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Von Philipp Mikhail

Redaktor

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16. November 2019 um 05:00

Aktualisiert 27.01.2022

Zukunft der Arbeit: Zwischen Pragmatismus und Moral

Unser Fokusmonat «Die Zukunft der Arbeit» ist bald vorüber. Zeit, sich zum Abschluss nochmals grundsätzliche Gedanken zur Diskrepanz zwischen Fortschritt und einer gleichberechtigten Gesellschaft zu machen.

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Bild: Frantisek Krejci auf Pixabay

Nachdem wir uns intensiv mit dem Thema «Die Zukunft der Arbeit» befasst haben, neigt sich unser Fokus langsam dem Ende zu. In den letzten Wochen haben wir Workshops organisiert, um die klassische Denkweise zu hinterfragen, in der Langstrasse mit Arbeiter*innen der Nacht über Schatten- und Schwarzarbeit geplaudert und an Podiumsdiskussionen über Utopie und Realität in der künftigen Arbeitswelt debattiert. Doch so sehr diese Debatten uns das Gefühl geben, einen Schritt nach vorne gemacht zu haben – eigentlich hat sich nicht viel verändert. Ein paar wenige Pionier*inne ebnen weiterhin den Weg in Richtung Futurum und beweisen, dass es neue und innovative Lebensformen gibt. Die meisten «Büezer*innen» fürchten indes weiterhin, wegen der Roboterisierung ihren Job zu verlieren. Wenn uns dieser Fokus etwas gelehrt hat, dann dass die Zukunft der Arbeit einen grundlegenden Konflikt aufzeigt, den wir eigentlich schon allzu gut kennen sollten: Die Zwickmühle zwischen Pragmatismus und unserer Verantwortung für eine weltweit gleichberechtigte Gesellschaft.

Dem Rest der Welt zeigen wie's geht

Es ist zum Beispiel pragmatisch zu sagen, dass unsere Technologie in geraumer Zeit ganze Arbeitszweige (besonders in der Produktion) ausradieren wird. Und es ist ebenso sachbezogen, wenn wir uns deshalb jetzt schon fragen, was wir dann mit unserem Leben anstellen wollen. Die Auseinandersetzung ob wir eine zunehmende Mechanisierung als richtig erachten, erübrigt sich, weil der «point of no return» längst erreicht ist. Das Akzeptieren von futuristischen Lebensformen ist also lediglich die letzte Pirouette der Pflichtkür einer Arbeiterklasse, die sich eigentlich gar nie für diesen Weg entschieden hat.

Die modernen Konzepte, Arbeit und Menschsein neu zu definieren, werden indes als Teil einer Vorbildrolle, die es wahrzunehmen gilt, postuliert. Etwas überspitzt gesagt: wir müssen das Arbeiten sobald wie möglich den Maschinen überlassen und uns stattdessen Fragen, was wir im Leben erreichen wollen und wer wir sein wollen, wenn die Arbeit nicht mehr ist. Und die Erkenntnisse dieses Selbstexperiments teilen wir dann mit dem Rest der Welt. Im Sinne der Menschheit. Da eine solche Einstellung durch und durch elitär ist, bietet sich das Schwingen der Moralkeule ganz besonders an.

Was haben wir der Welt denn bisher schon Gutes vorgelebt? Und ist es der übrigen Welt wirklich dienlich, wenn wir uns statt zu arbeiten, unseren Hobbies, unserer «Berufung», zuwenden?

Philipp Mikhail

Sittlichkeit in einer unsittlichen Welt

Denn bevor wir uns dem vermeintlichen Dilemma um unsere Zufriedenheit ohne festen Beruf widmen, sollten wir uns zuerst unserer jetzigen Situation bewusst werden. Es ist ein westliches Privileg, sich Gedanken machen zu dürfen, ob weniger Arbeit auch mehr Freiheit bedeutet. Tatsächlich bedeutet weniger zu arbeiten in vielen Teilen der Welt nämlich heute immer noch zu verhungern. Die postulierte Vorbildrolle im Sinne der Menschlichkeit ist letztendlich lediglich die Rhetorik einer materiell-verwöhnten Elite. Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen. Es liegt in der Natur des Pragmatismus in gewisser Hinsicht ideologiefrei zu sein. Und darum kollidiert er geradezu mit unserer Tugend. Das soziale Potenzial des rasenden technologischen Fortschritts steht nach wie vor im Schatten unseres Egoismus. Was haben wir der Welt denn bisher schon Gutes vorgelebt? Und ist es der übrigen Welt wirklich dienlich, wenn wir uns statt zu arbeiten, unseren Hobbies, unserer «Berufung», zuwenden?

Die mageren technokratischen Lösungsansätze zur Verminderung der sozialen Ungerechtigkeit auf unserem Planeten beweisen einzig und allein, dass Bescheidenheit manchmal die schlimmste Form der Eitelkeit ist. Stattdessen sollten wir uns fragen, was bereits heute in unserer Macht liegt, die lästigen Werbungen von World Vision und Co. auf Youtube, die uns während der Weihnachtszeit mit Bildern von hungernden Kindern zum Spenden animieren wollen, endgültig vom Bildschirm verbannen zu können.

Und zwar nicht so, dass wir sie einfach nicht mehr sehen müssen, sondern so, dass die Leute in Burkina Faso unsere Unterstützung nicht mehr brauchen. Wir sollten diskutieren, wie es um die Zukunft unserer Ressourcen steht, welche die Technologie überhaupt möglich machen und wie wir diese mithilfe der Technik schützen können. Kurz: Die Zukunft der Arbeit ist rosig, wenn wir die Zeit, die wir dank der neuen Technologie gewinnen, nicht nur für uns selbst beanspruchen.

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