Milian Otto: «Musik als Produkt zu vermarkten, bereitet mir erstmal Bauchschmerzen.» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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26. November 2017 um 13:15

Milian Otto: «Musik als Produkt zu vermarkten, bereitet mir erstmal Bauchschmerzen.»

Milian Zerzawy ist inzwischen in der siebten Spielzeit fest am Schauspielhaus Zürich engagiert. Nun hat er den laufenden Vertrag nicht verlängert, um sich stärker der Musik zu widmen. Unter dem Pseudonym Milian Otto veröffentlicht er seine erste Single «Schattenseite» – und steigt gleich auf Platz 32 in die schweizer iTunes Charts ein. Tsüri traf ihn für ein Gespräch über seine Single, Mani Matter und die Dürre im Genre der Liedermacher.

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Ein widerspenstiges Haar schwebt über der Stirn – dahinter rattert es. «Die intensive Auseinandersetzung mit Sprache in meinem Beruf als Schauspieler hat meine Präzision beim Texte schreiben geschärft», sagt Milian. Es falle ihm schwer, an den Punkt zu kommen, wo er guten Gewissens sagen kann «Jetzt ist es fertig!». Aber jedes Lied gehöre in die Zeit seiner Entstehung und es sei wichtig, es dabei belassen zu können, um sich weiterzuentwickeln. «Natürlich ist das neuste Lied immer das beste», schmunzelt Milian.

Milian überlegt wieder und wir schweigen. Die Kaffeemühle im Hintergrund durchbricht unser Schweigen. «Ich muss mich kurz sammeln», entschuldigt sich Milian.

Er hat während seiner Zeit als Schauspieler geübt, die Worte und Gedanken die er spricht, seine eigenen werden zu lassen. Wenn er seine Texte singt, hat er einen klaren Bezug zu den Worten und will das Publikum damit möglichst direkt adressieren. Auch wenn er selbst seiner Musik lauscht, hat er den Anspruch, dass die Texte klar gedacht sind – und gerade das ist auch essentiell auf der Schauspielbühne.

1 Euro für 7’400 Streams

Für Milian ist die beste Art Musik zu hören auch im digitalen Zeitalter immer noch ein Livekonzert. Trotzdem liebt er es, seine eigene Musik aufzunehmen und zu arrangieren. Wenn es darum geht, von möglichst vielen gehört zu werden, entsteht für ihn ein prinzipielles Problem: «Die Musik zu einem Produkt zu machen und sie als solches zu vermarkten, bereitet mir erstmal Bauchschmerzen». Da aber Musiker*innen auch Nahrung brauchen, ist seine Hoffnung, dass die Streaming-Dienste für Künstler in Zukunft endlich lukrativer werden. Denn heute sind sie das keineswegs. The Independent hat vorgerechnet: Lady Gaga soll für 1 Million Streams auf Spotify umgerechnet 135 Euro bekommen haben. «So funktioniert der Markt heute leider, aber man darf sich ihm nicht blind unterwerfen.» Ausserdem hofft er, dass die Leute in Zukunft immer noch Lust haben, zuhause eine Vinyl-Platte aufzulegen, und die Musik nicht konsumieren wie ihre Facebook-Timeline.

‘Hurra, das ist der Mensch!’

Die am Freitag erschienene Single «Schattenseite» wirkt auf den ersten Blick wie eine Verkündung der Desolation, in der sich die Spezies Mensch derzeit befindet. «Das Lied ist eine Beobachtung», sagte er. Aber nur weil es düstere Seiten beschreibe und er ‘Hurra, das ist der Mensch!’ singt, entspreche der Text deswegen nicht gleich seinem vollständigen Menschenbild: «Aber gerade in einer Stadt wie Zürich bekomme ich das Bedürfnis, mich unter die Fassade der heilen Welt zu graben. Die Unsichtbarkeit des Elends und die romantische Verklärung unseres Alltags: Das sind Zustände, die ich als düster beschreiben würde.»

