Nach Stadtkanzlei-Fehler: Was ist aus den Versprechen zur Basishilfe geworden? - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Alice Britschgi

Praktikantin Redaktion

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1. März 2022 um 05:00

Nach Stadtkanzlei-Fehler: Was ist aus den Versprechen zur Basishilfe geworden?

Weil die Zürcher Stadtkanzlei eine Rekursfrist verpasste, fand das Pilotprojekt «wirtschaftliche Basishilfe», das Menschen in Not finanziell unterstützen sollte, ein jähes Ende. Die SP Stadt Zürich kündigte an, die Basishilfe schnell wieder auf stabile Beine zu stellen. Die Grünen pflichteten bei. Was ist bis jetzt passiert?

(Foto: Silvio Näf / Flickr.com / CC BY-ND 2.0)

Die Stadt Zürich hat die Rekursfrist bei der eigens aufgezogenen Basishilfe für unter anderem Sans-Papiers verschlafen. Die SP kündigte nach dem Bekanntwerden dieses Fehlers an, einen entsprechenden Vorstoss im Parlament einzureichen. Seit den Versprechen der Linken sind über drei Wochen vergangen, der in der Medienmitteilung der SP besagte «nächste Mittwoch» verstrich ohne Vorstoss. Davy Graf, Fraktionspräsident der SP im Gemeinderat, teilt auf Anfrage mit: «Wir sind an der Ausarbeitung eines Vorstosses im Gemeinderat.» Man müsse jedoch einerseits noch ein paar rechtliche Punkte abklären und wolle andererseits auch die bisher gemachte Erfahrung in den gemeinderätlichen Vorschlag einfliessen lassen.

Markus Kunz, Fraktionspräsident der Grünen im Gemeinderat, wird deutlicher: «Jawoll, es gibt konkrete Pläne.» Als Gemeinschaftswerk von SP, AL, den Grünen und vielleicht weiteren Parteien werde ein Vorstoss kommen, der einen Pilotversuch für die Basishilfe einfordert. «Wir kennen jetzt die juristische Argumentation. Nun ist es unsere Aufgabe, die Basishilfe juristisch wasserdicht zu machen», so Kunz. Das Argument des Bezirksrates, dass der Gemeinderat umgangen worden sei, wolle man durch den Vorstoss aus dem Gemeinderat entkräften. Dass es dennoch wieder einen Rekurs geben werde, damit sei zu rechnen, denn das Thema sei für die Bürgerlichen ein rotes Tuch.

«Die Ankündigung, dass sofort etwas passieren werde, ist nicht umsetzbar»

Walter Angst, AL

Wann?

Etwas vager bleibt Kunz beim Zeitplan: «Man muss geschickt vorgehen», sagt er. Wenn eine parlamentarische Initiative vom Gemeinderat unterstützt worden sei, habe die Kommission sechs Monate Zeit, um die Vorlage auszuarbeiten. Man müsse sich daher überlegen, ob man die parlamentarische Initiative noch vor dem Legislaturwechsel im April einreiche oder ob man auf die neue Amtsdauer warte, damit sich dann die neu zusammengesetzte Kommission der Thematik annehmen könne. 

Walter Angst, Gemeinderat der AL, sieht es ähnlich: «Die Ankündigung, dass sofort etwas passieren werde, ist nicht umsetzbar», stellt er klar. Ein Vorstoss werde erst nach den Frühlingsferien vom Gemeinderat behandelt. Eine neue Rechtsgrundlage für Zahlungen könne dann frühestens im Januar 2023 in Kraft treten.

Angesprochen auf den zeitlichen Rahmen, in welchem der Vorstoss ausgearbeitet werden solle, gibt lediglich die SP eine konkrete Antwort. Graf berichtet: «Wir wollen noch diese Legislatur einreichen, also März oder April.» 

Über das strategische Vorgehen bei der Einreichung des Vorstosses scheint man sich also noch nicht ganz einig zu sein.

Inhaltliche Punkte

Neben der zeitlichen Planung seien zwei inhaltliche Punkte wichtig, so Angst. Erstens könne man ein zweites Pilotprojekt nicht mit Corona begründen: «Das wäre nicht glaubwürdig.» Zweitens müsse man sich den beiden Konstellationen, die die wirtschaftliche Basishilfe abdecken wollte, genauer widmen. Zum einen seien das Sexarbeiter:innen sowie Sans-Papiers, die keine Aufenthaltsbewilligung besitzen. Zum anderen Menschen, die eine Aufenthaltsbewilligung haben, diese aber mit dem Bezug von Sozialhilfeleistungen riskieren würden. Zu klären sei, ob ein neues Pilotprojekt beide Konstellationen auffangen könne.

