Winterrede von Philomena Schwab: «Nur 22 Prozent der Spiel-Entwickler sind weiblich» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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17. Januar 2020 um 09:10

Winterrede von Philomena Schwab: «Nur 22 Prozent der Spiel-Entwickler sind weiblich»

Wenn um 18 Uhr die Grossmünsterglocken verklungen sind, richtet sich jeden Abend eine Persönlichkeit aus dem Erkerfenster «Karl der Grosse» ans Publikum auf dem Grossmünsterplatz. Für 20 Minuten lauschen wir der Rede und wärmen uns danach bei Glühwein und Suppe im Restaurant auf. Hast du die Rede verpasst? Hier kannst du sie nachlesen!

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Bild: Fabio Meier

  1. Hier gehts zum weiteren Programm

Rede: Philomena Schwab

Ich bin Philomena Schwab, eine Game Designerin aus Zürich und ich darf euch heute ein Fenster in die Welt der Games und Spielentwicklung öffnen!

Es scheint mir, als ob Videospiele und traditionelle Brett- und Kartenspiele oft als zwei völlig unterschiedliche Welten wahrgenommen werden. Aber eigentlich haben sie sehr vieles gemeinsam! Nehmen wir zum Beispiel das Spiel Niche. Niche ist ein Videospiel, das ich während meinem Game Design Studium an der Zürcher Hochschule der Künste entwickelt habe. «Was! Das chamer studiere?!», höre ich oft als Reaktion. Das ist tatsächlich möglich. Der Bachelor Studiengang Game Design besteht seit nun fast 15 Jahren.

Als ich also im Studium begann an Niche zu arbeiten, habe ich das Spiel zuallererst als Brettspiel umgesetzt. Ich habe aus Papier und Karton alles zusammen gebastelt und es Leute spielen lassen. Erst als ich mit dieser analogen Version zufrieden war, habe ich begonnen das Spiel ins digitale zu übersetzen. Diese Technik wird von Spiel-Entwicklern oft verwendet, sie nennt sich «Papier Prototyping». Brettspiel Design ist ausserdem eines der ersten Fächer mit denen man sich im Studium auseinandersetzt.

Wenn ich meinen Beruf erwähne, werde ich oft erstaunt angesehen. Game Entwickler sind doch männlich, kommen nie aus ihrem Kellerzimmer und ernähren sich ausschliesslich von Pizza und Chips! Dieser Stereotyp scheint sich wacker zu halten. Es stimmt allerdings, dass die Game Industrie männlich dominiert ist. Nur 22% der Spiel-Entwickler sind weiblich. Dies könnte man auf den Fakt zurückführen, dass bis vor einigen Jahren männliche Teenager die Hauptzielgruppe für Games darstellten. Doch mit der Verbreitung des Smartphones wurde das Zeitalter der Mobile-Games eingeläutet. Heute braucht man nicht mehr unbedingt einen Computer oder eine Konsole um Videospiele zu konsumieren. Das Angebot von Mobile-Games ist gewaltig und stellt mittlerweile die bei weitem umsatzstärkste Sparte der Game-Industrie dar. Wenn wir gerade von Umsatz sprechen, wusstet ihr, dass die Videospiel Industrie im Jahr 2019 weltweit mehr Geld einbrachte als die Filmindustrie? Sowohl das finanzielle Wachstum als auch der jährliche technische Fortschritt der Game-Branche sind gewaltig. Seit der Entwicklung des ersten Games «Pong» vor etwa 60 Jahre hat sich viel getan!

Mit dem Aufkommen der Mobile-Games fand sich eine neue Zielgruppe: Frauen verschiedenster Altersklassen. Spiele wie Candy Crush verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Dank diesem grossen Zuwachs von weiblichen Spielern, sind nun ca 45% der Spieler Frauen! Ich bin daher zuversichtlich, dass es auch im Bereich der Spielentwicklung eine Zunahme an Entwicklerinnen geben wird. Trotzdem hatten wir dieses Jahr am Zukunftstag in unserem Game-Studio 6 Buben zu Besuch und kein Mädchen. Dies scheint ein allgemeines Problem von IT Berufen zu sein. Ich glaube hier ist es wichtig an die Eltern zu appellieren: Bitte schaut, dass eure Kinder sich ganz frei für Dinge interessieren dürfen und bestärkt sie darin. Bringt sie auf Ideen auch einmal Dinge auszuprobieren, von denen sie von der Gesellschaft nicht unbedingt ermuntert werden. Im Bereich Game Design gibt es zum Beispiel die ZHdK Summer School oder die Swiss Game Academy.