Irgendwie bekommt man das Gefühl, dass Milian ein Weltverbesserer sein könnte. Er entgegnet jedoch: «Ich glaube nicht daran, dass ein Lied oder ein Album die Welt verändern kann. Ich denke, das ist ein romantischer, hochmütiger Anspruch».
Natürlich freue er sich trotzdem, wenn seine Gedanken gehört werden und im besten Fall zu neuen Gedanken inspirieren.

Hinter Milians Musik steckt nur Milian Otto

Hinter den meisten Alben stecken viele Menschen mit unterschiedlichsten Aufgaben – hinter Milians Musik steckt nur Milian. Seine Lieder hat er selbst geschrieben, aufgenommen und arrangiert. Sein Label kümmert sich im Anschluss darum, dass die Musik von möglichst vielen gehört wird. Das Album, das nächstes Jahr erscheinen wird, hat er in den vier Wänden seines Schlafzimmers analog auf einer Bandmaschine aufgenommen. «Diese Technik war vor dem Computerzeitalter in allen Studios Standard und verleiht dem Lied einen wärmeren, volleren Klang als es digital möglich ist.» Das Tonband sei jedoch nur ein Soundtool. Dann lacht er: «Zum Glück muss ich nicht alles analog machen, das ist viel komplizierter und aufwändiger.»

Ein kleines familiäres Konzert in Berlin im "Hidden Institute of Possibilities & Imaginations"

Mit der Komplexität schwindet die Klarheit der Musik

Wie Viele hatte er als Teenie eine Indie-Rock Band. Das gemeinsame Gitarrenkreischen machte ihm Spass. In seiner Single «Schattenseite» hört man nur Milian und seine Gitarren.
Die Lust, mit anderen Musik zu machen, sei ihm nicht vergangen: Zwischenzeitlich hatte er auch versucht in Zürich eine Band zu gründen und die Lieder mit anderen Musiker*innen und in verschiedenen Besetzungen zu spielen. «Ob zwei Musiker zusammen harmonieren, hat nicht zwingend etwas mit Können zu tun», sagt Milian. «Es muss eine musikalische Freundschaft vorhanden sein. Egal ob Ikone oder jemand aus dem Freundeskreis – wenn man kein gemeinsames musikalisches Ziel hat, wird das nichts».
Am Ende stand für das erste Album die Entscheidung, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. «Je komplexer die Musik wird, desto weniger liegt der Fokus auf dem, was ich sagen möchte», merkte Milian. «Gerade live ist die Intimität zwischen mir und dem Publikum viel stärker, wenn ich alleine bin». In Zukunft wünsche er sich trotzdem die Zusammenarbeit mit anderen Musiker*innen – gemeinsam zu musizieren habe ganz andere, wunderbare Qualitäten. «Alleine zu spielen, das kann auch manchmal einsam sein.»

«Wer versucht Musik zu machen wie Mani Matter, wird niemals Mani Matter»

Wer bereits ein Ohr auf die Single geworfen hat, hat sich wahrscheinlich gefragt, ob Mani Matter eine von Milians Ikonen und Inspirationen sein könnte: «Ich habe einiges von Mani Matter gehört und verstehe natürlich den Vergleich», sagt Milian. «Ich werde immer wieder auf ihn angesprochen, denn er ist der Schweizer Liedermacher schlechthin. Wenn ich allerdings sehe, wie sehr in der Schweiz Mani Matter und in Deutschland andere alte Liedermacher*innen verehrt werden, wundert es mich, dass im deutschsprachigen Raum die Liedermacher-Kultur eine solche Randerscheinung geworden ist, verglichen mit den 70er und 80er Jahren».
Spätestens wenn man mit seiner Musik an die Öffentlichkeit tritt, wird man verglichen – der Fehler liege darin zu versuchen, seine Ikone nachzuahmen, denn «Wer zum Beispiel versucht, Musik zu machen wie Mani Matter, wird niemals Mani Matter. Er war deshalb gut, weil er seiner eigenen künstlerischen Kraft vertraut hat.»

Titelbild: Leni Olafson

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