24. September 2019 um 04:00
Woher kommt das Gleichgewichtsprinzip in der Volkswirtschaftslehre?
An der Universität Zürich findet eine Vorlesungsreihe zu alternativen Wirtschaftsmodellen statt. Die Organisator*innen vom Verein Plurale Ökonomik präsentieren hier die besprochenen Themen. Hier folgt der erste von dreizehn Teilen.
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Text: Joël Bühler
Die Philosophin Suzann-Viola Renninger und der Ökonom Ulrich Woitek haben in der ersten Vorlesung gezeigt, woher die Methodik der Wirtschaftswissenschaften kommt. Dafür müssen wir uns erst dem ersten wichtigen Buch der modernen Wissenschaft widmen, der «Philosophiae Naturalis Principia Mathematica». Der Naturphilosoph (oder, wie wir heute sagen würden: Physiker) Isaac Newton analysiert darin die Bewegung der Himmelskörper. Doch wie geht er vor?
Newtons Wissenschaft ist von einem unerschütterlichen Gottesglauben getrieben. Woitek und Renninger argumentieren, dass
- dieser Gottesglaube oder Religion entscheidend für die Methodik von Newton ist,
- diese Methodik und der Gottesglaube von der Physik auch in der «Moralphilosophie» (später Ökonomik) von Adam Smith gefunden werden,
- die Ökonomik aber zusätzlich ethische Überlegungen braucht, weil sie im Vergleich zur Physik nicht nur verstehen, sondern über die Wirtschaftspolitik auch Ziele erreichbar machen soll.
Für seine Methodik verwendet Newton immer wieder die Vorstellung einer Uhr: Verschiedene Zahnräder greifen ineinander und führen zum Funktionieren der Uhr. Wer die Uhr verstehen will, muss die verschiedenen Zahnräder analysieren, um das Gesamtsystem zu verstehen. Newton tut genau das: Er zerlegt das Planetensystem in die einzelnen Planeten und beschreibt, wie sich diese auf eine einzige Kraft zurückführen lassen, nämlich die Anziehungskraft der Körper. Sein unerschütterlicher Glaube an einen einzigen Gott ist entscheidend, von einer einzigen solchen Kraft auszugehen.
Das methodische Vorgehen ist wie folgt:
- Zerlegung des Systems in Komponenten
- Beobachtung der Beziehung zwischen den Komponenten
- Verallgemeinerung der Beziehungen auf einzelne Gesetze oder Prinzipien
- Erklärung oder Vorhersagen des Systemverhaltens anhand dieser Prinzipien
Dieses Vorgehen wird später von Adam Smith, dem «Vater der Ökonomik», übernommen. In seinem weniger bekannten Buch, der «Theory of Moral Sentiments» (TMS), legt Smith dies dar. Durch das Beobachten Erkenntnis gewinnen, was moralisch akzeptiert ist; diese Erkenntnisse durch Induktion in Regeln verallgemeinern. Smith stellt auch fest, dass Altruismus und Mitleid grundlegende Eigenschaften der Menschen sind.
Der Mensch wurde durch die Natur so geformt, dass er bestmöglich in die Gesellschaft passe...
TMS, aber auch Smiths anderes Werk «Wealth of Nations» basieren massgeblich auf der Uhrmacher-Analogie: Weil Menschen zwar grundsätzlich ihrem Eigeninteresse folgen, dies aber nur im Rahmen bestimmter Regeln oder Grenzen tun könnten, habe ihr Verhalten unbeabsichtigte Konsequenzen. Wie die Zahnräder in einem Uhrwerk sieht es ganz so aus, als wollten diese Menschen einzeln die Gesellschaft zum funktionieren bringen. Dass die Gesellschaft funktioniert, hat aber mit der unsichtbaren Hand zu tun - Adam Smith hat damit ein göttliches Gleichgewichtsprinzip für die Ökonomik aufgestellt.
In der nächsten Vorlesung werden wir uns damit auseinandersetzen, wie die Neoklassik auf diesem Gleichgewichtsprinzip aufbaut und was das für die Ökonomik bedeutet.
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