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Von Jenny Bargetzi

Praktikantin Redaktion

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14. Mai 2021 um 06:03

Aktualisiert 24.01.2022

«Aktivismus heisst oft, sich in einem dauerhaften Kampfmodus zu befinden»

Interviews, Aktionen, Vorträge, Medienauftritte, Kommentare; die Liste der Aktivistin Yuvviki Dioh ist lang. Neben ihrer wissenschaftlichen Karriere engagiert sich die 29-Jährige auch im Kollektiv und anderen Gruppierungen gegen verschiedene Formen des Rassismus.

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Die Aktivistin Yuvviki Dioh. (Foto: Elio Donauer)

Aktivismus ist ein Teil der Demokratie. Es braucht ihn, um Aufmerksamkeit zu generieren, auf Missstände hinzuweisen und die Politik voranzutreiben. Wir haben in dieser Serie verschiedene Zürcher Aktivist:innen zu ihrem Engagement befragt.

Aktivismus kann an den Nerven zehren, das weiss auch Yuvviki Dioh (29). Die Doktorandin im Bereich Kommunikationswissenschaften ist Mitglied im Netzwerk Bipoc.woc und engagiert sich auch privat gegen jegliche Formen von Rassismus. In ihren Antworten zeigt sie auf, welcher Moment bei ihr den Anstoss gegeben hat, selbst aktiv zu werden und was bei ihr in der kommenden Zeit auf der Agenda steht.

Tsüri.ch: Wie, wann und weshalb bist du Aktivistin geworden?

Yuvviki Dioh: Ich war 2020 am Solidaritätsmarsch für George Floyd in Zürich mit dabei. Auf dem Bürkliplatz haben verschiedene, von Rassismus betroffene Menschen, sehr starke politische Reden gehalten. Diese Reden haben mich, sowie viele andere, so tief berührt und mir einen Kick gegeben. Danach habe ich mich mit anderen Black Women und Women of Colour getroffen, um eine Aktion für den Frauenstreiktag zu planen. Zusätzlich habe ich mein erstes Interview zu Rassismus zusammen mit Rahel El Maawi im Sonntagsblick geführt. Das hat zusammen mit meinem Werdegang als Kommunikationswissenschaftlerin dazu geführt, dass ich vermehrt für Vorträge, Kommentare, Interviews etc. zum Thema Rassismus eingeladen wurde.

Wo kann man in Aktivist:innenszenen/-gruppen einsteigen? Was empfiehlst du Neulingen und weshalb sollte man sich nicht einschüchtern lassen?

Da gibt es sicher verschiedene Möglichkeiten:

  1. Auf Instagram, Twitter und anderen Sozialen Medien sind einige Gruppierungen sehr aktiv und sichtbar. Je nach Themenfeld kann eine Person sich da ohne Scheu auch per Privatnachricht melden.
  2. Im eigenen Umfeld gibt es vielleicht Menschen, die direkten oder indirekten Kontakt zu sozialen Bewegungen haben. Die können auch ungeniert angefragt werden.
  3. Das Feministische Streikhaus, Kollektiv Vo Da, LinkePOC, Rota Migrant, auch via Exit Racism Now, sind alles Gruppen und Kollektive, die sich auf neue Stimmen freuen.

Als Rassismus-Betroffene kann Aktivismus eine Belastung sein, da man immer wieder mit sehr schwierigen Inhalten konfrontiert ist, selbst wenn man diese abstrahiert betrachtet.

Yuvviki Dioh

Wie engagierst du dich konkret?

Mein Aktivismus basiert vor allem auf der Wissensvermittlung, da ich eigentlich hauptsächlich Kommunikationswissenschaflterin bin. Ich mache Workshops, Vorträge, Medienauftritte, Interviews, Kommentare oder Moderationen wie zum Beispiel für die Enough Aktionstage letzten Sommer. Ich mache aber auch aktivistische Arbeit «hinter der Kulisse»: Ich habe eng mit dem Kollektiv «Vo Da» bezüglich der rassistischen Häusernamen und Wandmalerei im Stadt Zürcher Niederdorf zusammengearbeitet.

Auf was für Hürden bist du dabei schon gestossen?

