Zürcher Kioske: Warum die Minishops verschwinden - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Alice Britschgi

Praktikantin Redaktion

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28. Juli 2022 um 14:00

Jeder zweite gehört Valora: «Der Tante-Emma-Kiosk stirbt aus»

Die Anzahl an Kiosken in Zürich ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Rund die Hälfte von ihnen sind zudem K-Kioske. Hinzu kommt: Mit den Minishops verschwinden auch die Kiosklehre und der Branchenverband. Das Phänomen «Kiosk» und sein Abhandenkommen im letzten Beitrag der Kioskserie.

Zucker, Zigis, Glücksspiele: « Irgendeinisch fingt ds Glück eim» am Kiosk. (Foto: Alice Britschgi)

Das Leben in Zürich verläuft kurz gesagt so: Als Kind gibt man sein Sackgeld für die «Ein-Franken-Süssigkeitensäckli» am Quartier-Kiosk aus. Als Jugendliche:r kommt vielleicht eine Bravo dazu; irgendwann dann der Versuch, minderjährig Zigis oder Bier zu kaufen. Später tut man das Ganze legal, packt sich vielleicht noch eine Zeitung ein oder im Ausland einen Adapter für das Handyladegerät. Manchmal ist man hässig, dann gönnt man sich zur Aufmunterung am Bahnhofskiosk ein Schoggistängeli; manchmal ist man gut drauf, dann gibt man seinen Freund:innen in einem Kleinladen an der Langstrasse ein Bier aus.

Wenn man das mit dem Feierabendbier öfter macht, dann fällt einem irgendwann auf, dass an dieser Ecke, wo jetzt ein Kosmetikstudio ist, doch mal ein Kiosk war; und da, wo dieser neue Headshop leuchtet, doch erst gerade noch dieser eine Minishop allerlei verkaufte. Der Pinto’s Kiosk, ehemals an der Josefstrasse 107, und der Balachandran Kiosk, bis vor Kurzem noch an der Langstrasse 195, sind nur zwei Beispiele von vielen. Holen wir unser Feierabendbier bald nur noch in Coop To Gos, Migrolinos und K-Kiosken? Sterben die unabhängigen Zürcher Kioske aus?

Wo fängt er an, wo hört er auf

Dafür muss zuerst geklärt werden, was ein Kiosk eigentlich ist. Eine Aufgabe, die sich als nicht ganz einfach herausstellt. Das Wort stammt aus dem Französischen und bedeutet soviel wie Gartenpavillon. Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache definiert den Kiosk als «frei stehendes Häuschen, in dem Zeitungen, Zigaretten, Erfrischungen verkauft werden». Synonyme sind Minimarkt, Späti, Verkaufsstelle, Stand. 

Langstrasse 195: Bis Anfang diesen Jahres fand man zwischen den blauen Balken noch den Balachandran Kiosk. (Foto: Alice Britschgi)

Möglicherweise entfaltet sich in dieser Definition bereits die ganze Tragik rund um den Kiosk. Denn erstens scheint er keine klar abtrennbare Kategorie eines Ladens darzustellen und zweitens ist sein Sortiment mit Zigaretten und Zeitungen wohl nicht mehr so en vogue wie auch schon. 

Die Hälfte gehört Valora

Für die Statistikabteilung der Stadt ist ein Kiosk ein Detailhandel mit Zeitschriften und Zeitungen, der daneben möglicherweise auch Tabakwaren und Süssigkeiten verkauft. Die aktuellsten Zahlen von Statistik Stadt Zürich sind drei Jahre alt. 2019 gab es auf Stadtgrund 140 Kioske, 2012 waren es noch 181. In den letzten zehn Jahren ging die Anzahl an Zürcher Kiosken also um über 20 Prozent zurück. Hinzu kommt: 65 davon sind K-Kioske. Rund die Hälfte der Zürcher Kioske gehören also Valora.

«Das K-Kiosk Format hat nicht ‹zu kämpfen›, sondern erstrahlt in frischerem Glanz denn je.»

Valora auf Anfrage

Der Handelskonzern Valora ist eines der führenden Convenience-Unternehmen. Erst kürzlich wurde bekannt, dass der mexikanische Konzern Fomento Económico Mexicano (Femsa) das Muttenzer Unternehmen womöglich übernehmen wird. Der Valora-Gruppe gehören neben der Marke K-Kiosk auch Brands wie Brezelkönig, Avec, Caffè Spettacolo und Press & Books. Schweizweit führt Valora gemäss NZZ an die 1200 kleinflächige Shops, rund 850 davon sind K-Kioske, wie der Tagi schreibt – darunter auch 262 Standorte in SBB-Bahnhöfen. Läuft es also zumindest für die Kioske des Grossunternehmens gut?

Auf Anfrage heisst es von Valora: «Das K-Kiosk Format hat nicht ‹zu kämpfen›, sondern erstrahlt in frischerem Glanz denn je.» Valora folge Makrotrends wie dem gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Mobilität und dem damit verbundenen Ausser-Haus-Verzehr. Das Unternehmen begegne der «steigenden Nachfrage nach schnellen frischen Mahlzeiten und Snacks» und setze auf eine «Wachstumsstrategie mit Food als Haupttreiber».

