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14. September 2018 um 09:31

«Das Limmattalbahn-Projekt ist ein klassisches ‹Not in my back yard›-Problem»

Am 23. September stimmen wir im Kanton Zürich ein weiteres Mal über die Limmattalbahn ab. Im Gespräch erklärt Politikwissenschaftler Daniel Kübler, warum dies Unsinn ist und wo die direkte Demokratie an ihre Grenzen stösst.

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2015 haben die Stimmbürger*innen des Kanton Zürichs beschlossen, dass eine Limmattalbahn gebaut werden soll. Die Einzigen, welche das Projekt abgelehnt haben: Die deutliche Mehrheit der Einwohner*innen des Bezirks Dietikon. Also jene Gemeinden, welche mehr als alle anderen Gemeinden von diesem Projekt betroffen sind. Eine Volksinitiative wurde lanciert mit dem Titel «Stoppt die Limmattalbahn – ab Schlieren» und nun wird das Zürcher Stimmvolk am 23. September 2018 ein weiteres Mal über dieses Projekt abstimmen. Unser Redaktor Marco Büsch hat dies zum Anlass genommen, mit dem Politikwissenschaftler Daniel Kübler über das Thema direkte Demokratie zu sprechen – und ihre allfälligen Tücken. Daniel Kübler ist Professor für Demokratieforschung und Public Governance am Institut für Politikwissenschaft Zürich (IPZ), Leiter der Abteilung für Allgemeine Demokratieforschung am Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA), sowie Direktor des NCCR Democracy.

Was halten Sie davon, dass die Limmattalbahn ein zweites Mal vors Volk kommt?

Ich finde es merkwürdig, dass man versucht ein laufendes Projekt abzubrechen. Man hat bereits in einer ersten Abstimmung über die Limmattalbahn entschieden und man kann schlecht behaupten, man hätte nicht gewusst, auf was man sich einlässt. Es gibt keine neue Erkenntnis seit der ersten Entscheidung. Deshalb ist es merkwürdig, diese so infrage zu stellen.

Bei der Abstimmung über die Limmattalbahn 2015 haben die meisten Gemeinden dem Bau zugestimmt, die direkt betroffenen Gemeinden waren aber klar dagegen. Ist das problematisch?

Es ist eine Entscheidung auf kantonaler Ebene. Man muss die Limmattalbahn als Projekt sehen, dass sich auf den ganzen Kanton auswirkt. Wenn eine Mehrheit im Kanton für dieses Projekt ist, finde ich es unproblematisch, wenn dieses dann umgesetzt wird. Man kann sich natürlich fragen, ob es politisch geschickt ist, dass man die Limmattalbahn so aufgezogen hat, wenn man im Bezirk Dietikon keine Mehrheit dafür findet. Vielleicht hätte man am Projekt noch Dinge anpassen können. Aber dafür ist es jetzt zu spät.

Die Frage ist doch, darf ich nur über etwas abstimmen, das mich betrifft?

Politikwissenschaftler Daniel Kübler

Sehen Sie es als problematisch an für eine Demokratie, wenn eine nicht betroffene Mehrheit einer betroffenen Minderheit einen Entscheid aufzwingt?

Man könnte sagen das Limmattalbahn-Projekt ist ein klassisches «Not in my back yard»-Problem (kurz: «Nimby»). Man ist dafür, wenn es nicht bei einem selbst stattfindet. Von solchen Projekten gibt es haufenweise. Ich habe meine Dissertation über «Fixerstübli» und andere Einrichtungen der Aids-Prävention oder Betreuung von Drogenabhängigen geschrieben. Solche Projekte fanden alle gut, solange sie nicht in ihrer Nachbarschaft stattfanden. Wenn man diese «Nimby»-Opposition immer berücksichtigt, kann man am Ende gar nichts mehr umsetzen.

Wie kann man diese «Nimby»-Oppositionen an Bord holen?

Man kann frühzeitig den Dialog zu den Menschen in den betroffenen Gebieten suchen. Ihnen muss klar gemacht werden, dass das Projekt möglichst so umgesetzt wird, dass es keine schlechten Auswirkungen auf das Quartier hat. Bei der Limmattalbahn hat man von vornherein auch den Dialog gesucht, um die Akzeptanz im Bezirk Dietikon zu steigern. Irgendwann ist aber auch genug, wenn man glaubhaft versichern kann, dass man auf Ängste eingegangen ist und für ein übergeordnetes Ganzes dieses Projekt durchführen will.

Wie hoch ist die demokratische Legitimation, wenn ich beispielsweise über einen Objektkredit für ein Altersheim abstimmen muss, zu dem ich keinerlei Verbindung habe?

Die Frage ist doch, darf ich nur über etwas abstimmen, das mich betrifft? Was heisst dann aber betroffen? Wenn das Altersheim in meiner Nachbarschaft gebaut wird, bin ich betroffen. Wenn ich eine alte Person bin, welche vielleicht dort wohnen wird, bin ich auch betroffen. Wenn ich Steuerzahler*in bin, der*die den Bau finanziell unterstützt, bin ich auch davon betroffen. In diesem Sinne finde ich es korrekt, wenn nicht nur die unmittelbare Nachbarschaft über ein Projekt abstimmen darf.

Es gibt aber durchaus Personengruppen oder Gemeinden, welche stärker und direkter von solchen Projekten betroffen sind. Was haben diese für Mittel neben dem Lancieren einer Volksinitiative?

