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Von Steffen Kolberg

Redaktor

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22. November 2021 um 13:45

Aktualisiert 18.01.2022

Wie sieht der Alltag einer Durchschnittszürcher:in in einer Netto-Null-Welt aus?

Netto-Null heisst das politische Ziel, wenn es um unsere CO2-Emissionen geht. Doch was würde das für den Alltag eines:einer Durchschnittszürcher:in bedeuten? Auf viele entscheidende Faktoren wie unsere Wohnverhältnisse und die Produktionsbedingungen von Waren haben wir keinen direkten Einfluss. Auf andere Faktoren aber durchaus.

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In einer Netto-Null-Stadt bewegen sich die Menschen im Optimallfall zu Fuss oder mit dem Velo fort (Bild: Flickr Etienne Girardet CC BY-SA 2.0)

Knapp 7,5 Tonnen. So hoch ist mein persönlicher CO2-Fussabdruck laut dem Carbon Footprint Rechner des WWF. Damit emittiere ich im Jahr nur wenig mehr als die Durchschnittserdenbürger:in mit 7,4 und etwas mehr als die Hälfte einer Durchschnittszürcher:in mit 13 Tonnen.

Ich kann mir denken, woran das liegt: Ich wohne in einer kleinen Wohnung, fahre viel Velo, fliege selten, esse kaum Fleisch. Und doch sagt mir der Footprint-Rechner: «Würde die gesamte Weltbevölkerung so leben wie Sie, bräuchten wir 1,72 Planeten».

Die Emissionen müssen also weiter runter. Das sieht auch die Politik so. Die Stadt Zürich hat sich das Ziel Netto-Null gesetzt, und egal, ob es 2030 oder 2040 erreicht wird, es bedeutet: Ab diesem Zeitpunkt emittiert die durchschnittliche Zürcher:in unter dem Strich keine einzige Tonne an Treibhausgasen mehr. Doch wie sähe unser Alltag aus, wenn wir Netto-Null Treibhausgase emittieren würden?

Wenig Wohnfläche, effizienter Energieverbrauch

In einem Netto-Null-Szenario würde eine Durchschnittszürcher:in idealerweise weniger Wohnfläche als jetzt in Anspruch nehmen. Der WWF schreibt, dass eine durchschnittliche Wohnung für zwei Personen in der Schweiz 90 Quadratmeter gross ist, also 45 Quadratmeter pro Person. «Je mehr Personen sich einen Haushalt teilen», heisst es, «desto geringer wird in der Regel der Energieverbrauch pro Person.» Denn die Geräte im Haushalt werden dann meist von mehreren Personen genutzt, die Heizenergie reicht für mehr Bewohner:innen. Idealerweise würde die durchschnittliche Zürcher:in also in einer WG wohnen.

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Cyril Brunner, Klimaforscher an der ETH. Bild: Elio Donauer

Wobei auch das nicht zwingend sein muss, wie Cyril Brunner, Forscher am Institute for Atmospheric and Climate Science an der ETH, erklärt: «Dazu gibt es unterschiedliche Ansätze. Manche meinen, man muss nur möglichst effizient beim Energieverbrauch sein, dann ist die Wohnfläche sekundär. Und grundsätzlich ist da noch die Frage, wie viel Wohnfläche wir überhaupt zur Verfügung haben und wie verdichtet wir bauen dürfen.»

Podium: Netto-Null vs. Konsumgesellschaft
Bei Fragen rund um Konsum wird gerne mit dem Finger gezeigt. Wer liegt in der Verantwortung? Sind es die Konsument:innen, die mit ihrem Konsumverhalten die Nachfrage steuern oder sind es die Unternehmen, die das Angebot festlegen? Im Kulturpark diskutieren wir mit Vertreter:innen von Wirtschaft, Politik und Klimastreik darüber, wie und ob Netto-Null in einer Konsumgesellschaft funktionieren kann. Beim anschliessenden Apéro besteht die Gelegenheit das Thema bei einem Glas Wein weiter zu vertiefen.
Mi, 24.11.2021, 19 Uhr
Kulturpark, Pfingstweidstrasse 16, 8005 Zürich
Infos & Anmeldung

