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Von Dominik Wolfinger

Redaktor

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12. September 2016 um 08:25

Wie ein Seminar im Zoo meine Spinnenangst beseitigte



Diesen Sommer verliess ich meine Wahlheimatstadt Zürich, um zwei Monate in einer verlassenen Schokoladenfabrik im Bleniotal (Tessin) zu leben. Gezwungenermassen wurde ich durch die neue, ländlich anmutende Behausung mit einer alten Phobie konfrontiert – der Arachnophobie, der Angst vor Spinnen. Als mir ein Freund vom Seminar «Angst vor Spinnen?» im Zoo Zürich erzählte, meldete ich mich unverzüglich an.

Beklemmende Stille herrscht. Zehn Teilnehmende, mich inbegriffen, warten vor dem Eingang des Zoo Zürich darauf, abgeholt zu werden. Für gewöhnlich bin ich an einem Samstagmorgen um acht Uhr nicht wach und für gewöhnlich bin ich nicht so nervös vor einem Seminar. Doch die Tatsache, mich gleich meiner Angst zu stellen, erzeugt einen unruhigen Bauch und schwitzende Hände. Ich spielte meine «Angst» vor Spinnen stets herunter – mehr eine Art Ekel als eine Angst sei es; ein Ekel, der sich in Träumen manifestiert und mich einen Raum verlassen lässt, sobald eine scheussige Spinne sich darin befindet. Aber in welcher Form sich Phobien zeigen, sie grenzen das Leben ein – und wenn ich etwas von Aimee Mann gelernt habe dann: «Oh, for the sake of momentum, I've allowed my fears to get larger than life.»

Ich blicke auf die Uhr, dann in die angespannten Gesichter der Gruppe. Dabei frage ich mich, woher unsere kollektive Angst vor Spinnen rührt. So scheue ich, als Hobby-Insektenkundler mit einer stattlichen Sammlung, in keinster Weise den Kontakt mit Maden, Käfern oder Wanzen (kleine Anmerkung: Spinnen sind keine Insekten). Womöglich ist es eine kulturelle Prägung. In Westafrika existiert eine Gottheit in Spinnen-Form, in unserer Kultur trägt sie hingegen die Assoziation mit böse und gefährlich – ein Ungeheuer. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass ich den Horror-Film Arachnophobia zu früh gesehen habe.

Als ich begann, einige Fragen in mein Notizbuch zu kritzeln, höre ich die begrüssenden Worte der zwei Betreuer, die uns auffordern, mitzukommen.

Zoologe und Kurator des Zoo Zürichs, Dr. Samuel Furrer, und Psychologe André Angstmann (nach eigenen humoristischen Angaben wurde er des Namens wegen für das Seminar eingestellt), führen seit 16 Jahren regelmässig Angst-Seminare durch. «Bisher haben wir eine hundertprozentige Erfolgsquote» erzählt Angstmann, während wir mit skeptischen Blicken im Halbkreis sitzen – Namensschilder zu unseren Füssen. Die Türe bleibt offen, falls die Flucht ergriffen werden muss. Taschentücher auf dem Boden, denn aufkeimende Panik bringt oft Tränen mit sich.

Nach einer Vorstellungsrunde und dem Teilen der persönlichen Erfahrungen widmen wir uns dem Spinnenlotto. Mit dem Beantworten einiger Fragen («Wussten Sie, dass die Spinne bei Biene Maja Thekla heisst?»), nähern wir uns auf behutsame Weise unseren achtbeinigen Feinden. «Manche Menschen bekommen bereits Angst, wenn sie das Wort Spinne lesen», erklärt Angstmann und legt die Buchstaben auf den Boden. Auch sollen wir auf den Gebrauch von Adjektiven achten. «Wir könnten von faszinierenden Spinnen, anstatt von ekligen Spinnen sprechen, auch das formt unsere Sicht.» Von Wörtern zu Bildern. Wir werden angehalten, uns eine Spinne vorzustellen und zwar so, dass sie uns keine Angst macht. Bei mir eine Comic-Spinne, die mich an Disneys Silly Symphonies The Spider and The Fly erinnert – nur mit etwas menschlicheren Gesichtszügen und gekonnt am Voguen. «Humor ist ein gutes Zeichen», sagt Angstmann. Die kollektive Anspannung, die zu Beginn des Seminars die Gruppe fesselte, ist deutlich zurückgegangen.

Furrer zeigt mit einem Projektor ein Bild einer Seidenspinne. Mein Körper zuckt zusammen und ich knirsche etwas mit den Zähnen. Ein Blick in die Runde verrät, dass meine Mitstreiterinnen und Mitstreiter ebenfalls Mühe mit dem Anblick der «faszinierenden» Kreatur haben. «Wichtig ist, dass ihr versteht, dass das nur ein Bild ist. Es besteht keine Gefahr», erklärt Furrer. Bevor wir in die Pause entlassen werden, lernen wir endlich Sophie (eine Mexikanische Rotknie-Vogelspinne) kennen.

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Während Sophie im Terrarium ruht, erschaudern wir alle, wie bisher noch nie im Seminar. Wenn wir möchten, dürfen wir Sophie auch von Nahem betrachten. Mit kleinen Schritten rücken wir näher. Den Blick fixiert auf Sophie. Jemand fragt, ob sie uns auch wirklich nichts antun kann. «Sie kann nicht raus. Und springen kann sie auch nicht. Es besteht absolut keine Gefahr», antwortet Furrer.