Den unmittelbar lokal Betroffenen stehen rechtliche Instrumente zur Verfügung. Bei Baubewilligungen hat man beispielsweise die Möglichkeit zu rekurrieren. Der Neubau des Hardturmstadions wurde ja auch von lokal Betroffenen per Rekurs zu Fall gebracht, obwohl man schon darüber abgestimmt hat. In diesem Sinne gibt es durchaus rechtsstaatliche Mittel, mit welchen «Mehrbetroffene» ihre Interessen geltend machen können.

Die SVP hat im August die kantonale Volksinitiative «Bei Polizeimeldungen sind die Nationalitäten anzugeben» eingereicht. Sie antwortet damit auf den Umstand, dass die Stadtpolizei Zürich seit November 2017 keine Nationalitäten mehr nennt in ihren Polizeimeldungen. Muss die Stadt Zürich das einfach hinnehmen?

Wenn die Mehrheit der Stimmbürger im Kanton Zürich finden sollte, das Nationalitäten angegeben werden müssen, dann wäre das ein demokratisch legitimierter Entscheid. Die Stadt Zürich hätte diesen zu akzeptieren. Heute haben Gemeinden die Möglichkeit, über die Handhabung dieser Information selbst zu entscheiden, und nun geht es darum, diese Autonomie den Gemeinden wieder wegzunehmen. Dieser Entscheid würde ja nicht nur die Stadt Zürich betreffen, sondern alle anderen Zürcher Gemeinden auch. Die Gemeindeautonomie ist immer Verhandlungssache.

Bräuchte es in dem Falle einen eigenen Kanton «Stadt Zürich»?

Die Stadt Zürich könnte natürlich aus dem Kanton Zürich austreten, aber das ist nicht realistisch, weil die Stadt Zürich auf ganz vielen Ebenen davon profitiert, Teil des Kantons zu sein. Es ist ein Geben und Nehmen. Das wäre, wie wenn sich der Kanton Schwyz überlegen würde, die er an den Finanzausgleich zahlen muss, aus der Schweiz auszutreten. Wenn man Teil ist von einem grösseren Gemeinwesen, muss man akzeptieren, dass man nicht alles selbst bestimmen kann. Wenn die Selbstbestimmung wichtiger ist, muss man austreten.

Eines Ihrer Forschungsschwerpunkte sind «neue Formen der Bürgerbeteiligung». Was für Formen gibt es, wie können sie gerade diesem Problem entgegenwirken?

Wir haben Bürger-Workshops in Gemeinden untersucht, bei welchen jeweils konkrete Fragen besprochen wurden, beispielsweise die Gestaltung des Dorfzentrums. Es treffen sich dann Leute aus dem Quartier zu drei bis vier Workshops und erarbeiten, was sie für ein Dorfzentrum wollen oder nicht wollen. Das Ergebnis wird dann den Behörden mitgeteilt, wo es in den Entscheidungsprozess einfliesst.

Wenn die Gemeinde ein Projekt finanziert, sind alle Steuerzahler davon betroffen.

Politikwissenschaftler Daniel Kübler

Helfen solche Workshops, die Akzeptanz für Projekte in der lokalen Bevölkerung zu steigern?

Ja, es steigert die Akzeptanz tatsächlich, deshalb sind solche Workshops auch sehr begrüssenswert. Wir haben einige Workshops beobachtet und manchmal konnten tatsächlich Anliegen formuliert werden, über die die Projektverantwortlichen nicht nachgedacht hatten. Manchmal sind diese Anliegen nicht mal problematisch und können einfach ins Projekt einfliessen. Und wenn sie problematisch sind, kann man besser abwägen, wer dafür ist und wer dagegen. Bei den Fixerstübli wurde beispielsweise auch die Nachbarschaft befragt. Es kam heraus, dass besonders die herumliegenden Spritzen vor den Fixerstübli als störend angesehen wurden. Dabei konnte klargemacht werden, dass es gerade Ziel der Sache sei, dass innerhalb und nicht vor dem Fixerstübli konsumiert wird. Zudem haben die Verantwortlichen einmal in der Woche die herumliegenden Spritzen in der Nachbarschaft eingesammelt, meist mithilfe der Klienten.

In der Schweiz fusionieren immer mehr Gemeinden. Das macht verwaltungstechnisch Sinn. Aber birgt es nicht die Gefahr, dass immer mehr direktdemokratische Entscheide gefällt werden, in denen ein Grossteil Nicht-Betroffener über eine kleine Minderheit Betroffener entscheidet? Im Sinne einer «Tyrannei der Mehrheit»?

Das sind wir wieder bei der Frage der Betroffenheit: Wenn die Gemeinde ein Projekt finanziert, sind alle Steuerzahler davon betroffen. Das ist auch in den derzeitigen Gemeinden so. Wenn ich in einer Gemeinde wohne und die Gemeinde am einen Ende einen neuen Fussgängerstreifen bauen will, betrifft mich das auch weniger als die Menschen, die dort wohnen. Ich stimme aber trotzdem darüber ab. Es geht doch darum, ob ich mir vorstellen kann, dass die Menschen dort einen Nutzen haben von diesem Fussgängerstreifen. Und wenn ich mir das vorstellen kann, kann ich mir darüber auch eine Meinung bilden und abstimmen.

Titelbild: Adrian Ritter / UZH News

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