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Von Michael Schallschmidt

Praktikant Redaktion

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1. Dezember 2021 um 05:00

Wieso der Kanton ein Mehrfamilienhaus im Kreis 6 auf dem freien Markt verkauft

Der Kanton verkauft ein Mehrfamilienhaus im Kreis 6 an den Höchstbietenden. Die Stadt hätte ein Vorkaufsrecht. Trotz des akuten Wohnungsmangels und den Bemühungen der Stadt, mehr gemeinnützigen Wohnraum zu schaffen, besteht der Kanton jedoch auf den Marktpreis.

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Das Mehrfamilienhaus an der Stampfenbachstrasse 106 steht zum Verkauf. (Bild: Michael Schallschmidt)

Das Mehrfamilienhaus an der Stampfenstrasse 106 hat seit seinem Bau im Jahr 1887 schon bessere Zeiten gesehen. Die vom Wetter und Abgasen verfärbte Fassade weist Abnutzungsspuren auf und die Fenster stammen noch aus den 1980er-Jahren. Im Erdgeschoss befand sich früher ein Ladenlokal, doch die Fenster sind mit Zeitungen überklebt. Was das Gebäude jedoch attraktiv macht ist die Lage mitten im Kreis 6.

Wie in den meisten zentralen Stadtteilen ist Wohnraum hier so knapp wie er teuer ist. Eine Einzimmerwohnung für weniger als 1200 Franken zu erhalten, ist kaum möglich, wie der Blick in die Immobilienportale verrät. Für eine Vierzimmerwohnung zahlen Mieter:innen schnell mal 4000 Franken.

Liegenschaft als Bürogebäude genutzt

Die insgesamt 27 Zimmer im Mehrfamilienhaus sind momentan jedoch leer. Eigentümerin der Immobilie ist der Kanton Zürich. «Weil die Liegenschaft für staatliche Zwecke nicht mehr benötigt wird, hat der Regierungsrat beschlossen, sie zu verkaufen», sagt Thomas Maag, stellvertretender Kommunikationsleiter der Baudirektion auf Anfrage. Der Kanton nutzte das Haus bis anhin als Bürogebäude, wie aus der öffentlich zugänglichen Verkaufsdokumentation hervorgeht.

Darin ist auch vermerkt, dass das Gebäude einen Wohnanteil von mindestens 40 Prozent aufweisen muss. Dies entspreche der Vierzimmerwohnung im zweiten Stock und der Sechszimmerwohnung im dritten Stock. Auch das Dachgeschoss würde sich als Wohnung eignen, verfügt es doch neben vier Zimmern über eine Küche, Bad und Balkon.

Der Höchstbietende gewinnt

Obwohl der Kanton in der offiziellen Verkaufsdokumentation von «keiner Mindestkaufpreisvorstellung» spricht, bestehen dennoch Erwartungen an den:die Käufer:in: «Der Kanton hat eine Preisvorstellung von fünf bis sechs Millionen Franken», sagt Maag. Dieser Betrag liegt deutlich über dem deklarierten Versicherungswert von rund 2,1 Millionen Franken. Vermögenswerte würde der Kanton zum Verkaufswert an Dritte veräussern, erklärt Maag.

Grössere Grundstücke würden in der Regel mittels öffentlicher Ausschreibung und Zuschlag an den Meistbietenden erfolgen, laute die Strategie zur Verkaufspraxis. Damit überlässt der Kanton das Mehrfamilienhaus dem freien Markt, der in der Stadt ohnehin von grossen Immobiliengesellschaften und Pensionskassen beherrscht wird (wir berichteten).

Der Kanton verfügt über keinen politischen Auftrag und keine gesetzliche Grundlage, um seine Liegenschaften unter dem Marktwert zu veräussern.