«Oft haben Menschen mit Phobien enorm grosse Phantasie!», so Angstmann, «Dann geht das Kopfkino los und die Angst wird verstärkt.» Ich nicke leicht – kurz vorher habe ich mir vorgestellt, wie Sophie aus ihrem gläsernen Käfig springt, mich attackiert und Eier in mein Gehirn legt, sodass hunderte kleiner Vogelspinnen in meinem Kopf schlüpfen. Und obwohl eine sanfte Stimme dieses Szenario als eher unwahrscheinlich bezeichnete, die Angst und die Gedanken kreisen weiter.

Nach der Pause werden wir in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe wird begleitet von Angstmann und bekommt eine Einführung Psychologie, die andere eine Einführung in die Biologie der Spinne mit Furrer. Ich widme mich zunächst der Biologie. Im Rundumschlag lernen wir den Körperbau der Spinne kennen, erfahren wie ihre Wahrnehmung funktioniert und dürfen Spinnenhaut berühren – was wesentlich unappetitlicher ist als eine lebendige Spinne anzufassen. Faszinierend sind die Tiere, und das neuerworbene Wissen mildert die Angst tatsächlich. Obwohl Spinnen acht Augen haben, sehen sie sehr schlecht. Relevant für sie sind ihre Tastsinne. «Eine Spinne weiss nicht, wer ihr seid und ihr seid ihr auch völlig egal», erklärt Furrer. Ein Aha-Effekt in der Gruppe – die Spinne will uns eigentlich gar nichts Böses. Wir wechseln die Gruppen. Angstmann erzählt, dass Angst eine Grundemotion ist, die als Schutzmechanismus dient. Unbekanntes kann grundsätzlich Angst auslösen. Angstmann macht deutlich: «Es ist richtig, eine Realangst zu haben, so überleben wir, so schützen wir uns vor Gefahren.» Allerdings können fehlgeleitete Angstobjekte, wie in unserem Fall Spinnen, uns völlig unnötig belasten, denn eine wirkliche Gefahr geht von Spinnen nicht aus. Vor der Gefahr habe ich keine Angst. Mich ekelt mehr die Form, die Präsenz der Spinne. «Das sind Projektionen. Oft haben Menschen nur Angst vor Spinnen, wenn sie sich bewegen. Die Angst darin liegt in der Angst, keine Kontrolle zu haben», antwortet Angstmann.

Worauf die Angst vor Spinnen zurückgeht, kann Angstmann nicht erklären. Verschiedene Theorien bieten verschiedene Antworten. Angstmann: «Es ist eigentlich nicht wichtig zu wissen, woher die Angst kommt. Nur, wie man sie los wird.» So kann eine Auseinandersetzung diese Angst überwinden und das Muster durchbrechen. Wenn die Angst überwiegt oder sich in Panik verwandelt, tendiert ein Lebewesen dazu, sich tot zu stellen, zu kämpfen oder zu flüchten. «Wir Menschen können jedoch lernen diese Instinkte mit Neugierde und mit erworbenen Erfahrungen zu überwinden.»

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Wir vereinen wieder unsere Gruppen. Nun gilt es ernst. Sophie wird das Terrarium verlassen und wir bekommen die Möglichkeit, sie in die Hand zu nehmen. Gemischte Gefühle in der Gruppe. Für einige die finale Prüfung, andere verspüren direkt Lust sie zu berühren. Bei mir ist letzteres der Fall. Vorsichtig legt Furrer Sophie in meine Hand. Auch wenn etwas Nervosität bleibt, so ist doch dieser Kontakt ein Dammbruch, denn von meiner gewohnten Angst ist nichts mehr da – ein Gefühl von Respekt gegenüber diesen Lebewesen entsteht, wie auch Freude. «Durch die Neugierde und die überwundene Angst schüttet der Körper Dopamin aus, bald bist du süchtig nach Kontakt mit Spinnen», sagt Angstmann.
Ob ich süchtig werde, weiss ich nicht – ein Terrarium mit Vogelspinnen werde ich mir zumindest nicht anschaffen, auch werde ich nicht bei jeder Gelegenheit eine Spinne anfassen. Aber ich möchte Sophie noch auf meine Schulter nehmen. Erstaunlich ist, wie samtweich sie sich anfühlt. Vogelspinnen haben sehr feine Haare. Auch die anderen Teilnehmenden machen die Erfahrung, egal wie gross die Überwindung auch ist. Weiterhin eine hunderprozentige Erfolgsquote. Sollten wir mal in Brasilien in einen Spinnen-Regen kommen, müssen wir uns nun keine Sorgen mehr machen. spinne4

Auch wenn ich in euphorischem Zustand im Glauben bin, dass meine Angst völlig überwunden ist, so rät Angstmann, uns für einen Zeitraum von sechs Wochen täglich weiterhin mit Spinnen auseinanderzusetzen; nur mit Übung könnten wir die Angst ganz beseitigen – oder wie Chris Headfield in einem Tedtalk mal sagte: «I guarantee you, if you walk through a hundred spiderwebs you will have changed your fundamental human behavior, your caveman reaction.»

 

Die Sendung «tierisch» (Tele Züri, Tele Bärn, Tele M1) begleitete mich während dem Seminar. Ausgestrahlt wird der Bericht am 28. September.

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