Wichtig sei vor allem, dass man möglichst emissionsfreie Heizsysteme habe. Fernwärme und Wärmepumpen mit Erdsonden würden hier die entscheidende Rolle spielen. Das Thema Heizen und Wohnen sei einer der zentralen Punkte, um Netto-Null zu erreichen, meint auch Christoph Meili, der beim WWF für den Carbon Footprint Rechner verantwortlich ist: «Jedes schlecht gebaute Gebäude, jede Öl- und Gasheizung ist eine fatale Fehlinvestition. Freiwillige Umstellungen sind super, reichen hier aber nicht. Das ist etwas, das durch strukturelle Veränderung, durch politische Gesetzgebung passieren muss.»

Die grösste Unsicherheit ist unser Verhalten, nicht irgendwelche Technologien.

Cyril Brunner, ETH

Lieber zu Fuss oder mit dem Velo

Die durch das Heizen entstehenden Treibhausgase zählen zu den direkten Emissionen, auf die die Stadt bei ihrem Netto-Null-Ziel einen konkreten Einfluss hat, weil sie auf Stadtgebiet entstehen. Zu ihnen zählt auch der innerstädtische Verkehr. Als netto-null-emittierende Zürcher:in wäre man hier zu Fuss oder mit dem Velo auf der sicheren Seite, wobei beim öffentlichen Verkehr vor allem die indirekten Emissionen bei der Herstellung von Bauteilen, Gleisen und der Stromproduktion ins Gewicht fallen, wie Meili erläutert.

Klar sei aber auch: «Zug und Tram, elektrisch betriebene Busse und Reisecars haben Platz in einer Netto-Null-Welt.» Bei Autos gelte: Besser gar kein Auto als Elektromobilität. Denn hier spielten nicht nur die Emissionen bei der Stromgewinnung und den Bauteilen eine Rolle, sondern auch die effiziente Nutzung von Rohstoffen und der Platz in der Stadt.

Ein Thai-Curry schmeckt auch gut, wenn es ohne Fleisch ist.

Cyril Brunner, ETH

Die direkten Emissionen machen 3,1 Tonnen der aktuellen jährlichen Gesamtemissionen einer Durchschnittszürcher:in aus. Der Rest, also 9,9 Tonnen, besteht aus indirekten Emissionen. Das sind solche, die ausserhalb des Stadtgebiets entstehen, aber «durch Stadtzürcher Aktivitäten ausgelöst» werden, wie die Stadt Zürich schreibt.

Das wären zum Beispiel Ernährung, Textilien und sonstiger Konsum oder der Flugverkehr. «Bei den indirekten Emissionen kann die Stadtverwaltung nur begrenzt Einfluss nehmen», so die Stadt: «Dafür zählt dein Beitrag umso mehr.»

Der Flugverkehr ist auch für Christoph Meili zentral beim Thema Netto-Null. Zürcher:innen fliegen verhältnismässig viel, und für null CO2-Emissionen müssten sie diese Tätigkeit beim aktuellen Stand der Technik wohl komplett einstellen: «Bei Flugreisen gibt es noch keine technische Alternative», erklärt er.

Gehe man aber vom zukünftigen Stand der Technik aus, sei Fliegen kein grosses Problem, meint wiederum Cyril Brunner von der ETH: «Wir wissen inzwischen, wie wir synthetische Treibstoffe herstellen können. Aus technologischer Sicht wäre es bis 2040 möglich, ausschliesslich mit solchen zu fliegen.»

Das lasse sich übrigens auf die meisten technologischen Verfahren übertragen: «Wir wissen, welchen Weg wir gehen müssen. Die grösste Unsicherheit ist unser Verhalten, nicht irgendwelche Technologien.»

Fleisch-Ersatzprodukte haben nicht die beste Klimabilanz

Unser Verhalten, das betrifft neben der Mobilität vor allem unseren Konsum. Den grössten Einfluss habe hier die Ernährung, so Meili: «Für das Erreichen der Klimaziele bräuchte es weltweit eine mehrheitlich pflanzenbasierte Ernährung.»