Die Unabhängigkeit kleiner Kioske zeigt sich auch in ihrem Sortiment: Man weiss nie, was man entdecken wird. (Foto: Alice Britschgi)

Ende des Schweizer Branchenverbands

Für das Wort Wachstumsstrategie hätte Alfons Spirig wohl nur ein müdes Lächeln übrig. Der Obwaldner führt seit 2004 einen Kiosk in Kerns. Nach 16 Jahren bei der Securitas habe er etwas Neues gebraucht. Freund:innen rieten ihm: «Du musst einen Kiosk aufmachen.» Wie es der Zufall wollte, baute seine Wohngemeinde just da einen Kiosk auf den Postplatz. Spirig bewarb sich und setzte sich durch – auch gegen Grosskonzerne.

«Die Kiosklehre war eine Chance für die vielleicht etwas schwächeren Schüler:innen.»

Kioskbesitzer Alfons Spirig

Nach der Kioskübernahme wurde Spirig in den Vorstand des Schweizer Kioskinhaber-Verbands berufen – damals Kioswiss, 2017 in SKIV umbenannt. Später war er Teil der Geschäftsleitung. In den Hochzeiten des Verbands zählte dieser rund 500 private Kioskbesitzer:innen, doch mit jedem Jahr wurden es weniger. Wieso? Weil alte Besitzer:innen aufgehört hätten und niemand nachfolgte. Oder die Nachfolger:innen neue Konzepte verfolgten und kein Interesse am Verband hatten. Als dieser 2020 schweizweit noch 75 Mitglieder zählte, beschloss der Vorstand die Auflösung.

Letzter Vertrag für eine Kiosklehre

Neben dem Branchenverband verschwindet auch die Kiosklehre. Ende 2021 wurde der letzte Lehrvertrag zur Detailhandelsfachmann/-frau EFZ – Kiosk ausgestellt, wie es von Bildung Detailhandel Schweiz auf Anfrage heisst. Ab diesem Jahr gilt: Wer in den Kiosk will, muss eine Detailhandelslehre ohne Spezifikation absolvieren. Spirig, der in der Branche als Prüfungsexperte tätig ist, bedauert diese Entwicklung. Er meine das nicht despektierlich, aber: «Die Kiosklehre war eine Chance für die vielleicht etwas schwächeren Schüler:innen.»

Weil ein Kunde seinen Laden betritt, muss Spirig das Telefoninterview kurz unterbrechen. Einen Bluterguss habe er, erzählt der Kunde ihm. «Pascal ist dein Name, gell», antwortet dieser, «schau, dass es wieder gut wird, gell.» 

Alle Kund:innen würden irgendetwas mitbringen, man plaudere und am nächsten Tag gehe das Gespräch weiter, sagt Spirig. In einem Grossladen ginge das nicht: «Ein Dorfarzt arbeitet auch anders als eine Ärztin im Spital.» Als Kioskbesitzer:in sei man gleichzeitig auch Psychiater:in: «Du nimmst am Leben der Leute teil, an ihren Sorgen, die am Ende des Monats immer grösser werden.» Es sei nicht immer einfach, aber im Grossen und Ganzen das, was er wollte. 

«Der Tante-Emma-Kiosk stirbt aus»

Noch zehn Jahre will der Obwaldner seinen Kiosk weiterführen. Nicht aber weil das Geschäft lukrativ wäre, sondern weil er seinen Job mag. Nebenbei führt Spirig eine Beratungsfirma, nur so könne er überleben. 

«Vor zwanzig Jahren machte man mit Zeitungen und Heftli 5000 Franken Umsatz im Monat, heute sind es 600 Stutz.»

Kioskbesitzer Alfons Spirig

Für die inhabergeführten Kioske sei es aus verschiedenen Gründen schwierig geworden. Zum einen könne man sich die guten Verkaufsstellen an Bahnhöfen und in Einkaufszentren als Kleinunternehmen nicht leisten. Zum anderen sei die rückgängige Marge für das Verschwinden der unabhängigen Shops verantwortlich. So beispielsweise bei der Presse: «Vor zwanzig Jahren machte man mit Zeitungen und Heftli 5000 Franken Umsatz im Monat, heute sind es 600 Stutz.» Dasselbe gelte für Tabakwaren. Hinzu komme, dass sich Hersteller:innen werbetechnisch kaum für Einzelshops interessieren würden. 

«Es ist der Wandel der Zeit; die Menschen wollen überall und immer einkaufen», sagt Spirig. Valora habe sich da angeschlossen: «Die machen das gut». Inhabergeführte Kioske kämen mit den hohen Preisen und dem Sortiment ohne frische Lebensmittel jedoch nicht mehr weit. Der Obwaldner ist sich sicher: «Der Tante-Emma-Kiosk stirbt aus, den Kiosk am Bahnhof aber wird es immer geben – er heisst dann einfach anders.» 

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