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Von Isabel Brun

Redaktorin

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29. November 2020 um 07:00

Wohnforscherin Elli Mosayebi: «Wohnen ist konservativ»

Zürich baut, aber Zürich forscht kaum – zumindest nicht zum Thema Wohnen. Das will die Architektin Elli Mosayebi ändern. Die Professorin erforscht auf dem Dach des ETH-Gebäudes, wie wir in Zukunft wohnen könnten. Ein Gespräch über die Zürcher Wohnpolitik, veraltete Muster und neue Wege.

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Solche Häuser werden wohl künftig nicht mehr gebaut werden. Foto: Elio Donauer

Wir alle wohnen. Für die meisten Menschen in Zürich bedeutet das eigene Zuhause weit mehr, als einfach ein Dach über dem Kopf zu haben. Es ist ein Raum, in dem gelebt wird. Durch den Wandel gesellschaftlicher Strukturen haben sich auch die Bedürfnisse der Bewohner*innen verändert – und trotzdem werden Wohnungen oft noch immer gleich gebaut, wie Anno dazumal, als das kleinbürgerliche Familienmodell vorherrschend war. Weshalb? Und warum wird so wenig dazu geforscht?

Elli Mosayebi leitet eines der wenigen Projekte in der Schweiz im Bereich der Wohnforschung. Seit Sommer 2019 untersucht die Architekturprofessorin, wie sich Bewohner*innen in einer performativen Kleinwohnung verhalten. Der Prototyp davon – ein sogenanntes Mock-Up – steht auf dem ETH-Campus Gebäude am Hönggerberg, und wurde in der Vergangenheit von den Medien des Öfteren als «Wohnform der Zukunft» betitelt.

Isabel Brun: Wie kam das Forschungsprojekt rund um diese Kleinwohnung zustande?

Elli Mosayebi: Das Wohnen auf kleinem Raum ist noch immer sehr negativ konnotiert; für viele bedeutet es Verzicht. Diese Annahme kommt noch aus dem frühen 20. Jahrhundert, als Kleinwohnungen in erster Linie für sozial schwache Bevölkerungsgruppen geschaffen wurden, damals hiess dies Wohnen für das Existenzminimum. Wir haben uns gefragt, was das architektonische Potential einer Kleinräumigkeit heute sein könnte. Daraufhin entwickelten wir den Grundriss des Mock-ups – die Idee von Performanz spielte dabei eine wichtige Rolle.

Was bedeutet das?

Performanz birgt die Möglichkeit zum Wandel des Raumes. Es ging uns darum, mit einer Veränderung im Raum, beispielsweise mit dem Drehen einer Wand, eines Schranks oder einer Lichtquelle, eine Wohnung zu schaffen, die von den Bewohner*innen aneigenbar ist – je nach Bedürfnis und Stimmung. Performanz heisst auch, die Bewohner*innen können zwar etwas in der Wohnung verändern, sie müssen aber nicht.

Ist das der Unterschied zu einem Tiny House?

Das ist schwierig zu generalisieren. Es gibt sicher Projekte, die vielleicht auch ähnlich funktionieren. Aber grundsätzlich geht es bei Tiny Houses darum, auf möglichst kleinem Raum zu leben, und das war nicht das Ziel unseres Projektes.

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Das Innenleben des Mock-Ups passt sich den Bedürfnissen der Bewohner*innen an. Foto: Michael Stirnemann

Sondern?

Wohnformen werden kaum erforscht. Und dass, obwohl es ein menschliches Grundbedürfnis ist und uns alle gleichermassen betrifft. Das Forschungsprojekt beinhaltet eine Verhaltensstudie, die zeigen soll, wie sich Bewohner*innen in einem Raum bewegen; welche Raumsequenzen werden wie oft von wem genutzt? Es ist doch klar: Wie wir in Zukunft wohnen, hängt damit zusammen, wie wir heute bauen.

Weshalb wird zu Wohnformen kaum geforscht?

Gute Frage. Ich weiss es nicht. Eine mögliche Antwort ist, dass Wohnraum eher als Immobilie betrachtet wird. Wohnen wird hauptsächlich der freien Marktwirtschaft überlassen und Bauherr*innen bauen in erster Linie, um ihr Geld anzulegen. Immobilien sollen möglichst gute Renditen abwerfen. Beim Erstellen von Wohnraum geht es also eher um Wertsicherung als um Forschung und Innovation. Der Quadratmeter und sein Preis sind nach wie vor die wichtigsten Treiber in der Immobilienbranche.

Hinzu kommt, dass der Markt, gerade in den Städten, nach wie vor ausgetrocknet ist. Bauherr*innen sind also nicht darauf angewiesen, etwas Neues auszuprobieren – sie werden ihren Wohnraum sowieso vermieten können. Somit ist auch der Innovationsdruck nicht unbedingt gross.

Und deshalb bauen wir in Zürich noch immer Wohnungen wie vor 50 Jahren?

