Zürcher Kurzfilm in Cannes: Sommer, Sonne und Sexismus - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Isabel Brun

Redaktorin

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9. Juli 2021 um 06:00

Zürcher Kurzfilm in Cannes: Sommer, Sonne und Sexismus

Ein Kurzfilm über den Zürcher Sommer hat es ans Filmfestival Cannes geschafft. «Über Wasser» ist aber kein Gute-Laune-Film – er irritiert und provoziert. Die Regisseurin Jela Hasler über ihre Heimat, Sexismus und Quoten.

Die Filmemacherin Jela Hasler hat auch schon in Paris gelebt – kommt aber immer wieder gerne nach Zürich zurück. (Foto: Elio Donauer)

Auf der Bäckeranlage ist an diesem Julimorgen noch nicht viel los. Auf der Wiese spielen zwei Hunde, ein Mann döst auf einer Bank, Kies knirscht unter den Füssen einer Spaziergängerin. Die Sonne scheint Jela Hasler ins Gesicht, auf ihrem Käppli prangt in violetter Schrift «Streik!». Sie wirkt erschöpft und entspannt zugleich, beinahe selig. Ihre Freude über die Nomination ihres Films «Über Wasser» hält sie nicht zurück; am Sonntag, dem 11. Juli, wird der Kurzfilm am Filmfestival in Cannes gezeigt. «Eine riesen Ehre», lacht die 35-jährige Regisseurin. Der Film sei aber viel mehr als eine Hommage an den Zürcher Sommer – auch wenn es im ersten Moment anders scheint.

Isabel Brun: Dein neuer Kurzfilm «Über Wasser» spielt in Zürich. Hast du einen Lieblingsort in der Stadt?

Jela Hasler: Nein, nicht wirklich. Es gibt viele schöne Plätze in Zürich. Welcher der schönste ist, hängt davon ab, zu welcher Jahreszeit du mich fragst – und in welcher Stimmung ich bin. Aber: Die Sommer in Zürich sind schon toll. Dass man zwischendurch ins kühle Nass springen kann, bedeutet für mich unglaubliche Lebensqualität.

Welche Rolle spielt das Wasser im Film?

Eine sehr wichtige. Im 12-minütigen Film durchlebt die Protagonistin Eli einen heissen Sommertag. Dabei kocht nicht nur ihre Körpertemperatur, sondern auch ihr Gemüt hoch. Im Wasser versucht sie, diesem Gefühl zu entfliehen, abzutauchen.

Weshalb wird Eli so wütend?

Sie wird den ganzen Tag über mit Sexismus konfrontiert – im Tram, auf der Strasse, am Arbeitsplatz. Oft sind es nur niederschwellige Bemerkungen, Gesten oder Blicke, aber mit jedem Spruch, mit jedem Starren wird Eli wütender. Das führt auch dazu, dass sie alles auf die Waagschale legt und deshalb noch stärker aneckt. Und für ihre Mitmenschen auch ein bisschen anstrengend wird.

Inwiefern?

Eli macht oder sagt im Film Dinge, bei denen man als Aussenstehende:r das Gefühl bekommen könnte, dass sie selbst ihren Teil dazu beiträgt. Sie nervt sich zum Beispiel darüber, dass ihr ein Arbeitskollege die Türe aufhält.

Da könnte man jetzt als aussenstehende Person sagen: «Jetzt tu mal nicht so.»

Genau. Man kann als Zuschauer:in durchaus dazu verlockt werden, so zu denken. Und that’s the point. Das ist doch einer dieser Ausdrücke, den weiblich gelesene Personen zu hören bekommen, wenn sie sich gegen strukturelle Benachteiligung wehren. Dabei geht es nicht um diese eine Situation, sondern um das ganze Konstrukt, das sich im Kleinen manifestiert.

Aber der Film ist nicht autobiografisch, oder doch?

Nein, Eli unterscheidet sich vom Charakter her sehr von mir. Aber gewisse Szenen werden vielen Frauen bekannt vorkommen, im Sinne davon, dass sie vermutlich schon ähnliches erlebt haben. Meine eigenen Erfahrungen oder Geschichten aus meinem Umfeld spielten da natürlich mit rein.

Greifst du in deinen Filmen ausschliesslich Themen auf, die dich persönlich beschäftigen?

Ich denke sogar, dass das die Grundvoraussetzung für meine filmische Arbeit ist. Wenn mich ein Thema beschäftigt, habe ich das Bedürfnis, dieses zu untersuchen und aufzuarbeiten. Das Filmemachen ist für mich eine Art, mich vertieft und neu mit einem Thema auseinanderzusetzen, deshalb bin ich Regisseurin. Aber natürlich muss es über die persönliche Dimension hinaus relevant sein.

Dieses Interesse schien sich bei dir bereits früh abgezeichnet zu haben. Bei «The Meadow» (2015) filmst du neun Minuten lang eine Kuhherde und thematisierst scheinbar ganz nebenbei die Nähe zu einem Kriegsgebiet.

