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Von Isabel Brun

Redaktorin

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1. Dezember 2020 um 10:00

«Es gibt kein allgemeines Recht darauf, in der Stadt zu wohnen»

Der Zürcher Wohnungsmarkt hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Einer der sich mit der Entwicklung auskennt, ist der Immobilienexperte Rolf Walther. Der ehemalige FDP-Kantonsrat über «schein-subventionierten Wohnraum» und die Wichtigkeit der Natur in Stadtnähe.

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Die Stadt wächst. Der Grünraum in und um Zürich soll aber trotzdem möglichst erhalten bleiben, findet Rolf Walther. Foto: Nadia Reber

Isabel Brun: Wie hat sich das Wohnungsangebot in der Stadt Zürich in den letzten Jahrzehnten verändert?

Rolf Walther: Das Angebot hat sich der Nachfrage angepasst: Es gab eine massive Zunahme von Personen, die zwar in der Stadt arbeiten und wohnen, aber ihren Erstwohnsitz teilweise ausserhalb der Stadt- oder gar Landesgrenzen haben. Die Rede ist von sogenannten Expats. Die Nachfrage nach mehr Wohnraum führt auch zu einer erhöhten Wohnungsnot, da der Boden auf dem gebaut werden kann, in einer Stadt begrenzt ist.

Über den Boden respektive den darauf stehenden Gebäuden wird ja bekanntlich viel spekuliert. Wie schätzen Sie das Immobilienblasen-Risiko ein?

Der Wohnungsmarkt ist grundsätzlich relativ träge und es finden nur sehr wenige Eigentumsübertragungen statt. Dass Immobilien immer teurer werden, ist ein schleichender Prozess und entsteht dadurch, dass Liegenschaften nur einmal von der Eigentümerschaft verkauft werden können und so meist an den Höchstbietenden gehen. Eine Blasenbildung ist denkbar für diejenigen, welche in den letzten Jahren oder erst jetzt Immobilien erwerben. Allerdings setzen sich solche Investor*innen diesem Risiko bewusst aus.

Und was passiert, wenn die Blase platzt?

In der Stadt Zürich wird sehr wenig passieren. Die meisten Liegenschaften sind schon viele Jahre im Besitz von institutionellen Investor*innen: Wohnbaugenossenschaften, Pensionskassen, Immobilienaktiengesellschaften. Diese könnten eine solche Situation relativ lange aushalten, bis es zu einem Verlust kommen würde.

Indem sie den Mietzins erhöhen?

Nein, dank den tiefen Hypothekar Zinssätzen müssten sie das nicht machen. Solange dieser so bleibt, wird sich auch der Wohnungsmarkt nicht massgeblich verändern.

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Früher als Politiker und Bankrat, heute als Berater in der Immobilienbranche; Rolf Walther setzt sich schon seit vielen Jahren mit der Zürcher Baupolitik auseinander. Foto: zVg

Was wäre mit Privatpersonen, deren Gebäude an Wert verlieren würden?

In der Stadt Zürich ist es als Privatperson kaum möglich, ein Eigenheim zu erwerben: Unter ein Prozent aller Stadtzürcher*innen leben in ihrem eigens gekauften Haus und dieses wird kaum verkauft. Die Stadt ist ein Ort, wo möglichst viele Menschen ein Zuhause finden. Es war übrigens schon früher so, dass nur sehr wenige in der Stadt ein Haus besitzt haben. Die meisten wohnten dort, wo sie Platz fanden, oder eben auch ausserhalb, wo sie ein Haus erwerben konnten.

Und dann hat man Wohnbaugenossenschaften gegründet?

In den 1920er-Jahren galten die ersten Wohnbaugenossenschaften als sehr fortschrittlich. Sie trieben mit der Stadt als Landbesitzerin den städtischen Wohnbau voran und sorgten dafür, dass Menschen, die in der Stadt arbeiteten, auch dort wohnen konnten – und das zu günstigen Preisen. Das war und ist noch immer wichtig. Was ich jedoch nicht mehr befürworten kann, ist die übermässige Zahl von schein-subventionierten Wohnungen.

Wie meinen Sie das?

Wohnbaugenossenschaften hatten und haben in der Stadt Zürich die Möglichkeit, Land zu sehr günstigen Konditionen im Baurecht zu übernehmen. Diese Regelung stammt noch aus den 60er-Jahren und wurde seither nicht mehr angepasst. Wenn dann zusätzlich der Hypothekarzins sehr tief ist, entsteht mit der sogenannten und angewandten Kostenmiete eine Subventionierung, die zwar auf dem Papier nicht so genannt wird, aber de facto das ist.

Weshalb stellt das ein Problem dar?

Da Wohnbauten von Genossenschaften, aber auch die Liegenschaften im Eigentum der Stadt Zürich keine Renditen abwerfen dürfen, wird viel Wohnraum mit der Kostenmiete viel zu günstig angeboten. Auch Personen mit einem guten Einkommen profitieren von dieser Praxis, obwohl sie mehr Mietzins bezahlen könnten.

