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Von Benjamin von Wyl

Journalist

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24. Mai 2015 um 13:58

So ist es morgens um 7 nüchtern im Hive

Der Bass bleibt King - auch wenn ich den Gestank stärker wahrgenommen habe.

Tag 4: Vice-Redaktor Benjamin von Wyl lebt eine Woche draussen hinter der Pukapuka-Bar des Theater Neumarkts und schreibt täglich auf tsüri.ch.

Ausgerechnet heute bin ich nicht um 5:00 Uhr aufgewacht und habe es darum nicht «schon» auf 6:00 Uhr ins Hive geschafft, sondern erst etwa auf 7. Es gibt zwei Gründe, weshalb ich «verschlafen» habe: 1. Einerseits hatte ich viel, viel, viel wärmer, da ich mir auf Ratschlag von ein paar Expfadfindern eine Windschutz-Hülle für meinen Schlafsack geholt habe (2.95 CHF, Einwegabdeckfolie für Malarbeiten, im JUMBO) – unglaublich, was das für einen Temperaturunterschied macht. Und eventuell kann ich dank der Folie jetzt auch bei Regen draussen bleiben.

2. Andererseits erfüllte sich zwar in der Nacht von Freitag auf Samstag diese Ankündigung/Drohung nicht:



[caption id="attachment_2254" align="alignnone" width="300"]Wo man auf Facebook so markiert wird. Wo man auf Facebook so markiert wird.[/caption]

Aber Samstagabend scheinen sich hier, nochmals mehr Ausgangs-Heimkehrer rumzutreiben als am Freitag. Und dementsprechend lauter war es. Letzte Nacht wurde auch eine kritische Masse an Betrunkenen erreicht; das mache ich daran fest, dass einige herausragende Absturz-Exemplare in mein Draussen-Daheim eindrangen. Ich war jedes Mal nur kurz aufgewacht und erinnere mich nur noch an zwei (verknüpfte?) Episoden: Erst johlte jemand, dann sah ich, wie etwa drei Meter hinter mir Bier- und Weinkartons in die Limmat flogen. Als ich mich umdrehte, um die verhältnismässig harmlosen Schattenwelts-Botschafter zu vergessen, begann es: «Hee, do lieht eine!» - «Wo?“ - «Wie?» - «Was isch los?» «Nei» - «Aber hed sich grad bewegt.» - «Wie?» Etwa fünf Minuten später wachte ich wieder auf und diesmal standen zwei Typen direkt am «Bettrand»: «Grüezi, Kantonspolizei Zürii, chönd Sie mir mol erchläre, was Sie do mache? Sie dörfe do nid blibe.» Für Polizisten sahen die zwei etwas zu geschleckt, etwas zu sehr nach Technoclub und etwas zu betrunken aus. Ich erinnere mich nicht mehr an meine Antwort, aber habe noch das Bild vor mir, wie der eine von ihnen sich an die Platte, auf der ich schlafe, lehnte und einfühlsam sagte: «Es isch guet. Du dörfsch witerschlofe. Me verstönd, was du do machsch.»

Meine Erinnerungen an die Nacht sind wohl auch etwas beeinträchtigt, da ich doch ziemlich bekifft in meinen Schlafsack gestiegen war, denn auch in der Pukapuka-Bar wird nicht nur heiter-ekstatisch Foucaults «Philosophie der Existenz» diskutiert: Gestern Abend gab es zwei Mal (Zusatzvorstellung wegen zu viel Andrang!) Dürrenmatts «Die Panne» mit psychedelischen Handpuppen, danach habe ich gekifft, getrunken und getanzt. Allerdings in einer Umgebung, die fast bis zum Schluss von übermütigen Kindern dominiert wurde. Von Kindern, die die Kokosnusszerstörung nach industriellen Masstäben organisierten und denen es auch egal war, ob jemand all die Kokosnüsse hinterher isst. Es war gemütlich, es war tanzbar, es war familiär, nix mit anonymer Clubmasse. Und um 23:45 Uhr war «Letzte Runde» – vielleicht war ich also am Morgen nicht vollkommenen nüchtern. Vielleicht blieb eine gewisse Restverpeiltheit bestehen. Vielleicht half die mir dabei, mich in das Gewusel im Bienenstock – Hive of Mayhem, odr so - zu integrieren.