Die wahrscheinlich offensichtlichste Herausforderung, auf die ich treffe, wenn ich mich zum Beispiel bezüglich Rassismus äussere und exponiere, ist es mit den teils sehr problematischen – und immer wieder offen rassistischen Feedbacks – umzugehen. Da hilft es, ein Netzwerk um sich zu haben, auf das ich mich verlassen und stützen kann, wenn es mal zu viel wird. Ich muss mich auch immer wieder daran erinnern, mir für meine eigene Mental Health auch Pausen zu gönnen: Als Rassismus-Betroffene kann Aktivismus eine Belastung sein, da man immer wieder mit sehr schwierigen Inhalten konfrontiert ist, selbst wenn man diese abstrahiert betrachtet. Da braucht es mal Abstand.

Wie bringst du deine sonstigen Verpflichtungen und dein aktivistisches Engagement unter einen Hut?

Meine Hauptverpflichtung besteht momentan aus meinem Doktorat und der Etablierung meiner wissenschaftlichen Karriere. Ich versuche so gut wie möglich, das, was ich im Rahmen meiner Arbeit lerne, auch für meinen Aktivismus zu verwenden. Ziel wäre, Wissenschaft und Aktivismus thematisch zu verbinden.

Momentan bin ich auch damit beschäftigt, wann ich für eine gewisse Tätigkeit und bei welchen Akteur:innen wieviel Honorar verlange. Denn: Ich kann es mir nicht leisten, einen Grossteil meiner Zeit der unbezahlten Arbeit zu widmen

Trennst du Arbeit und Privates oder verschmilzt das mit der Zeit?

Ich versuche das zu trennen. Möglich ist es aber selten: Oft diskutiere ich Anti-Rassismus, Anti-Sexismus etc. auch mit Menschen aus meinem engen Umfeld. Diese Diskussionen sind oft sehr wertvoll und schön, aber trotzdem gewinne ich so nur wenig Abstand zum Thema oder mache selten mal was ganz anderes.

Privat sind auch einige meiner engsten Freund:innen aktivistisch unterwegs oder engagieren sich anderweitig im Kampf gegen Formen der Oppression. Wir treffen uns alle auch zum Spass, Plaudern, anstossen und wollen einfach eine schöne Zeit miteinander verbringen.

Die andauernde Konfrontation mit Defensiveness und Widerstand zehrt an den Nerven.

Yuvviki Dioh

Wird dir manchmal alles zu viel?

Ja absolut. Die Themen sind schwer und hochkomplex, Lösungen (wie auch immer die aussehen mögen) zu finden, ist ein krasser intellektueller und zeitaufwändiger Kraftakt. An äusserst anstrengenden Diskussionen mit anderen Menschen mangelt es dabei kaum. Auch die andauernde Konfrontation mit Defensiveness und Widerstand zehrt an den Nerven. Aktivismus heisst auch oft, sich in einem dauerhaften Kampfmodus zu befinden. Und innerhalb des kapitalistischen Systems ist Aktivismus meist eine Frage der unbezahlten Arbeit. Diese Arbeit ist wahnsinnig wertvoll und wichtig, aber eine Person kann Gefahr laufen, sich völlig zu überarbeiten.

Weshalb ist es so wichtig, sich aktiv in politische Prozesse einzumischen?

Es geht im Endeffekt um gesamtgesellschaftliche Fragen und Prozesse. Unsere Stimmen müssen in den politischen Prozess mit einfliessen, so wie es im Sinne einer Demokratie vorgesehen ist. Vor allem marginalisierte Stimmen müssen – auch gemäss demokratischem Prinzip – im politischen Prozess gesehen, gehört und als fundamentalen Teil davon verstanden werden, damit auch sie politische Entscheidungen wie Prozesse nachhaltig mitgestalten können. Das heisst für mich nicht, dass alle Politiker:innen werden müssen. Aber der politische Austausch, die Vermittlung von Wissen, Erfahrungen etc., die Vernetzung, das Solidarisieren – alles politische Prozesse miteinbezogen – sind fundamentale Elemente im Kampf gegen Diskriminierung, Ausbeutung, Marginalisierung und Oppression. Das bietet einer Gesellschaft auch die Chance, sich nachhaltig und gerecht weiterzuentwickeln.

Unsere Leserschaft wollte in der Umfrage zum Thema Aktivismus wissen: «Was bringt Aktivismus, wenn schlussendlich sowieso alle bewegenden Entscheidungen über die (langsame) Schweizer Politik laufen?»

