Zürich testet gratis deine Drogen: Wir haben es ausprobiert - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Conradin Zellweger

Redaktor

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20. Mai 2015 um 10:01

Zürich testet gratis deine Drogen: Wir haben es ausprobiert

Gleich beim Hauptbahnhof bietet die Stadt Zürich gratis Drogentests an. Ein Bericht von dem Ort, wo du deinen Eltern nie begegnen willst.

Stockender Atem,  die Hände zittern als ich die Email schliesse. Die Resultate sind angekommen: Methoxetamin — Langzeitschäden — ungewollte Überdosis — gefährliche Senkung der Atemfrequenz. Es kann zu einer bruchstückhaften Aufspaltung der Umwelt, des Körperempfindens, Tunnel-Visionen, Körper-Geist-Trennung und Nahtoderfahrungen kommen. Das sind Konsumwarnungen vom Drogeninformationszentrum der Stadt Zürich, kurz DIZ. Wenige Tage bevor ich diese Email mit den Testresultaten erhalten habe, gab ich eine Probe im DIZ ab. Eine Messerspitze von dem weissen Pulver haben die Mitarbeiterinnen aus dem Säcklein genommen.

Das Zentrum liegt an der Konradstrasse, wenige Schritte vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt. Ich warte erst vor verschlossener Türe. Hoffentlich kommt hier niemand vorbei, den ich kenne. Im gleichen Gebäude sind weitere Beratungszentren, mit denen ich lieber nicht in Verbindung gebracht werde. Endlich geht jemand aus dem Gebäude und ich kann ins Haus hinein.

konradstrasse Wenige Meter von der Tramstation Sihlquai entfernt liegt das DIZ an der Konradstrasse.

An diesem frühen Dienstagnachmittag warten etwa 25 weitere Personen auf die Drogentests. Bis zur Türöffnung dieser etwas anderen Praxis dauert es noch 20 Minuten. Ich reihe mich im düsteren Treppenhaus hinten ein. Es gelingt mir nicht, die Leute hier als Drogensüchtige abzustempeln. Ich könnte auch in der Schlange vor der Migroskasse stehen. Nur tragen die Leute ihre Ware hier nicht im orangen Körben zur Schau. Ich blicke mich um, und vermeide dabei Augenkontakt so gut es geht. Proleten mit Migrationshintergrund, ein ganz junges Pärchen, dass bei jedem Geräusch aufschreckt. Ein gestandener Typ mit Blazer, der mich an einen Uniprofessor erinnert. Eine Frau mit vernarbtem Gesicht wippt nervös mit dem Fuss und wechselt ständig, ruckartig ihre Position am Treppengeländer.
Wer alleine da ist, schaut auf den Boden oder aufs Handy.
Wer in einer Gruppe da ist, spricht gedämpft miteinander. Nur ganz vorne in der Schlange wird lautstark diskutiert. Man kennt sich und spricht über Leute, die heute gerade nicht hier sind. Sonst komme meist ein Rechtsanwalt, der hier sein «teures Zeugs» teste. «Und was ist heute wohl mit Golden los?» fragt einer. «Der nimmt zuviel Amphi, darum labert er immer so viel» antwortet einer der Gruppe. Aber sein Kollege zweifelt die Kausalität dieser Aussage an: «Ich kenne auch einer, der redet zu viel und der nimmt gar nichts». Die nächsten paar Minuten wartet man schweigend im Treppenhaus.
Es geht los. Die Türe geht auf, wie eine Tierherde drängen sich 30 Leute zur Türe.
«Das ist die neuste Mode, jetzt wollen die gleich mehre Nummern auf einmal» ruft die Mitarbeiterin etwas entnervt. Betteln hilft nichts. Eine Nummer pro Person muss reichen. Auf einem Zettel steht: «Wie ihr anhand der langen Wartezeiten und des vollen Wartezimmers wahrscheinlich bemerkt hab, nehmen die DIZ Nutzungszahlen kontinuierlich zu. Diese Tendenz ist zwar erfreulich, bringt aber uns und unser Labor in logistische Schwierigkeiten. Deshalb haben wir uns entschieden, die Probenzahl auf maximal 30 pro Öffnungstag zu beschränken.»

Das DIZ gehört zu den sozialen Einrichtungen der Stadt Zürich. Durch die Viersäulen Drogenpolitik der Schweiz bekommt das Drogentesten in Zürich eine rechtliche Grundlage. Die dritte Säule trägt zur «Verringerung der negativen Folgen des Drogenkonsums auf die Konsumierenden sowie indirekt auch auf die Gesellschaft bei, indem sie einen individuell und sozial weniger problematischen Drogenkonsum ermöglicht.» Kurz: Es geht beim Drogentesten um Schadensbegrenzung.
Besser die Leute ziehen sich guten Stoff rein als schlechten. Denn reingezogen wird sowieso.
Ich bekomme die Nummer 23. Das gehe mindestens eine Stunde bis ich an die Reihe komme, sagt mir die DIZ Mitarbeiterin. Im Wartezimmer sind zwei Studenten, die die wartenden User für ihre Forschung rekrutieren. Mit dem Fragebogen über Streckmittel und deren Einfluss auf das Konsumverhalten schlage ich fünfzehn Minuten tot.