Müsste man dafür auf Fleisch verzichten? Nicht unbedingt, erklärt er. 150 Gramm pro Woche wären für die Durchschnittszürcher:in möglich. Momentan verzehrt eine durchschnittliche Schweizer:in ein Kilogramm, Vielesser:innen sogar zwei bis drei Kilo pro Woche. Cyril Brunner erinnert daran, wie die Grosseltern in den 80er-Jahren Fleisch konsumiert haben: Einmal in der Woche als Sonntagsbraten.

Fleisch-Ersatzprodukte wiederum, die auf pflanzlichen Proteinen basieren, hätten eine bessere Klimabilanz als das Fleisch, das sie ersetzen sollen. Ein pflanzenbasiertes Burger Patty verursache zum Beispiel vier bis 14 mal weniger Treibhausgasemissionen als Patties aus Rindfleisch.

Trotzdem sei die Klimabilanz manchmal schlechter als bei Pouletfleisch. Es komme beim veganen Ersatz darauf an, was von den verwendeten Produkten verwendet werde, erläutert Christoph Meili: «Für Seitan zum Beispiel wird Weizenmehl ausgewaschen, bis nur noch das Gluten übrigbleibt, der Rest kommt weg. Würde man diesen Rest auch weiterverwenden, wäre die Klimabilanz nochmals deutlich besser.»

Unsere Ernährung müsste häufiger pflanzliche Lebensmittel wie zum Beispiel Pilze, Nüsse, Getreidearten und Hülsenfrüchte ins Zentrum stellen, so Meili. Brunner erklärt, auf Fleisch oder Milchprodukte könne man überall dort gut verzichten, wo sie als Zutaten nicht die Hauptrolle spielten: «Zum Beispiel ist es mir egal, ob in einem Kuchen Margarine statt Butter ist. Und ein Thai-Curry schmeckt auch gut, wenn es ohne Fleisch ist.»

Es wäre interessant, sich Kleidung und anderen Konsum, aber auch das Heizen nicht mehr als Ressourcenverbrauch anzusehen, sondern als Dienstleistung.

Christoph Meili, WWF

Natürlich sind auch Obst und Gemüse Teil einer klimaneutralen Ernährung. Dabei werde hierzulande die Regionalität viel zu sehr gehyped, meint Meili, die Saisonalität sei eigentlich viel wichtiger. Denn wenn die Transportmittel klimafreundlich gewählt seien, spielten die Lieferwege keine grosse Rolle.

Fossil beheizte Gewächshäuser, in denen in der Schweiz ausserhalb der Saison Tomaten und Erdbeeren wachsen, seien da wesentlich problematischer. Klar ist ihm zufolge aber auch: Die Landwirtschaft wird immer Treibhausgase ausstossen. Und besonders emissionsstarke landwirtschaftliche Tätigkeiten wie die Rinderzucht oder der Reisanbau, bei dem viel Methan freigesetzt wird, seien für den Erhalt ökologischer Nischen sinnvoll – wenn auch in deutlich geringerem Ausmass als heute.

Kreislaufwirtschaft und Kaskadennutzung

Die Plastikverpackung ist sowohl für Brunner als auch für Meili nicht das grosse Problem in der Klimabilanz. «Die Aluminiumfolie ist zigmal schlimmer», meint Brunner. Die Kunststoffherstellung aus biologischen Produkten statt Beiprodukten der Ölindustrie sei inzwischen schon weit fortgeschritten. Sie eigneten sich auch für die sogenannte Kaskadennutzung, also die mehrfache Wiederverwendung für verschiedene Anwendungen.

Als Biomasse könnten sie für Biogas verwendet werden, oder aber im sogenannten Pyrolyse-Verfahren in eine Art Holzkohle umgewandelt werden: «So könnten sie als Bodenverbesserer ausgebracht werden, der langfristig das enthaltene CO2 bindet.» Genauso müsste sich eine Kaskadennutzung bei anderen Formen von Biomasse wie zum Beispiel Holz durchsetzen: «Zum Beispiel, indem man es erst als Möbel benutzt, dann als Dämmungsmaterial, später dann zur energetischen Nutzung verbrennt oder eben pyrolysiert.»