Klar: Die Auseinandersetzung mit Akteur:innen der lokalen, kantonalen und nationalen Schweizer Politik braucht einen langen Schnauf. Der Mensch kommt nicht drum rum, viel konstanten Druck zu erzeugen und Backlashes lassen nicht lange auf sich warten.

Aktivismus und soziales Engagement richtet sich nicht nur nach «aussen» sondern auch nach «innen»: Wir bilden Plattformen und Netzwerke mit Menschen, die von einer bestimmten Form von Diskriminierung, Ausbeutung, Marginalisierung und Oppression betroffen und machen uns gegenseitig sichtbar; hören uns gegenseitig an, geben uns gegenseitig eine Stimme. Wir formieren uns so zu politischen Subjekten. Der Wert, der diese Form des Engagements diesbezüglich hat, darf nicht unterschätzt werden. Auf die CH-Politik Frage: Was würde es uns bringen, wenn wir uns nicht (mehr) engagieren und keinen Aktivismus (mehr) betreiben?

Was läuft in der Stadt Zürich so richtig falsch?

Aktuell beschäftigt mich das Verhalten der Zürcher Stadtpolizei. Racial Profiling und weitere rassistische Denk- und Handlungsstrukturen sind ein massives Problem, dem mit systematischen und strukturellen Veränderungen (nachthaltige Anti-Rassismus Trainings, stärkere Prüfung bezüglich Berührungspunkten zu rechts-radikalen Akteur:innen etc.). entgegengetreten werden muss.

Zusätzlich beunruhigen mich die unverhältnismässig gewaltvollen Repressionsstrategien, die in letzter Zeit beobachtet werden konnten.

Hast du einen Verbesserungsvorschlag?

Noch nicht ;-). Viele Gruppen und Akteur:innen in verschiedenen Städten setzen sich bereits seit geraumer Zeit mit diesem Thema auseinander. Ich sag also hier überhaupt nichts Neues. Ich denke, wir müssen die tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem Polizeikorps, dessen Funktion, Rolle und Exekutivmacht ernsthaft und nachhaltig vorantreiben.

Wie hat sich der Aktivismus durch Corona verändert?

Fast alle Vorträge und Meetings finden online statt. Das hilft so weit, dass gewisse Veranstaltungen trotzdem stattfinden können und ich trotzdem wertvolle Diskussionen anregen kann. Bezüglich der Community – auch wenn oft Online-Meetings möglich sind – fehlt aber ganz klar der Face-to-Face-Kontakt. In meiner Erfahrung kommen bei direkten Treffen mehr und schneller Ideen und Überlegungen zu Aktionen zu tage.

Mit welchen Aktionen haben du und deinen Mitstreiter:innen einen sicht- und messbaren Erfolg verzeichnet? Was konntet ihr konkret bewirken?

Die Aktion der rassistischen Häusernamen und der Wandmalerei im Zürcher Niederdorf würde ich als Erfolg verbuchen, wobei es mir wichtig ist, dass wir (also VoDa und ich) uns nicht auf diesem Erfolg ausruhen. Mir ist absolut klar, dass damit struktureller Rassismus nicht bekämpft ist.

Innerhalb weiterer anti-rassistischer Netzwerke, in welchen ich mich bewege, würde ich das Community Building als ersten sehr wichtigen Erfolg bezeichnen. Wir sind in kurzer Zeit zu einem stattlichen Netzwerk von und für BIPOC beziehungsweise WOC gewachsen. So haben sich Freundschaften, Allianzen, Kooperationen etc. hinsichtlich verschiedenster Gebiete entwickelt. Wir sehen uns gegenseitig.

Was hast du für Pläne für die kommenden Monate?

Momentan beschäftige ich mich mit der Frage, wie man Community Building, Solidarisierung und Allianzen weiter ausgestalten kann. Welche Form der Vernetzung ist erwünscht oder wird gebraucht?

Ich würde sehr gerne mehr Medienformate produzieren, die von der Community für die Community gemacht werden. Aber das erst nach der Dissertation.

Serie «Zürcher Aktivist:innen»
Aktivist:innen bewegen mit ihrem Engagement eine Stadt. Für diese Serie haben wir sechs Aktivist:innen getroffen und sie gefragt, wieso sie sich für etwas einsetzen und was es für Schwierigkeiten gibt.

1. Matteo Masserini – Vélorution
2. Anna-Béatrice – Aktivistin.ch
3. Yuvviki Dioh – Netzwerk Bipoc.woc

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