Kurze Geschichte der Basishilfe

Im Mai 2021 stellte Stadtrat Raphael Golta das Pilotprojekt vor. Die wirtschaftliche Basishilfe war in der Pandemie als finanzielle Überbrückungshilfe gedacht. Sie sollte von Armut betroffene Menschen unterstützen, die keine Möglichkeit haben, Sozialhilfe zu beziehen. Dazu gehören beispielsweise Sans-Papiers, Sexarbeiter:innen aber auch Personen, die mit dem Bezug von Sozialhilfe ihre Aufenthaltsbewilligung riskieren.

Im Juni wurde bekannt, dass der Stadtrat zwei Millionen Franken für das Projekt sprach. Die Auszahlung der Hilfsgelder übernahmen die vier Organisationen Caritas, Schweizerisches Rotes Kreuz, Sans-Papier-Anlaufstelle Zürich und Solidara Zürich. Wie das Sozialdepartement der Stadt Zürich Anfang November in einer Zwischenbilanz mitteilte, war das Projekt «erfolgreich gestartet». In der ersten Phase bis Ende Oktober seien 88’776 Franken an Hilfsbedürftige ausbezahlt worden.

Die Basishilfe kam allerdings nicht bei allen gut an. Die FDP reichte beim Bezirksgericht eine Beschwerde gegen das Projekt ein. Am 9. Dezember entschied der Bezirksrat, dass die wirtschaftliche Basishilfe gegen ausländerrechtliche Bestimmungen des Bundes verstosse. Die Finanzierung durch die Stadt wurde dadurch gestoppt.

Jähes Ende durch Fehler

Der Stadtrat reagierte und kündigte am 20. Dezember an, Rekurs gegen den Entscheid des Bezirksrates einzureichen. Fortan wurde das Projekt als Zwischenlösung von der evangelisch-reformierten Kirche finanziert.

Aufgrund eines Versandfehlers wegen eines leeren Büros zu Home-Office-Zeiten, verpasste die Stadtkanzlei jedoch die Rekursfrist und zog den Rekurs in der Folge am 4. Februar zurück. Die Leiterin der Stadtkanzlei Claudia Cuche-Curti liess sich den Fehler auf Anfrage von SRF persönlich anrechnen.

Das Projekt war an einer Schludrigkeit gescheitert.

«Die SP prüft einen parlamentarischen Vorstoss, der nach Möglichkeit bereits nächsten Mittwoch eingereicht werden kann»

SP Stadt Zürich am 4. Februar 2022

Das Versprechen der Linken

Die SP Stadt Zürich reagierte auf den Fehler der Stadtkanzlei noch am selben Tag mit einer Medienmitteilung. Die Partei wolle die Basishilfe «schnell wieder auf stabile Beine stellen». «Die SP prüft einen parlamentarischen Vorstoss, der nach Möglichkeit bereits nächsten Mittwoch eingereicht werden kann und wird übers Wochenende das Gespräch mit ihren Verbündeten suchen», liess die Partei verlauten.

Auch die Grünen Stadt Zürich reagierten mit einer Medienmitteilung: «Wir Grüne wollen uns weiterhin dafür einsetzen, dass eine Basishilfe künftig in Zürich möglich sein wird.»

«Ich bin der Meinung, dass die Unterstützung von Menschen in Not eine staatliche Aufgabe ist und nicht eine private.»

Bea Schwager, Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich

Abwarten

Während die Politiker:innen planen, können die Hilfsorganisationen und die hilfsbedürftigen Menschen nur abwarten. Bis Mitte April seien dank der Beträge der Kirchen noch konkrete Auszahlungen möglich, sagt Bea Schwager, Mediensprecherin der Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich. Die reformierte Kirchgemeinde Zürich stellte 100’000 Franken zur Verfügung, Katholisch Stadt Zürich und die katholische Kirche im Kanton Zürich je 50’000. 

Auf die Frage, ob eine Basishilfe nach der Pandemie überhaupt noch nötig sei, hat Schwager eine klare Antwort: «Sans-Papiers sind hier zum Arbeiten. Eine Überbrückungshilfe für Notsituationen braucht es trotzdem – auch ohne Pandemie.» Zu normalen Zeiten komme es natürlich nicht oft vor, dass Sans-Papiers ihre Stelle verlieren würden. Schwager betont jedoch: «Weil Sans-Papiers keinerlei Garantien und Absicherungen haben und in prekären Situationen leben, kommt es häufig vor, dass sie in unmittelbar existenzbedrohende Situationen kommen.» Und sie fügt an: «Ich bin der Meinung, dass die Unterstützung von Menschen in Not eine staatliche Aufgabe ist und nicht eine private.» 

Was seitens der Politiker:innen genau in Planung ist, weiss die Mediensprecherin der Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich nicht: «Ich nehme an, sie werden auf uns zukommen.»

Nicht alleine im Wartezimmer

Ebenfalls im Wartezimmer befindet sich der Stadtrat. Heike Isselhorst, Kommunikationsleiterin des Sozialdepartements, meint auf Anfrage: «Die Stadt Zürich hat momentan keine Möglichkeit mehr, die betroffenen Menschen finanziell zu unterstützen.» Was in Zukunft passiere, werde sich zeigen.

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