Fast 20 Prozent der Stadtzürcher Bevölkerung wohnt so; auf Kosten derer, die einen marktüblichen Mietzins zahlen. Die Stadt als Landeigentümerin verliert so sehr viel Ertrag an Mietzinsen und Baurechtszinsen, die über die höheren Steuern in der städtischen Rechnung ausgeglichen werden müssten.

Soll sich die Miete am Einkommen orientieren?

Nein, ich finde einfach, dass wer einen marktüblichen Mietzins bezahlen kann, soll dies auch tun. Ansonsten kommt es zu Marktverzerrungen, Bevorzugungen, Ungerechtigkeiten. Es ist wohl ein nachvollziehbarer Wunsch, eine möglichst grosse Stadtwohnung zu nutzen, dies ist aber nur möglich, wenn auch ein entsprechender Mietzins aus dem Erwerbseinkommen finanziert werden kann. Wir erlauben uns derzeit in der Stadt pro Person viel zu grosse Wohneinheiten.

Wir sollten den Boden, der bereits verbaut ist, noch besser ausnutzen.

Rolf Walther, ehemaliger ZKB-Bankrat

Wäre es sinnvoll, dass die Politik mehr in den städtischen Immobilienmarkt eingreift?

Auf keinen Fall. Der Markt reguliert sich von selbst: Mieter*innen bezahlen immer so viel, wie sie zu zahlen vermögen. Ansonsten suchen sie sich eine andere Wohnung – oft liegt diese dann ausserhalb Zürichs. Es gibt schliesslich kein allgemeines Recht darauf, in der Stadt in einer möglichst grossen Wohnung zu wohnen. Eine Stadt ist immer beschränkt in ihrem Angebot von Wohnraum, das gilt es zu akzeptieren.

Und was ist mit der soziokulturellen Durchmischung? Ist das nicht wichtig für eine diverse Stadt?

Doch natürlich; die Wohnpolitik der Stadt sieht vor, dass 10 Prozent aller Wohnungen subventioniert sind. Dadurch können auch sozial schwache Bevölkerungsgruppen in Zürich wohnen. Ausserdem gibt es durchaus auch viele private Vermieter*innen, die günstig Wohnraum anbieten – dafür sorgt unter anderem die Mietzins-Gesetzgebung.

Der Geschäftsführer des Mieter*innenverbands, Niggi Scherr, sprach gegenüber Tsüri.ch von einer Intransparenz auf dem Wohnungsmarkt. Was sagen Sie dazu?

Dieser Aussage muss ich widersprechen: Durch die heutige Gesetzgebung ist der Immobilienmarkt viel transparenter geworden. Auf Webseiten können Mieter*innen sowie Eigentümer*innen Preise über Mieten und den Kauf von Eigentum vergleichen; so kann man sehr einfach herausfinden, wie viel Mietzins angemessen ist. Der Liegenschaftsmarkt ist nur in einem Punkt intransparent, nämlich wenn es darum geht, welche Transaktionen stattfinden.

Weshalb ist das so und ist das nicht problematisch?

Datenschutz gilt nicht nur für persönliche Daten, sondern auch für Wertangaben zum persönlichen Eigentum. Dazu zählen Mietzinszahlungen ebenso wie das Grundeigentum. Dieser Fakt sollte auch respektiert werden. Problematisch ist dies nicht, weil ja im Zweifelsfall die Mietzins-Gesetzgebung massgebend ist und damit die notwendige Klärung verlangt werden kann.

Schauen wir noch einmal in die Zukunft: Was wünschen Sie sich für die Stadt Zürich?

Die Natur, die es in der Stadt und in Stadtnähe noch gibt, soll unbedingt erhalten bleiben. Und damit meine ich nicht, dass auf dem Boden neu gestaltete Gärten oder Grünanlagen entstehen: Der Raum soll grösstenteils der Natur überlassen werden. Wald und Wiesen sind für die Stadtbevölkerung wichtig, um sich erholen zu können.

Wo soll stattdessen gebaut werden?

Dort, wo bereits gebaut wurde. Gleis- und Autobahnüberbauungen werden in Zürich noch viel zu wenig umgesetzt. Die Europaallee war ein Anfang, aber da könnte man definitiv noch mehr machen. Wir sollten den Boden, der bereits verbaut ist, noch besser ausnutzen.

Fokusmonat «Wohnen» 2020
Dieser Artikel ist im Rahmen unseres Fokusmonats «Wohnen» entstanden. Neben dem hier veröffentlichten Bericht, sammeln wir mit einem Crowdfunding momentan Geld, um herauszufinden wem Zürich gehört. Zudem organisieren wir auch dieses Mal eine Pitch-Night, Podien und machen mit einer Stadtforscherin einen Spaziergang durch die Weststrasse.

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