Ich selbst wäre nie auf die Idee gekommen, Game-Entwicklerin zu werden, obwohl ich ab dem Zeitpunkt, als ich mit 9 Jahren meinen Gameboy mit dem Spiel Pokémon geschenkt bekommen habe, in eine absolut begeisterte Game-Designerin verwandelt wurde. Ich habe sie alle gesammelt. Jedes einzelne Pokémon!

Als Kind interessierte ich mich fürs Zeichnen und ich schrieb gerne Geschichten. Erst als ein Freund von mir seine Informatikerlehre begann, kam ich mit dem Thema Programmierung in Berührung. Ich durfte mir seine Schulbücher ausleihen und bald programmierte ich begeistert Ampeln, Billettautomaten und was auch immer die Aufgaben sonst noch vorgaben. Es war bei Weitem nicht so schwer, wie ich mir das vorgestellt hatte. Es fühlte sich an, als würde ich eine neue Sprache lernen. Eine Sprache, die es mir ermöglicht, mit dem Computer zu kommunizieren. Ich war begeistert.

Durch eine andere Freundin erfuhr ich von der Existenz des Game-Design-Studiums. Was mich bis heute erschüttert, ist die Tatsache, dass während meiner gesamten Schulzeit NIEMAND jemals auf die Idee gekommen ist, mich über die Existenz der Kunsthochschule zu informieren. Zugegeben, ich war keine besonders gute Schülerin. Meine Hausaufgaben erledigte ich immer nur dürftig und wendete mich dann meinen Hobbies zu, zeichnete Comics, schrieb Geschichten und frönte meiner Faszination für Tiere. Dementsprechend wurde ich in die Real (Sek B) eingeteilt, wo sich dieser Trend fortsetzte. Erst als es dann um die Berufswahl ging, erkannte ich das Problem. Als ich den Lehrern und Berufsberatern mitteilte, dass ich gerne einen gestalterischen Beruf, am besten mit Zeichnen, ergreifen möchte, wurden mir meine Optionen dargelegt: Coiffeuse oder Floristin. Das schockierte mich. Ich habe grossen Respekt vor diesen Berufen, aber sie schienen nicht viel mit dem zu tun zu haben, was ich gerne machen wollte. Ich vertraute der Meinung der Erwachsenen und ging in den empfohlenen Berufen schnuppern. Leider bewahrheiteten sich meine Befürchtungen.

Etwa zeitgleich lernte ich besagte Freundin kennen, die den Traum hatte an der Kunsthochschule zu studieren. Sie erklärte mir alles und nahm mich sogar mit an den Infotag. Ich lauschte der Präsentation über Game-Design und für mich war sofort klar: Hier gehöre ich hin!

Ich frage mich wirklich wieso kein Berufsberater je auf die Idee gekommen ist, mich über diese Möglichkeit zu informieren und ich erst im Alter von 15 Jahren von dieser Option erfahren habe. Im Nachhinein vermute ich, dass einer Real-Schülerin schlicht nicht zugetraut wurde, dass eine solche Option für sie relevant sein könnte. Immerhin braucht man dafür eine Matura...

Liebe Eltern, Lehrer und Berufsberater: Bitte steckt Kinder nicht anhand ihrer Schulnoten in eine Schublade! Glaubt an sie und zeigt ihnen Wege auf!

Da ich nun ein Ziel vor Augen hatte, begann ich mir Mühe in der Schule zu geben, machte meinen Master Abschluss in Game Design und gründete gemeinsam mit meinem Geschäftspartner ein eigenes Game Studio, welches mittlerweile 10 Mitarbeiter beschäftigt.

Seit ein paar Jahren kommt es immer wieder vor, dass ich von Eltern angesprochen werde. Das hört sich zwar oberflächlich meist ruhig und höflich an, doch man spürt oft klar den Unterton: «Oh mein Gott mis Chind wot Games Entwickler werde!»