Dieses Prinzip einer möglichst durchgängigen Kreislaufwirtschaft sollte ganz generell unseren Konsum bestimmen, meint Christoph Meili. Ausserdem müsste deutlich weniger und langlebiger konsumiert werden. Bei Textilien bedeute das zum Beispiel den Kauf von Farbtönen und Schnitten, die zeitlos seien: «Wir hatten beim WWF dazu mal eine Kampagne: ‹Nur noch Lieblingsteile kaufen.› Also Kleider, von denen man überzeugt ist, dass man sie auch wirklich gerne trägt, und an denen man mehrere Jahre Freude hat.» Dazu komme auch noch die Reparierbarkeit, bei Textilien genauso wie Haushaltsgegenständen.

Doch wie müsste sich dafür die konkrete Beziehung zwischen Käufer:innen und Verkäufer:innen ändern? «Es wäre generell interessant, sich Kleidung und anderen Konsum, aber auch das Heizen nicht mehr als Ressourcenverbrauch anzusehen, sondern als Dienstleistung», findet Meili: «Wenn zum Beispiel der Kleiderverkäufer den Dienst ‹Kleidung› als Abo anbietet und nicht mehr die Produkte ‹Hemd› oder ‹Hose›.»

Wir müssen unsere politischen Rechte – wie das zur Abstimmung – wahrnehmen, um die gewünschte Strukturveränderung herbeizuführen.

Christoph Meili, WWF

Damit hätte er auch ein Interesse, langlebige Produkte zu entwickeln und anzubieten, die nochmals wiederverkauft werden können oder länger bei dem:der Konsument:in bleiben.» Genauso könnte statt einem Heizsystem der Dienst «Wärme» in einem Abo-System angeboten werden, bei der der:die Anbieter:in ein Interesse daran habe, es möglichst effizient zu gestalten.

Aber kommen wir wirklich auf Null?

Halten wir also fest: In einem Netto-Null-Zürich würde die Durchschnittsbewohner:in idealerweise in einer kleinen Wohnung oder WG wohnen. Sie würde sich am besten ein Hafermüesli mit Hafermilch zum Frühstück machen, oder ein Brot mit veganem Aufstrich statt Käse. Ein Schuss Kuhmilch im Kaffee wäre durchaus drin, würde aber im besten Falle durch Hafermilch ersetzt. Sie würde zu Fuss zur Arbeit gehen oder das Velo benützen.

Wäre die Arbeitsstelle weiter weg, würde sie mit Tram oder Zug unterwegs sein. Sie würde für das Mittagessen auf Fleisch und Reis eher verzichten, stattdessen lieber eine Pasta aus Kichererbsen oder eine Linsensuppe kochen. Haushaltsgeräte, Elektronik und auch Kleidung würde sie sehr selten kaufen, auf langlebige Produkte achten und sie eher zur Reparatur bringen, statt in einer Shoppingtour nach einem Ersatz zu suchen – vielleicht hätte sie sogar ein Kleider- und Haushaltswaren-Abo. In den Ferien wäre sie eher mit dem Zug unterwegs, würde am besten gar nicht fliegen. Und zum Abendessen gäbe es an einem Sonntag mal einen Braten aus Fleisch, an Werktagen eher einen Gemüseeintopf.

Das klingt doch gar nicht so weit entfernt von dem 7,5-Tonnen-Lebensstil, den ich führe. Doch wie kommt man noch weiter runter? Stellt man den Carbon Footprint-Rechner auf das klimafreundlichste Verhalten – vegane Ernährung, keine Flug- oder Autoreisen, das ökologischste Heizsystem – bleiben am Ende trotzdem 3,3 Tonnen CO2-Ausstoss im Jahr übrig.

Das seien die strukturellen Emissionen, an denen wir alle einen Anteil hätten, so Meili: «Da sind viele staatliche Emissionen dabei, zum Beispiel das Militär, die medizinische Versorgung, die Verwaltung.» Um in den Sektoren etwas zu bewegen, die wir nicht so stark durch unser Konsum- und Mobilitätsverhalten verändern könnten, auch beim Heizen und Wohnen oder bei den Rahmenbedingungen für die Produktion, sei insbesondere die politische Aktivität entscheidend: «Da müssen wir unsere politischen Rechte – wie das zur Abstimmung – wahrnehmen, um die gewünschte Strukturveränderung herbeizuführen.»

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