Ja, ich tendiere dazu, das Politische in Dingen zu sehen, auch wenn es vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar ist – und das dann auch so in den Filmen darzustellen. Auch in «Über Wasser» versuche ich den Blick auf vermeintliche Nebensächlichkeiten und Details zu lenken, ihn dafür zu schärfen. Ich wollte auch die Stadt an sich zu einem wichtigen Teil machen, einer Art weiteren Charakter im Film, an dem sich die Hauptfigur aufreibt.

Hat es einen bestimmten Grund, dass der Film in Zürich und nicht sonst wo spielt?

Zum einen drehten wir im vergangenen Sommer – reisen war also sowieso schwierig, ich sass gewissermassen in Zürich fest. Aber ich lebe ja hier, und fühle mich mit dieser Stadt stark verbunden. Für diesen Film habe ich mich auch nochmals mit Zürich auseinandergesetzt, es neu entdeckt, indem ich es zum Schauplatz des Filmes machte. Dieser Sommertag, den Eli durchlebt, könnte aber auch in einer anderen Stadt spielen.

Wie lange habt ihr gedreht?

Insgesamt waren es fünf Drehtage, davon zwei tagsüber, einer von Mittag bis in die Nacht und zwei Nachtdrehs. Solche Drehzeiten sind bei Kurzfilmen relativ üblich.

Ist das der Grund, weshalb du dich dem Kurzfilm verschrieben hast?

Nicht nur. Meine bisherigen Ideen waren Kurzfilmideen. Aber natürlich ist das Drehen auch eine Ressourcenfrage: Ob ich einen Tag länger die Filmausrüstung oder Schauplätze miete oder Gagen zahlen muss, macht einen massiven Unterschied. Beim Kurzfilm kann man einfacher experimentieren. Ausserdem ist es auch ein Handwerk, das gelernt und geübt werden muss. Im Spielfilm hatte ich zuvor wenig Erfahrung, da hätte ich es doch auch etwas gewagt gefunden, direkt zum Langen zu springen.

«Eine Benachteiligung der Frauen ist auch eine Bevorzugung von Männern.»

Jela Hasler, Filmregisseurin

Ein Kurzfilm ist also die Möglichkeit, um etwas auszuprobieren, bevor es ernst gilt?

Nicht nur! Kurzfilme sind in sich eine eigene Form und bieten andere Möglichkeiten, als lange Filme das tun. Sie sind daher nicht einfach nur ein Übungsfeld, um später einen Langfilm zu machen. Aber ja, im ökonomischen Sinne ist es schon weniger Druck. Für einen 90-minütigen Film benötigt man mehr Zeit, mehr Geld, man steckt noch viel mehr Arbeit rein. Gerade Spielfilme sind schnell sehr teuer. Die Erwartungen sind dementsprechend höher. Von aussen als auch gegenüber sich selbst.

Glaubst du, das korreliert mit deinem Geschlecht?

Diese Erwartungen sind ja für alle hoch. Aber Frauen wurden in der Schweizer Filmförderung gegenüber Männern lange benachteiligt, das wurde in einer 2015 publizierten Studie belegt. Es gibt also auch vergleichsweise weniger Vorbilder. Seither wurden gewisse Massnahmen umgesetzt, um diese Benachteiligung aufzuheben; diesen Sommer wird eine Folgeuntersuchung publiziert. Soweit ich weiss, hat sich die Situation bereits verbessert. Aber der Weg ist noch lang.

Könnte die Einführung einer Frauenquote dabei helfen, damit sich die Situation verbessert?

Die Quote allein wird nicht alle Probleme lösen. Aber ja, meiner Meinung nach ist die Einführung einer Quote eine der wenigen Massnahmen, die wirklich eine Wirkung hat.

Aber nervt es dich nicht, wenn dein Film nur für die Quote genommen wird?

Doch sicher, sowas wünscht sich niemand! Aber wenn man schon danach fragt, welche Bevorzugung beziehungsweise Benachteiligung man aufgrund seines Geschlechts erfährt, müsste man sich ja nicht nur bei Frauen fragen, ob sie nun ihres Geschlechts wegen etwas bekommen oder nicht, sondern auch bei Männern. Eine Benachteiligung der Frauen ist ja auch eine Bevorzugung von Männern. So sieht die Sache mit der Quote gleich etwas anders aus.

«Über Wasser» ist aber sicher kein Quoten-Film in Cannes.

Wer weiss. Aber eigentlich ist mir das auch egal. Dass «Über Wasser» am Filmfestival in Cannes laufen wird, macht mich unendlich stolz und bestätigt mich in meiner Arbeit als Regisseurin sehr. Und viel wichtiger: Wenn ein Film vor einem grossen, internationalen Publikum gezeigt wird, erhöht das die Chancen, dass das Thema auch weiterhin diskutiert wird.

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