Zürichs schärfster Gastrokritiker: «Wer Diät machen will, soll zuhause eine Reiswaffel essen!» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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3. November 2016 um 15:19

Zürichs schärfster Gastrokritiker: «Wer Diät machen will, soll zuhause eine Reiswaffel essen!»

Seit etwa acht Jahren bloggt «The Real Picky Gourmet» als (wohl) einziger unabhängiger und anonymer Gastrokritiker über Zürichs Restaurants. In der Gastroszene ist er eine feste Grösse. Wir sprachen mit ihm über untergejubelte Fertigprodukte, Hygiene und darüber, was er sich in Zürich noch wünschen würde. Und er verrät uns, wo man zurzeit gut essen kann.

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Was stört dich an den Zürcher Restaurants?
Am meisten stört mich, dass mir nicht immer frisch gekochte Gerichte vorgesetzt werden. Das ist ja die Essenz eines Restaurants, denn Ravioli aus dem Cash & Carry kann man auch zuhause essen. Der eine schreibt dann noch frech hausgemacht auf die Karte, während der andere ein handwerkliches Spitzenprodukt auftischt. Letztlich verkaufen aber beide die Ravioli unter demselben Namen, trotz unterschiedlicher Qualitäten. Das stört mich.

Also müssten Restaurants Fertigprodukte deklarieren?
Auf jeden Fall! Das ist für mich auch der Hauptgrund, wieso die Bezeichnung «Restaurant» problematisch ist. Nur Gastrobetriebe, welche alle Gerichte frisch zubereiten, sollten sich Restaurant nennen dürfen. Restaurants, welche mit Fertigprodukten arbeiten, haben einen Vorteil gegenüber den handwerklichen Betrieben. Die Erwartungshaltung des Gastes – hier wird frisch gekocht – wird missbraucht, da der Unterschied für ihn nicht immer erkennbar ist. Manchmal sieht man schon der Speisekarte an, dass sie direkt vom Fertigmenü-Hersteller gedruckt wurde, ebenso offensichtlich ist es bei Fastfoodketten. Da erwartet niemand Tischtücher, Service und selbstgemachte Gerichte. Aber gerade das macht ein Restaurant aus. Deswegen sollte sich beispielsweise McDonald’s gar nicht Restaurant nennen dürfen.

Sondern?
In Italien wird zwischen Ristorante, Trattoria und Osteria unterschieden. Jedes bezeichnet eine unterschiedliche Art der Gastronomie. Fairerweise muss man erwähnen, dass in Italien meistens frisch gekocht wird. Wir sollten ebenfalls klarer unterscheiden, zum Beispiel zwischen Restaurant, Kantine & Imbissbude. Gerade im mittleren Segment fehlt eine klare Trennung, da kann Restaurant alles Mögliche heissen.

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Was könnte Zürich im Vergleich zu anderen Städten noch verbessern?
Es hat zu viel von den Pizza-Pasta-Restaurants, den «irgenöppis Asiatisches»-Beizen und den durchschnittlichen Sandwichauslagen beim Grossverteiler. Freuen tue ich mich über jede Neuentdeckung, welche gutes Essen bietet. Am liebsten hätte ich die Stadt voll von kleinen Lokalen, welche Häppchen von unterschiedlichsten Küchen anbieten. Vergleichbar wie San Sebastian, aber mit einer Auswahl von Azerbaidschan bis Zambia, dazu Michelin-Sterne und faire Preise.

Wieso hat es zu wenig davon?
Die Zürcher Gastronomie ist stark überreguliert. Jeder Gastrobetrieb muss strengen Auflagen genügen, welche mit dem Essen wenig am Hut haben. Unter meinem Büro hat eine neue Bar eröffnet. Das teuerste am Umbau war eine riesige Lüftungsanlage, welche vom Gesetz vorgeschrieben ist, ausser kaltem Durchzug hat der Barbesucher aber nichts davon. Ebenso wenig interessiert ist der Gast an getrennten Toiletten oder Wärmerückgewinnungsanlagen. Letztlich führt die Regulierung zu einem Verlust an Innovation. Die baulichen und organisatorischen Vorschriften erhöhen die benötigten Anfangsinvestitionen und dies wiederum macht es für Gastronomen schwer, innovative Konzepte umzusetzen. Man kann es sich nicht leisten, ein kreatives Konzept zu testen, also machen viele lieber gleich italienisches Essen, das sicher funktioniert. Letztlich wird so das Angebot eingeschränkt und dem Gast entgeht eine kreative, vielfältige Auswahl. Andere Städte machen das besser.

Braucht es nicht zuletzt wegen der Hygiene eine gewisse Regulierung?
Jeder Wirt hat bereits ein grosses Interesse daran, seinen Laden sauber zu halten. Die Gäste bleiben sonst ziemlich schnell aus. Um das Beispiel der Toilette nochmals aufzugreifen: Kleine Lokale etwa kämen auch gut mit einer Toilette zurecht. Zuhause haben wir auch nur eine und das erscheint uns nicht unhygienischer. Viel sinnvoller ist es, die Hygieneberichte zu veröffentlichen, damit man sich ein Bild machen kann. Wenn wir schon staatlich kontrollieren, sollten uns im Sinne von Open Government Data diese Resultate auch zugänglich gemacht werden. Übrigens sind die hippen «Pop-Ups» auch deswegen so beliebt, weil für eine Betriebszeit von unter 30 Tagen deutlich weniger Auflagen gelten. Trotz vielen «Pop-Ups» sind keine grösseren Seuchenausbrüche in der Stadt zu vermelden. Wieso also nicht die Vorschriften anpassen? Es geht doch.

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Absolute Extraklasse mit 2 Michelin-Sternen. Kritik gibt es hier.

Für den durchschnittlichen tsüri.ch-Leser:

Der Schwiizer, Zwinglistrasse 3
Schweizer urban Restaurant. Kocht sehr stark.

Ristorante Italia, Zeughausstrasse 61
Eines der schönsten Gärtchen in Zürich.

Chiang Mai Thai Shop, Zollstrasse 56
Beste Option für Zmittag. Super faire Preise und Top Essen. Trinkgeld geben und schauen, was passiert ;-)

Der Grüne Libanon, Hafnerstrasse 13
Der beste Kebab ist für mich der Shawarma und den gibt es hier.

Wer zwar nicht viel Geld ausgeben will, aber auch nicht zum zehnten mal diese Woche zuhause Pasta mit Tomatensauce essen möchte:

India Street Food, Langstrasse 213
CHF 8 für ein gutes, vegetarisches Curry das so gross ist, dass es für zwei Tage reicht.

Und was würdest du dir in Zürich noch wünschen?
Neben den dutzenden von kulinarischen Wünschen, die mir da in den Sinn kommen, würde ich mir ein Restaurant nur für grosszügige Gäste wünschen. Dort bestellt niemand zuerst eine Tasse lauwarmes Wasser, um sich nachher zwei halbe Vorspeisen zu gönnen. Wirte müssen an einem Abend pro Platz ca. 100 Franken Umsatz machen. Wenn das halbe Lokal mit Körnlipicker gefüllt ist, gerät der Wirt unter finanziellen Druck. Gerade bei den kleineren, vielfach spannenderen Lokalen mit wenig Tischen leidet darunter auch das Erlebnis der Gäste, die normal konsumieren. Wer Diät machen will, soll zuhause eine Reiswaffel essen!

Mehr Gastrokritiken unter www.therealpickygourmet.com

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