Weitere fünfzehn Minuten lese ich die Konsumwarnungen im Gang. Hochdosierte oder falsch deklarierte Drogen, die hier getestet wurden, werden beschrieben. Ein Bild der Pille oder des Pulvers ist jeweils mit dabei. Die gefährlichen Pillen sehen alle so harmlos aus, als könnte man sie löffelweise im Süssigkeitenladen kaufen und alle auf einmal schlucken. Bekannte Icons zieren die farbigen Pillen: Vom Herzchen bis zum Chupa Chups: Auf den Pillen sind alle möglichen Formen, Logos eingeprägt. Manche Pillen sind geformt. So zum Beispiel die Handgranate. Die Warnungen wollen so gar nicht zum Aussehen der Pillen passen: Krampfanfälle, irreparable Schäden, neurotoxisch, Todesfälle.

Drogen DIZ Handgranaten, Herzchen, Sternchen, Ups - Die Drogenproduzenten drücken dem Stoff ihr unverwechselbares Signet auf.

Nach zwei Stunden bin ich endlich an der Reihe. Da dies mein erster Drogentest ist, bekomme ich ein Beratungsgespräch von zwei DIZ-Mitarbeiterinnen. Hier wird mein Konsumverhalten erfasst. Welche Drogen ich schon genommen habe und wie oft ich sie konsumiere, wird mit einem Fragebogen anonym erfasst. Ganz unmoralisch und mit Selbstverständlichkeit diskutieren die zwei jungen Mitarbeiterinnen mit mir über die Wirkung und Erfahrung mit der Droge. Sie fragen, wo ich den Stoff her habe und klären über die Wirkung auf. So als wüssten sie aus eigener Erfahrung wie Ketamin einfährt.
Ob hier auch Dealer ihren Stoff testen lassen?
Das ist nicht das Ziel vom DIZ. «Wenn wir merken, dass einer dealt, dann testen wir seine Drogen nicht. Aber die meisten Dealer konsumieren ja auch selber.»

Eine Messerspitze vom weissen Pulver wird in ein zweites Plastiksäcklein gefüllt. Den Rest des Pulvers bekomme ich zurück. Die Testresultate könne ich per Mail oder Telefon über einen Code anfordern. Jetzt gilt es, vier Tage zu warten.

Drogen Test Analysierte Probe: Stoff, der uns als Ketamin verkauft wurde.

Seit 2006 gibt es das DIZ. Damals wurde es vor allem zum Testen von «Designerdrogen» geschaffen, die in den späten 90er Jahren den Drogenmarkt überschwemmten. Es kann aber alles getestet werden, was man irgendwie schnupfen, spritzen, schlucken oder inhalieren kann: 16'000 Drogen befinden sich in der «Designer Drugs» Datenbank welch das DIZ verwendet. 37 Substanzen davon kann das DIZ qualitativ testen, also den Reinheit und damit die Qualität der Droge bestimmen. Dazu gehören die bekannten Drogen wie Heroin, Kokain, Ketamin, LSD, MDMA und DMT.

Nach dem Test verlasse ich das DIZ mit der älteren Frau, die sich etwas zu schnell und ruckartig bewegt. Was sie denn getestet habe, frage ich sie. «Na, Koks». Ein Redeschwall bricht im engen Lift nach unten über mich hinein. Sie habe auch schon wirklich Glück gehabt:  «82 Prozent Kokain enthielt mal eine Probe». Ich nicke anerkennend, denn so wie die Frau daherkommt, kauft sie ihr Kokain nicht am «Züriberg». Und dieses Zeug dass man an der Langstrasse bekommt, sei ja doch meist recht gestreckt — so habe ich es schon öfters gehört.

koks Entwicklung von 2007 bis 2012 des Kokaingehalts in den analysierten Proben vom DIZ.

Als Ergänzung zum DIZ wird auch zehn mal im Jahr mobiles «Drug Checking» angeboten. Diesen Monat war das mobile Labor im X-tra an der «White Party Splash». Testresultate sind dann innert 30 Minuten verfügbar. Also durchaus eine Möglichkeit, den Stoff kurz vor dem Trip zu testen. Das Beratungsgespräch ist auch im Ausgang die Bedingung.

In Sache Drogentests ist Zürich im Europavergleich weit vorne mit dabei. Seit 1995 gibt es diese Testmöglichkeiten hier. Von Anfang an ist die Stadt Zürich dabei involviert. Das mobile Labor der Zürcher Tester wird von der Organisation Eve & Rave als «hochmodern» gerühmt. Nur in Holland konnte man schon vorher gratis und legal Drogen testen. Bereits in den späten 80er-Jahren entstand in Holland ein flächendeckendes Drug-Checking Netz, das Vorbild für weitere Länder war, so auch für die Schweiz.

Vier Tage nach dem Besuch im DIZ bekomme ich die Testresultate per Mail zugeschickt. Das weisse Pulver war kein Ketamin, sondern Methoxetamin. Die Wirkung ist ähnlich, die Dosierung unterschiedlich. Zudem befinden sich zwei unbekannte Substanzen in der Probe — vermutlich Streckmittel. Hoffentlich hatte die ältere Frau mehr Glück mit ihrer Probe.

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