Ich habe erfreuliche Neuigkeiten! Wir (hier meine ich die Swiss Game Developers Association) haben vor kurzem eine Studie durchgeführt: Im Vergleich zum Jahr 2008 haben wir heute fast 500% mehr Game-Studios in der Schweiz. Laut Studie gibt es heute schweizweit ca 600 Arbeitsplätze im Bereich Game-Entwicklung und es werden jährlich mehr. Zürich ist der Hotspot, gefolgt von Lausanne und Genf.

Leider scheinen sowohl der Staat als auch die Kantone das gewaltige Potenzial der Game Industrie zu verschlafen. In der Schweiz wird Game Entwicklung weder wirtschaftlich noch kulturell auch nur ansatzweise ausreichend gefördert. Nordeuropäische Länder wie etwa Finnland und Schweden sind uns hier Jahre voraus. Sie haben das Potenzial erkannt und entsprechend gefördert. Heute gehören sie zu den globalen Hotspots der Game Industrie und haben ihre Investitionen längst X-fach wieder einspielen können. Ich hoffe stark, dass die Schweiz bald aufwacht und ebenso beginnt diese junge, vielversprechende Branche zu fördern.

Das erfolgreichste Schweizer Game wird übrigens in Zürich entwickelt: Der Farming Simulator! Ein Spiel in dem man in die Rolle eines Landwirts schlüpft und einen eigenen Bauernhof-Betrieb aufbaut. Man fährt mit dem Traktor rum, kauft neue Ausrüstung und kümmert sich um sein Vieh. Ich fand es sehr amüsant zu hören, dass das Spiel ausgesprochen gern von Bauern gespielt wird. Der Farming Simulator ist ein absoluter Topseller und steht immer wieder an oberster Stelle der Verkaufscharts.

Dies ist nur ein Beispiel für Schweizer Game-Entwicklung. Hierzulande werden alle möglichen digitalen Werke erschaffen: So etwa «Fishery», ein Fisch Aquarium Simulation-Spiel, «Kids», ein Game, das sich mit der Rolle des Individuums in der Gruppe auseinandersetzt oder «Sphery», eine Spiel-Installation, die in Fitness-Centern eingesetzt werden soll.

Games gibt es in allen Formen und Farben. Wie auch bei Filmen und Büchern werden sie in verschiedenste Kategorien und Genres eingeteilt. Am bekanntesten sind die sogenannten «Entertainment Games», also Unterhaltungs-Spiele. Super Mario ist ein solches Entertainment Game. Es dient rein dem Vergnügen. Super Mario wird dem Genre «Jump & Run» also «Spring und Renn» Spiel zugeordnet. Tetris ist ebenfalls ein Entertainment Game und gehört zum «Puzzle»Genre.

Allerdings gibt es auch Games, die einen anderen Zweck erfüllen, als den der puren Unterhaltung. Sogenannte «Art Games», also Kunst-Spiele, werden als kulturelles Medium genutzt. So wirft etwa das oben erwähnte Kids Fragen zum Thema Gesellschaft auf. Ein anderes Schweizer Beispiel wäre «Far: Lone Sails» in welchem der Spieler eine einsame, emotionale Reise bestreitet. Ein internationales Beispiel ist «Papers please» also «Papiere bitte», in dem man in die Rolle eines Zollbeamten schlüpft und entscheidet wer einreisen darf und wer draussen bleiben muss.

Eine andere Sparte von Spielen bilden die «Serious Games», also Spiele mit einem ernsten Hintergrund. Spiele dieser Art werden beispielsweise oft in einem medizinischen Kontext verwendet. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist «Gabarello», ein Forschungsprojekt der ZHdK, welches an den Lokomat angeschlossen werden kann. Der Lokomat ist eine Maschine, welcher Menschen, darunter oft Kindern, nach einem Hirnschlag beibringt wieder zu laufen. Sie verbringen Stunden in dieser Maschine, die ihre Beine für sie bewegt. Im Game Gabarello kann eine Figur durch verschiedene Levels gesteuert werden. Die Figur bewegt sich abhängig davon, wann die Kinder ihre Beine anstrengen. So macht das ganze Prozedere auf jeden Fall mehr Spass. Serious Games gibt es in verschiedensten Bereichen. Es wird etwa an Spielen geforscht, die Alzheimer vorbeugen sollen.

