvoreingenommenen Hörer schockieren würde. Ich denke einfach, dass die bereits erwähnte Unterjochung ein bisher nicht erreichtes Ausmass angenommen hat: Ausbeutung, Misshandlung. Modern Age ist ironisch gemeint, so à la: Wir leben in einer modernen Welt, alles läuft, wir sind (technisch) so entwickelt wie noch nie, so zivilisiert, und dennoch: so primitiv wie noch nie.

Angelo: Es geht auch um Symptombekämpfung. Im Hauptsong vom Album (Modern Age) hat es ein Sample von einem Interview mit Jimi Hendrix, das ich mal auf Youtube gefunden habe. Er sagt da, dass es damals für alles, für jedes Leiden eine Pille gab. Es ist immer Symptombekämpfung. Aber eine kurzfristige. Wir gehen der Sache nie auf den Grund! Wir alle wissen doch, dass wir in einem System leben, das eigentlich sehr feindlich ist. Und wir sagen dann: Ok, ich esse jetzt kein Fleisch mehr oder ich kaufe nur noch Fairtrade-Kleider.

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© Christian Chaney - VertigoPix.ch

Kate: Es geht auch um Klasse. Das ist Sozialdarwinismus wie noch nie. Man hat nach dem Zweiten Weltkrieg erkannt, dass gewisse Völker extremes Unrecht ertragen mussten. Und jetzt braucht’s wieder jemand zum Unterjochen, jetzt sind es halt die Tiere. Schon auch Menschen, aber ich habe halt einen ganz starken Tierschutzgedanken. Angelo hat das mit der Symptombekämpfung eingebracht.

Modern Age ist ein Zeitalter der Gegensätze.

Angelo

Angelo: Es geht schlussendlich um jegliche soziale Ungerechtigkeit. Unser System fickt eigentlich alle am Ende.

Kate: Es fickt die Schwächeren.

Was tun?

Angelo: Wir müssen rationaler werden.

Kate: Nein, es braucht auch das Herz.

Angelo: Nein, ich meine, wir müssen mit dem arbeiten, was wir wissen. Und wir wissen so viel! Ich unterrichte nebenher als Sek-Lehrer. Ich habe erst kürzlich mit meinen Schülern über die Lage der heutigen Welt geredet. Ich habe dann ein Gedankenexperiment gemacht: Ein Alien fliegt mit seinem UFO über der Erde und sieht Folgendes: Hier holzen sie die Regenwälder ab, obschon sie abhängig vom Sauerstoff sind. Hä? Oder hier verhungern Menschen, da sterben welche, weil sie zu viel essen! Das geht doch nicht auf! Modern Age ist ein Zeitalter der Gegensätze. Wir alle waren schon mal auf einem Bauernhof und haben die Tierli süss gefunden, jeder hat schon mal ein Kälbli gestreichelt und es hat mit der Zunge einem den Arm hineingenommen. Das ist so etwas Schönes! – Und dann: frisst du das Kälbli! Das ist doch grotesk!

Kate: Ich glaube, wir sind taub geworden. Wir haben uns distanziert von anderen Lebewesen. Je mehr du dich distanzierst von einem Lebewesen, desto tauber wird man gegenüber seinem Leiden. Es geht dich nichts an. Gleich ist es mit einem T-Shirt aus dem H&M. Es ist dir egal, dass es unter miserablen Umständen in einer Fabrik in Bangladesch hergestellt wurde.

Augen zu.

Kate: Augen zu. Es geht mich nichts an, ich sehe es ja nicht. Man könnte einwenden, dass ich Globalisierungsgegnerin sei, aber das ist auch der falsche Ansatz. Fakt ist, wir leben in einer globalen Welt. Aber wie schaffen wir es, auch in einer globalen Welt den Bezug zu finden zu einander, zur Welt, in der wir leben und den Lebewesen darauf? Es kann ja nicht sein, dass 1 % der Menschen auf Kosten der anderen 99 % leben. Für den Grossteil der Menschheit ist das ein riesen Fick, und zwar durch und durch. Diese Masslosigkeit ist einfach crazy! Dein Kleiderschrank ist genauso voll wie dein Magen. Wir verbinden heute Wohlstand mit viel Besitz! Ich glaube, wir erreichen irgendwann einen Punkt, wo es nicht mehr weitergeht. Wir haben ja nur begrenzte Ressourcen!

Titelbild: © Christian Chaney - VertigoPix.ch

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