Thomas Maag, Baudirektion Kanton Zürich

Die Stadt geht leer aus

Dies wirft die Frage auf, wieso der Kanton die Liegenschaft nicht an die Stadt verkauft. Insbesondere wenn man bedenkt, dass der Anteil an gemeinnützigen Wohnungen in der Stadt bis 2050 einem Drittel aller Mietwohnungen entsprechen soll. Die stimmberechtigte Bevölkerung nahm im Jahr 2011 eine entsprechende Vorlage an. Deshalb plant die Stadt unter anderem, Bauland und Häuser zu kaufen.

Währenddessen hätten die grossen Immobiliengesellschaften ihre Position auf dem städtischen Wohnungsmarkt jedoch immer weiter ausgebaut, wie Stadtrat Daniel Leupi feststellt. «Das ist eine extreme Verschiebung in so kurzer Zeit, weg von kleinen Eigentümern, hin zu grossen Gesellschaften», sagte der Vorsteher des Finanzdepartements während eines Interviews mit dem Tages-Anzeiger. Die Stadt habe beim Kauf von Immobilien auch mit extremen Preisen zu kämpfen, erklärte Leupi gegenüber der Zeitung: «Meistens werden wir deutlich überboten.»

Kanton beharrt auf Marktpreis

Für das Mehrfamilienhaus im Kreis 6 hätte die Stadt ein Vorkaufsrecht, wie das Finanzdepartement auf Anfrage erklärt: «Der Kanton schreibt bei jeder Veräusserung eines Gebäudes auf städtischem Boden Liegenschaften Stadt Zürich an und klärt, ob Interesse an der Liegenschaft besteht.» Die Stadt habe das zum Verkauf stehende Haus geprüft und sich entschieden, das Gebäude nicht zu kaufen. Unter anderem aufgrund der hohen Kosten, die für die Instandsetzung des Gebäudes und eine Umnutzung zu Wohneinheiten angefallen wären.

Dass die Stadt Gelegenheit hatte, Gebäude zu kaufen, bestätigt auch Maag. Allerdings habe der Kanton das Haus auch der Stadt zum Marktpreis angeboten und hält damit an seinen Preiserwartungen fest, wie sich auf Anfrage herausstellt: «Der Kanton verfügt über keinen politischen Auftrag und keine gesetzliche Grundlage, um seine Liegenschaften unter dem Marktwert zu veräussern.»

Der Kanton sei gesetzlich dazu verpflichtet, alle Städte und Gemeinden gleich zu behandeln, begründet Maag: «Bei überwiegendem öffentlichen Interesse kann der Kanton einen niedrigeren Wert festlegen.»

In einem solchen Fall handle es sich jedoch um einen Einnahmeverzicht, der als Ausgabe zu behandeln sei und politisch legitimiert sein müsse. Zudem müsse der Kanton Faktoren, wie die Wirtschaftsfreiheit, die Rechtsgleichheit und das Willkürverbot beachten.

Eine Gemeinde sei nur dann zum Erwerb einer kantonalen Liegenschaft privilegiert, sofern damit öffentliche Aufgaben erfüllt würden, heisst in einem Beschluss des Regierungsrates vom 6. Juli 2016. In diesem Fall würde der Kanton auch auf eine öffentliche Ausschreibung verzichten. Diese Bedingungen seien beim Mehrfamilienhaus an der Stampfenbachstrasse 106 nicht gegeben, sagt Maag: «Rein strategisch motivierte Landkäufe der Gemeinden, ohne konkrete und aktuelle Verwendungsabsichten, erfüllen diese Voraussetzung grundsätzlich nicht.»

Der Kanton Zürich hat den Auftrag, die Liegenschaften auf dem offenen Markt zu verkaufen, während die Stadt Zürich vom Volk zur Förderung von günstigem Wohnraum verpflichtet ist. Dass diese beiden staatlichen Ebenen von unterschiedlichen politischen Mehrheiten regiert werden, zeigt sich exemplarisch an diesem Spannungsfeld.

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