In einem verwandten Bereich bewegen sich sogenannte «Educational Games», also edukative Spiele. Diese können etwa im Schulumfeld eingesetzt werden, um Sachverhalte besser verständlich zu machen. Hier kommt eine Stärke des Medium Games zum Vorschein: Man kann selbst in die Rolle des Protagonisten schlüpfen.

Wie macht man eigentlich so ein Game? Nun, das kommt ganz auf die Art der Spiele, dem Fokus des Game-Studios und dessen Grösse an. Je grösser das Studio, desto spezialisierter werden die Rollen der einzelnen Personen. So gibt es bei EA, das Team, das die FIFA Fussball-Games entwickelt, eine Person, die sich ausschliesslich darum kümmert, dass das Gras im Game möglichst realistisch aussieht. Dies steht in einem starken Kontrast zu kleinen Entwickler-Teams, die oft nur aus zwei bis drei Leuten bestehen. Es gibt tatsächlich auch viele Leute, die ein Game von A - Z alleine umsetzen. In unserem Team gibt es eine Aufteilung in: Grafiker, Programmierer, Sound Designer, Marketing und Game Designer. Die meisten dieser Bezeichnungen ähneln denen anderer Branchen. Ausser die des Game Designer. Ein Game Designer kümmert sich um die Motivations-Mechaniken im Spiel und sorgt dafür, dass es dem Spieler nicht schon nach fünf Minuten langweilig wird.

Unser Studio entwickelt hauptsächlich Entertainment Games für den PC.

Allerdings haben unsere Games durchaus einen edukativen Wert. Unser Game Niche setzt sich zum Beispiel stark mit den Themen Genetik und Evolution auseinander. Unsere Spieler, zu denen etwa auch Katzen- und Pferdezüchter zählen, haben uns sehr geholfen, wissenschaftlich möglichst akkurat zu bleiben. Wir haben uns vor Kurzem entschlossen, das Spiel für Schulen gratis anzubieten. Solltet ihr also einen Biologie- oder Naturkunde Lehrer kennen, könnt ihr ihn oder sie gerne an uns verweisen!

Will man ein grosses Spielprojekt mit mehreren Stunden Spielzeit entwickeln, ist das ein gewaltiger Aufwand. Unser Team braucht jeweils zwei bis drei Jahre vom Projektstart bis zur Fertigstellung eines Spiels. Und dessen Entwicklung kostet uns knapp eine Million Franken. Hier ähneln sich Game-Entwicklung und Filmproduktion.

Kleine, einfache Spiele wie etwa Flappy Bird oder Pong kann heute jeder entwickeln!

Ich bin überzeugt, dass jede heute hier anwesende Person nach 1-2 Tagen Übung das Spiel Pong selbst programmieren könnte. Dank moderner Programme muss man für die Umsetzung kleiner, simpler Games nicht einmal mehr programmieren können! Mit ihrer Hilfe können Logikblöcke aneinandergereiht und Grafiken eingefügt werden, ohne das auch nur eine Zeile Programmcode notwendig ist. Ich habe schon einige Kurse mit 10-jährigen Schülern durchgeführt und alle haben es geschafft, ihr eigenes, kleines Game zu kreieren.

Ich hoffe ich konnte euch allen ein Fenster in die Welt der Games und Game-Entwicklung öffnen! Falls ihr Lust habt, euch noch weiter mit diesen Themen zu beschäftigen, empfehle ich euch die aktuell geöffnete «Geschichte der Videospiele»Ausstellung im Landesmuseum und das «Ludicious - Zurich Game Festival» im Juni zu besuchen! Und falls ihr jetzt richtig Lust habt mal selbst ein Game zu entwickeln: Vom 31.1 - 2.2 findet in der roten Fabrik der «Global Game Jam» statt. Das ist ein Event bei dem weltweit zur selben Zeit Games zu einem gemeinsamen Thema entwickelt werden. Jeder und jede ist willkommen und darf probieren etwas zu Erschaffen. Denn es gibt doch nichts Schöneres auf der Welt, als unsere Fantasie Realität werden zu lassen.

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