[caption id="attachment_2269" align="alignnone" width="640"]tsri_draussen4_03 (2)-w800 Pukapuka aka Quartierzentrum Escher-Wyss[/caption]

Um 6:30 Uhr packte ich mich in die ausgangstauglichsten Kleider, die man nach drei Tagen Limmatufer so zur Verfügung hat, holte mir im Happy Beck ein widerlich-provozierendes Zmorge (Hamburger-Gipfeli, Hamburger im Blätterteig) und ging mit allen Verstrahlten auf dem Weg zum Hive so kulant um, wie wenn ich auf dem Arbeitsweg wäre («My girlfriend lives just there and I don't have any battery left in my mobile phone. Can I borrow yours?» - «Sorry, It's a vocabulary thing: I don't know the word „mobile phone“.») Das Hive sah ich schon lange vor dem Abbiegen: Taxi um Taxi um Taxi stand da, alle warteten auf hilflose, schutzbedürftige Club-Heimkehrer und der eine Fahrer wurde von zwei Polizisten angeheischt. Anscheinend habe er den Rückspiegel des Polizeiautos «aggressiv berührt». Jedenfalls zeigten ihn die Sensibelchen in Uniform an. Da hatten die beiden Pseudopolizisten an meinem Bettrand mehr Grösse gezeigt.



[caption id="attachment_2259" align="alignnone" width="800"]tsueri_draussen4_05-w800 Gourmettheke im 24h-Beck[/caption]

Beim Einlass dreht die Selekteurin vor mir ein Schild. Auf der einen Seite steht HIVE, auf der anderen ein Herz. Das Herz erhalten die, die nicht reinkommen. Das Schild dreht gefühlt sehr lange ... Ich würde mich göttlich nerven, wenn sie mich nicht reinlassen, denn wenn Menschen um 7:00 Uhr morgens 20 Franken zahlen, um sich noch ein paar Stündchen auf dem Schlachtfeld/der Tanzfläche zu bewegen, sollte der Club froh sein. Aber ja: Ich weiss ja, wie das ist. Und ich werde auch eingelassen. Und ich wundere mich darüber, dass ich mich auch ohne Alk-Grundierung über sowas aufrege.



[caption id="attachment_2258" align="alignnone" width="800"]IMG_20150524_065517-w800 Hive, ca um 07:30 Uhr[/caption]

Im Hive drin ist eigentlich das gleiche Durcheinander aus Kotze, leeren Minigrip-Säckli und Scherben wie sonst. Und ich habe das Gefühl, dass es nüchtern nicht schockierender wirkt. Als einziges stört die dicke Luft: Kaum bin ich drin, bin ich in einem Dampfbad aus Schweiss. Kaum habe ich mich an die Luft gewöhnt und mich über die Ausdünstungen mit allen Anderen verbunden, fühle ich mich als aufgenommenes Mitglied der Gemeinschaft. Bald hat mich auch der Bass. Und ich tanze und ich bete ihn an. Und ich gehöre ihm. Was mir auffällt, ist mein Aufmerksamkeitsgrad: Ich sehe bei allen, ob sie grad völlig am Trippen sind. Wenn mich jemand anrempelt, hinterfrage ich meine Wahrnehmung nicht, da ich meiner Sinne ja sicher bin, jedenfalls gleich sicher wie im Alltag. Und ... ich muss zugeben, dass es nüchtern einfach recht schnell langweilig wird, vor allem, wenn man wie ich nüchtern bleiben will, da in vier Stunden die Mutter zu Besuch kommt. Also bleibt es bei einer Stunde Hive und einem einzigen Gang auf das Horror-Klo (siehe Titelbild). Als ich dann so gegen 9:00 Uhr bei der Pukapuka meine Sportschuhe anziehe, fühle ich mich dann wirklich komisch: Eine Joggingrunde nach dem Hive ist einfach unnatürlich.

Schöne Pointe am Rand: Drei der zwölf Leute, die gestern Abend im Pukapuka tanzten, habe ich morgens um 8 im Hive nochmals gesehen.

Hier geht es zu den Beiträgen der Tage 1 bis 3:

Tag 1: Tsüri ist auch nicht besser als der Aargau!

Tag 2: Ich bin letzte Nacht fast erfroren - und fühle mich gut!

Tag 3: Drei Schwestern stören den Verkehr im Kreis 5

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