Es ist schon so, dass sogennannte Familienwohnungen noch immer die Immobilienlandschaft prägen: Das betrifft den Bestand, sowie die Neubauten. Erstaunlich dabei ist, dass heute nur noch ein Drittel aller Haushalte Familienhaushalte darstellen. Wohnen ist also extrem konservativ. Die meisten von uns sind in bürgerlichen Familienwohnungen aufgewachsen und können sich etwas anderes gar nicht vorstellen. Hinzu kommt, dass man sich in solch gängigen Wohnraum-Aufteilungen immer irgendwie einrichten kann. Gutverdienende leben dann vielleicht alleine auf 70 Quadratmetern oder in einer WG bekommt jemand das Eltern- und die andere Person das Kinderschlafzimmer. Das Modell funktioniert irgendwie und wird kaum hinterfragt.

Aber es ist nicht besonders zukunftstauglich.

Wir sollten uns mehr die Frage stellen, welche anderen Wohnformen unsere wechselnden Bedürfnisse besser aufnehmen könnten. Das ist abhängig vom Ort und von den Bedürfnissen der Bewohner*innen. Ich bin nicht grundsätzlich gegen Familienwohnungen, wie ich auch nicht prinzipiell dafür bin, dass man jetzt überall Kleinwohnungen baut. Irgendwo in der Pampa zwischen Baden und Zürich macht eine solche Kleinwohnung wie das Mock-Up absolut keinen Sinn. Der Gedanke hinter dem Konzept war, dass sich der Wohnraum in einer urbanen Umgebung einfügt – wo vielleicht das Quartiercafé eine Alternative zum Wohnzimmer wird.

Wir müssen uns bewusst werden, dass «Wohnen» auch ein Teil eines Marktes ist, der den Spielraum vorgibt.

Elli Mosayebi, Wohnforscherin

Der Platz für Wohnraum ist in Städten sehr begrenzt. Das Mock-Up ist mit 54 Quadratmetern etwas grosszügiger im Grundriss als der Schweizer Durchschnitt. Ist das nicht problematisch?

Nein. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Bewohner*in liegt in der Stadt Zürich bei circa 39 Quadratmetern. Das Mock-Up wurde für ein bis zwei Personen konzipiert, deshalb ist die Wohnfläche etwas grösser. Ausserdem ist nicht der Quadratmeterpreis, sondern der Bodenkonsum die entscheidende Grösse. Damit einher geht die «Zersiedelung» der Landschaft: Damit sind vor allem die Einfamilienhäuser in der Agglomeration gemeint.

Wie innovativ ist die Stadt Zürich?

Im Vergleich zu anderen Schweizer Städten, wie Bern oder Basel, ist Zürich sehr fortschrittlich, was die Neugestaltung von Wohnraum betrifft. Das hat auch mit der hohen Dichte an Wohnbaugenossenschaften zu tun. Diese sind weniger profitgetrieben als private Investor*innen. Genossenschaftsbau ist aber nicht gleichzusetzen mit dem Sozialwohnungsbau, bei welchem es oft nur darum geht, möglichst kostengünstig zu bauen.

Welche Auswirkungen hat das?

Genossenschaften sind zum einen daran interessiert, eine soziale und architektonische Dauerhaftigkeit zu schaffen, weil sie für sich selbst bauen. Das führt auch dazu, dass die Bedürfnisse zukünftiger Bewohner*innen im Vorhinein detaillierter abgeklärt werden. Zum anderen herrscht durch die hohe Anzahl von Wohnbaugenossenschaften in der Stadt eine Art Wettbewerb: Wie kann man es noch besser machen?

Wie kann man es denn noch besser machen?

Noch mehr experimentieren, ausprobieren, Neues wagen. Als Architektin bin ich abhängig von den Wünschen der Bauherr*innen. Wir müssen uns bewusst werden, dass «Wohnen» auch ein Teil eines Marktes ist, der den Spielraum vorgibt. Aus diesem Grund sind auch Forschungsprojekte ausserhalb des Marktes, wie das performative Haus, so wichtig.

Das Projekt läuft noch bis Ende Jahr. Was ist danach geplant?

Ein neues Forschungsprojekt; eine weitere Verhaltensstudie. Dieses Mal zum Thema «Wohnen und Energie». Wir wollen einen Weg finden, wie die vielen leerstehenden Bürogebäude in und um Zürich anders genutzt respektive bewohnt werden können.

Zum Forschungsprojekt «Ein performatives Haus der Zukunft»
40 Prozent aller Haushalte in der Stadt Zürich werden von Einzelpersonen bewohnt. Das Wohnangebot stimmt mit dieser Entwicklung längst nicht mehr überein. Eine Kleinwohnung, die sich den Bedürfnissen der Bewohner*innen anpasst, sich aneignen lässt, das versucht das performative Haus. Seit Sommer 2019 steht der Prototyp davon auf dem ETH-Campus-Gebäude am Hönggerberg. Proband*innen unterschiedlichen Alters lebten für je eine Woche auf den 54 Quadratmetern, während ihre Bewegungen im Raum aufgezeichnet wurden. Ende des Jahres läuft das Projekt aus. Doch schon bald werden performative Kleinwohnungen nicht mehr nur Forschungsgegenstand sein, sondern Realität werden: Anfang 2022 sollen die Mietwohnungen in der Stampfenbachstrasse 131 bezugsbereit sein.

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